Selenski bleibt auf NATO-Kriegskurs

Kein „zweiter Maidan“ in der Ukraine

Westliche Medien diagnostizieren eine Tendenz zur Autokratie in der Ukraine. Sie bemängeln die Machtkonzentration und fortschreitende Zentralisierung von Befugnissen beim Präsidentenbüro unter Leitung von Selenskis Vertrautem Andrej Jermak, das Kaltstellen von Kritikern und möglichen Konkurrenten vor den irgendwann nicht mehr aufschiebbaren Wahlen, die Einschüchterung von „unabhängigen“ Ermittlern durch Verhaftungen und „Hausbesuche“ des Geheimdiensts SBU. Selenskis Plan, die formell unabhängigen Anti-Korruptions-Behörden NABU und SAPO unter Kontrolle zu bringen, nahmen EU und IWF zum Anlass, um Selenski einen Schuss vor den Bug zu verpassen. Sie drohten, vorgesehene Gelder nicht an Kiew zu überweisen.

Parallel forderten Demonstranten in vielen Städten der Ukraine, die Kriterien für den EU-Beitritt einzuhalten. Überwiegend junge Menschen demonstrierten, viele im Oberschulalter. Mobilisiert hatten zahlreiche NGOs der Ukraine, deren Aktivitäten von EU, USA und privaten Stiftungen bezuschusst werden. Von einer der Stiftungen leiten ukrainische Blogger den Spitznamen „Sorositen“ für die Strömung ab. Die NGOs brachten die ersten landesweiten Demonstrationen seit 2022 auf die Beine. Man sprach von einem „zweiten Maidan“, zumal westliche Medien Selenski als Helden zu demontieren schienen und Konkurrenten wie Saluschni, Budanow, Poroschenko mit Interviews, Fotoshootings für „Vogue“ et cetera förderten. Die CIA (über Seymour Hersh) und der FSB lancierten Gerüchte, Trump wolle Selenski auswechseln.

Das Wort vom „zweiten Maidan“ führt jedoch in die Irre. Der von den USA forcierte Maidan-Coup 2014 wurde letzten Endes vom „Rechten Sektor“ entschieden, unter Einsatz von Gewalt und Terror. Die neonazistischen Banden sind heute in Kiews repressive Staatsapparate, in Armee, Polizei und Geheimdienste inkorporiert und stehen bisher relativ stabil hinter Selenski, der erfolgreich westliche Waffen und Geld einwirbt, wovon auch sie profitieren. Opposition gegen den NATO- und Kriegskurs ist seit Langem illegal. Der Bandera-Kult ist gefestigte Staatsideologie.

Der drohende Stopp der Gelder bewog Selenski zur abrupten Kehrtwende. Seine murrende Parlamentsmehrheit zwang er, die „Unabhängigkeit“ der Anti-Korruptionsbehörden nach acht Tagen wieder herzustellen. Die „Unabhängigkeit“ gilt als verbürgt durch das Auswahlverfahren für NABU- und SAPO-Mitarbeiter, bei dem internationale Berater aus USA und EU mitreden. Eben diese hätte auch Julia Timoschenko, Abgeordnete und Maidan-Veteranin, gern zum Teufel gejagt. In der Parlamentsdebatte bezeichnete sie NABU und SAPO als Hindernisse für die Souveränität des Landes. Der Weg des „Outsourcing“ führe zu einem „kolonialen Modell“. Das ist die Ukraine nach dem Maidan-Coup 2014 ohnehin.

Es gebe keine Freiheit im Land, schreibt der ukrainische Telegram-Kanal Legitimny. „Es regieren nur die Sponsoren und ihr Statthalter/Manager in der Rolle des Präsidenten […], denn für die Ukraine ist die Rolle eines Kamikaze-Landes vorgesehen“ (2. 8. 2025). Geht es um Kampf gegen Korruption? Sie wuchs, seit NABU und SAPO arbeiten. Man höre oft von Strafverfahren gegen hohe Beamte und Politiker, „aber wie viele von ihnen haben tatsächlich eine Haftstrafe erhalten oder sitzen in Untersuchungshaft?“, fragt der Kanal Resident. Fazit: „Korruption in der Ukraine ist zu einem System des Schutzes geworden, ohne dass es echte Verurteilungen gibt“ (2. 8. 2025). EU und IWF intervenierten, um eine Fassade von Transparenz zu wahren, die sie als Geldgeber Kiews ihren eigenen Bürgern vorzeigen können.

Am Tag der Verabschiedung des erneut EU-konformen Gesetzes kam es zum Massenaufstand in der Stadt Winniza. Die Menge versuchte, ins Stadion gesperrte Zwangsrekrutierte zu befreien. Mit Tränengas und Polizeiknüppeln wurde sie über Nacht zerstreut. Es gab Verhaftungen. Darüber schweigen hiesige Medien.

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"Kein „zweiter Maidan“ in der Ukraine", UZ vom 8. August 2025



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