Mehr als 13 Millionen brauchen humanitäre Hilfe

Syrien im Belagerungszustand

Von Manfred Ziegler

In Aleppo wurden die Truppen von al-Nusra und des IS von ihrem Nachschub abgeschnitten. Für die Zivilisten im Ostteil von Aleppo und zwischen den Fronten in anderen Gebieten ist es eine schwierige Situation.

Nach Angaben des „World Food Programme“ der UN leben fast 500000 Menschen in belagerten Gebieten, ungefähr die Hälfte von ihnen in Aleppo. Hier wurden Fluchtwege für Zivilisten eingerichtet, die genutzt werden, wenn auch zurzeit nicht massenhaft.

Ein weiterer großer Teil der Belagerten lebt in Deir Ezzor, wo der „Islamische Staat“ die Stadt von jeglicher Versorgung auf dem Landweg abgeschnitten hat. Eine Versorgung ist hier über Lufttransporte möglich. Spiegel Online nennt neben Aleppo vor allem die Orte Madaja, Sabadani, Fua und Kifraja als Opfer von Belagerungen. Für Madaja und Sabadani wurde die Zahl von 40000 Belagerten angeführt. Diese Zahl ist weit übertrieben. Mit dem Beginn der Kämpfe hatte der größte Teil der Einwohner die Städte verlassen, in Madaya blieben zum Ende zwischen 4 000 und 8 000, viele von ihnen Bewaffnete.

Die Bewaffneten haben Madaja mittlerweile verlassen, hier gibt es keine Blockade mehr. Die Orte Fua und Kifraja werden von der Terrororganisation Dschabhat Fatah al-Scham belagert.

Tatsächlich ist die humanitäre Katastrophe viel umfassender als diese wenigen Orte zeigen. Seit Beginn des Krieges, d. h. seit Sommer 2011, war die Elektrizitäts- und Wasserversorgung bevorzugtes Ziel terroristischer Anschläge. Verkehrswege wurden belagert, Transporte beschossen. Schon 2012 musste eine Bahnstrecke bei Homs weiträumig von der Armee geschützt werden.

Das „World Food Programme“ beschreibt die Situation folgendermaßen: Mehr als 13 Millionen Menschen in Syrien benötigen humanitäre Hilfe. 4,5 Millionen davon befinden sich in Gebieten, die schwierig zu erreichen sind. Welche Gebiete besonders schwer zu erreichen sind, ändert sich mit der wechselnden Kriegssituation. Hilfskonvois auch zum Beispiel mit russischen Hilfsgütern werden von Terroristen beschossen.

In Zusammenarbeit mit der syrischen Regierung verteilt das WFP Lebensmittel in Syrien. Eine Karte des WFP zeigt, dass es Posten zur Lebensmittelverteilung auf dem gesamten Staatsgebiet Syriens gibt – außer in den Gebieten, die klar von IS dominiert werden.

Mit jedem Erfolg der syrischen Armee wird das Thema der humanitären Katastrophe in den von der Armee abgeriegelten Gebieten weiter skandalisiert. Die Berichterstattung über die humanitäre Katastrophe selbst wird zur Waffe im Krieg. Die einseitige Darstellung, in der nur Frauen und Kinder zu Wort kommen, während die schwer bewaffneten Kämpfer ausgeblendet werden, soll den Weg für eine humanitäre Intervention ebnen.

Die Heinrich-Böll-Stiftung und „taz“beispielsweise beklagen der syrische Präsident benutze die UN als Erfüllungsgehilfen seiner Strategie des Aushungerns.

IS, al-Nusra und andere terroristische Organisationen arbeiten nicht mit UNESCO oder dem WFP zusammen. Anders die syrische Regierung – und gerade das wird ihr vorgeworfen. Zum Beispiel von der „taz“, die beklagt, dass das Welternährungsprogramm 96 Prozent der Nahrungsmittel in Regierungsgebiet liefert.

Hilfskonvois aus der Türkei waren in der Vergangenheit häufig verdeckte Waffenlieferungen. Der Chefredakteur der Zeitung „Cumhuriyet“, Can Dündar, und sein Kollege Erdem Gül berichteten darüber und wurden deshalb zu Haftstrafen verurteilt.

Aktuell gibt es Hilfslieferungen der UN an die Orte Sabadani, Madaja, Fua und Kifraja. Das russische Militär liefert Hilfsgüter an Orte im Gouvernement Aleppo und Lataki.

Wer nur von den 500 000 Belagerten in Aleppo, Deir Ezzor und anderen Orten und auch wer nur von der katastrophalen humanitären Situation in Syrien spricht übersieht die umfassende Belagerung ganzer Staaten: ob Irak, Iran, Syrien oder andere – alle waren und sind Sanktionen ausgesetzt. Sanktionen aber sind nur ein verschleiernder Begriff für – Belagerung.

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"Syrien im Belagerungszustand", UZ vom 30. September 2016



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