Panmunjom ist für Kim Auftakt zu Treffen mit Trump

Charme-Offensive

Von Klaus Wagener

Man kann der Führung der Koreanischen Demokratischen Volksrepublik (KDVR) ein beträchtliches Maß an diplomatischer Flexibilität nicht absprechen. Noch vor einem halben Jahr wäre ein so markantes und symbolisch enorm aufgeladenes Treffen zwischen den Staatschefs Kim Jong-un und Moon Jae-in kaum denkbar gewesen. Es war das erste Treffen dieser Art nach elf Jahren und das dritte seit dem Koreakrieg (1950–53) überhaupt. Und es sah fast nach einer Zusammenkunft alter Freunde aus. Für die Mainstream-Medien dürfte es nicht leicht sein, an ihrem geliebten Bild des „Irren von Pjöngjang“ so umstandslos weiter zu polieren. Das Meeting endete mit der Panmunjom-Erklärung für Frieden, Wohlstand und Wiedervereinigung. Es ist eine detaillierte Absichtserklärung, den Koreakrieg (1950–53) mit einem Friedensvertrag zu beenden, die koreanische Halbinsel phasenweise zu denuklearisieren und die innerkoreanischen Beziehungen mit dem Ziel der Wiedervereinigung weiterzuentwickeln.

Ein Besuch Moons in Pjöngjang wurde ebenso vereinbart wie Familienzusammenführungen, die Einstellung der Propaganda-Aktivitäten an der Grenze am 38. Breitengrad, die Eröffnung eines innerkoreanischen Verbindungsbüros in Kaesong und die Wiedereröffnung von Straßen und Schienenverbindungen. Zusammen mit Kims Ankündigung eines Stopps der Tests von Nuklearsprengsätzen und Interkontinentalraketen vor knapp vierzehn Tagen stellt das Treffen zwischen Kim und Moon eine bemerkenswerte neue Entwicklung in der Außenpolitik der KDVR dar.

Am 28. November 2017 machte die Volksrepublik mit dem Start der Hwasong-15-Interkontinentalrakete klar, dass sie nicht nur Nuklearwaffen besitzt, sondern auch in der Lage ist, damit jeden Punkt des US-Imperiums zu erreichen. Auch wenn die US-Armee die dominante Militärmacht des Globus bleibt, ist der Fall nicht auszuschließen, dass ein oder einige nukleare Gefechtsköpfe ihre Ziele in den Kommandozentren des Imperiums finden könnten. Auf diese qualitative Änderung der strategischen Verhältnisse reagierte das Imperium wütend mit dem Aufbau einer massiven militärischen, natürlich auch atomaren Drohkulisse und eines verschärften Sanktionsregimes. Verschiedene Formen eines militärischen Einsatzes gegen die KDVR bzw. gegen die nuklearen Einrichtungen wurden diskutiert. Die Gefahr einer atomaren Konfrontation war in unmittelbare Nähe gerückt.

Korea fand einen Ausweg während der Vorbereitung der Olympischen Winterspiele in Pyeongchang. Sehr kurzfristig wurde die Teilnahme nordkoreanischer Athleten in einer gemeinsamen koreanischen Manschaft unter der Vereinigungsflagge ermöglicht. Auch das gigantische Militärmanöver von südkoreanischen und US-Streitkräften wurde verschoben. Das Ziel Pjöngjangs bestand offensichtlich im Abbau der regionalen Spannungen und der Erosion des von den US-Medien so liebevoll gepflegten Feindbildes Kim Jong-un. Allerdings auf der Basis der nach wie vor existierenden Nu­klearoption. Und genau hier liegt auch der entscheidende Punkt in den Verhandlungen Kims mit dem US-Präsidenten Ende Mai oder Anfang Juni – so sie denn stattfinden.

Die bisherigen Maßnahmen der KDVR können gewissermaßen als – erfolgreiche – psychologisch-emotionale Vorfeldgefechte gedeutet werden. Sie erschweren es der US-amerikanischen Seite die Verhandlungen scheitern zu lassen. Wo sich alle so lieb haben, dürfte es für Donald Trump und seine Falken Bolton und Pompeo nicht einfach sein, vom Tisch aufzustehen und zu sagen: „Das passt uns hier alles nicht.“ Zumal die südkoreanische Seite ebenfalls erhebliches Interesse an dem Zustandekommen eines Deal erkennen lässt. Die Vereinbarungen von Panmunjom könnten sonst leicht im Orkus der Geschichte verschwinden.

Ähnlich dürfte das Interesse Chinas und Russlands gelagert sein. Zwar haben beide Länder das UNO-Sanktionsregime gegen die KDVR mehr oder weniger mitgetragen, aber spätestens seit dem Besuch Kims bei Xi Jinping Ende März ist Peking wieder mit im Spiel. Ähnlich auch Russland nach dem nordkoreanisch-russischen Außenministertreffen am 10. April. Kim Jong-un dürfte seine strategischen Optionen für das Gespräch mit Trump mit dem chinesischen Staatschef erörtert und abgesprochen haben. Dies eröffnet den Chinesen die Möglichkeit, den Fortgang der Dinge in ihrem regionalen Interesse, vor allem im Interesse ihrer Initiative für eine neue Seidenstraße mit zu steuern.

Mit seiner diplomatischen Offensive hat sich Pjöngjang in die Rolle des zentralen Akteurs gebracht, ohne substantielle Zugeständnisse machen zu müssen. Noch ist das nukleare Arsenal unverändert und ebenso ist völlig unklar, in welcher Form eine Wiedervereinigung vorstellbar ist. Falls es nicht zu hinreichenden Sicherheitsgarantien von Seiten Washingtons bzw. Pekings kommt, dürfte aus der Denuklearisierung und Schritten zur Wiedervereinigung nicht viel werden.

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"Charme-Offensive", UZ vom 4. Mai 2018



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