Während die NATO rüstet, wollen die Deutschen nicht sterben. Propaganda fordert Opferbereitschaft – mit linksliberaler Unterstützung

Das bisschen Leben

Für ein paar Wochen sah es so aus, als befände sich die deutsche Kriegspropaganda in einer Sinnkrise. Das lag nicht nur daran, dass man in den vergangenen zwei Jahren offensichtlich danebengegriffen hatte, wenn es darum ging, Israels Genozid in Gaza ausgerechnet mit den Schlagworten „Völkerrecht“ und „Selbstverteidigung“ zu rechtfertigen. Auch um die Ukraine war es etwas leiser geworden, nachdem die militärischen Rückschläge nicht mehr zu vertuschen waren und Roderich Kiesewetters (CDU) Hoffnung, den Krieg nach Russland zu tragen, in weite Ferne rückte. Wir erinnern uns: Kiesewetter hatte im vergangenen Jahr in einem Interview mit der „Deutschen Welle“ gefordert, „nicht nur Ölraffinerien in Russland zu zerstören, sondern Ministerien, Kommandoposten, Gefechtsstände“.

Von derartiger Kraftmeierei war kurzzeitig nur noch wenig zu hören. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) täuschte im Gefolge des US-Präsidenten Donald Trump sogar Verhandlungsbereitschaft an, während er die massive Hochrüstung der Bundesrepublik betrieb und die Kiewer Regierung in der faktischen Eskalation des Krieges bestärkte. Aber nun ist die Ordnung wieder hergestellt. Zusammen mit den in der vergangenen Woche gefassten NATO-Beschlüssen über das „größte Aufrüstungsprogramm seit Jahrzehnten“ („tagesschau.de“) kommt auch die Propagandamaschine erneut ins Rollen.

Was die Kriegsminister der NATO in der vergangenen Woche in Brüssel genau vereinbart haben, ist streng geheim. Nur so viel wurde verraten: Die Vorgaben für militärische Fähigkeiten sollen um 30 Prozent erhöht werden, die von Donald Trump geforderte Erhöhung der Militärausgaben auf 5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) scheint in greifbarer Nähe. US-Kriegsminister Pete Hegseth musste zwar zugeben, dass es „wenige Länder“ gebe, die „noch nicht ganz soweit sind“. Aber bis zum anstehenden NATO-Gipfel in Den Haag soll sich das ändern: „Wir werden sie soweit bringen.“

Deutschland gehört nicht zu den Staaten, die noch überzeugt werden müssen. Als Begleitmusik zum NATO-Treffen forderte Kriegsminister Boris Pistorius (SPD) schon einmal 60.000 neue aktive Soldaten für die Bundeswehr. Nun müssten die Kapazitäten für Kasernen und Ausbildung „aufwachsen“. „Bis dahin gilt Freiwilligkeit“, so Pistorius mit Blick auf die immer näher rückende Wehrpflicht.

Die große Lust darauf, für die Dividenden der Rüstungsaktionäre und die imperialistischen Ziele des deutschen Kapitals zu sterben, lässt auf sich warten. Der Altersdurchschnitt in der Truppe steigt, während die Zahl der aktiven Soldaten zum Stichtag am 31. Dezember 2024 erneut gesunken ist.

Was tun, wenn es doch so viel Platz auf den Heldenfriedhöfen, aber nur so wenige Bewerber gibt? Das fragten sich vermutlich einige Redakteure bei „3sat“ und luden den Rechtsaußen-Althistoriker Egon Flaig ein, damit dieser im gediegenen Ambiente der Sendung „Kulturzeit“ von der „Unwilligkeit von Eltern, ihre Kinder als Soldaten zu sehen, das heißt als Mitglieder des Gemeinwesens, die eventuell geopfert werden“, erzählen durfte. „Doch am Opfermut bei Eltern und deren Kindern fehle es“, ergänzte der Erzähler aus dem Off, Schuld sei ein „jahrzehntelanger Pazifismus“. Das zu ändern, sei eine „sehr schwierige Sache“, antwortete Flaig, „weil dazu eine kulturelle Umprogrammierung einer weitgehend entpolitisierten Gesellschaft (…) notwendig ist“.

Auf den Aufruf zur „Umprogrammierung“ hatte die „taz“ erst gar nicht gewartet. Ein paar Tage vor der Ausstrahlung der „Kulturzeit“ veröffentlichte das Blatt ein langes Interview mit dem „Militärhistoriker“ Sönke Neitzel. Der durfte nicht nur sein Bedrohungsmärchen zum Besten geben, dass dies vielleicht der „letzte Sommer in Frieden“ sei, sondern auch mit ganz besonderen Einsichten aufwarten. Auf die schon nicht besonders durchdachte Frage, wie sich denn im Kriegsfall verfassungsfeindliche Bestrebungen in der Bundeswehr zurückdrängen lassen – das sei ja schon im Frieden schwierig genug –, warb Neitzel dafür, sich um die „Soldatenkultur“ zu kümmern. Wie? „Das System der Wehrmacht war relativ schlau“, so Neitzel. Schließlich kenne heute jeder „Panzermuckel“ das Panzerlied aus dem Jahr 1935 und die Bundeswehr habe noch nicht einmal ein „einziges Lied aus Afghanistan“.

Klar wirbt Neitzel für die Wehrpflicht, am liebsten auch für Frauen und gegen Widerstände. Adenauer habe auch nicht gewartet, „bis alle mit der Wiederbewaffnung einverstanden waren“. Darüber hinaus sei der Kriegsdienst auch nicht nur etwas für junge Menschen. „In der Ukraine kämpfen viele ältere Männer. Der älteste Mann, den die Bundeswehr trainiert hat, war 71 Jahre alt. Und der saß nicht im Büro, der ging an die Front“, so Neitzel. „Wir alle“ seien gefragt, „unsere Republik zu verteidigen.“

Was der rechte Flaig offen als „kulturelle Umprogrammierung“ fordert, betreibt die „taz“ unter dem Deckmantel linksliberaler Diskursoffenheit. „Getrennt marschieren, vereint schlagen“, wusste schon der preußische Generalfeldmarschall Helmuth von Moltke. Im Krieg ist eben vieles erlaubt. Solange sie brav für den Schützengraben trommeln, dürfen sich die „taz“-Redakteure dabei auch besonders progressiv vorkommen – hineinlegen müssen sie sich selbst genauso wenig wie Flaig oder Neitzel.

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"Das bisschen Leben", UZ vom 13. Juni 2025



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