Große Friedensdemonstrationen am 3. Oktober in Berlin und Stuttgart. Ein Gespräch mit Yusuf As

„Eine historische Verantwortung“

Am 3. Oktober finden in Berlin und Stuttgart bundesweite Demonstrationen gegen Krieg, Hochrüstung und Militarisierung statt. UZ sprach mit darüber mit Yusuf As, Mitglied der Initiative „Nie wieder Krieg – die Waffen nieder!“ und des Bundesvorstands der Föderation Demokratischer Arbeitervereine (DIDF).

UZ: Am nächsten Freitag finden die großen Friedensdemonstrationen in Berlin und Stuttgart statt. Du warst eng in die Vorbereitung eingebunden. Was erwartest du?

Yusuf As: Wir haben es geschafft, die klassische Friedensbewegung wieder zusammenzubringen. Die Demonstration wird von mehr als 400 Initiativen, Organisationen und Parteien unterstützt, darunter auch Pax Christi, IPPNW oder die DFG-VK. Das hat es während des Ukraine-Kriegs bislang nicht gegeben. Ich glaube, alle sind sich der Notwendigkeit bewusst. Alle wissen, dass wir vor einem großen Krieg stehen könnten. Die Aufrüstung, die Einführung der Wehrpflicht, die Haushaltsdebatte und die Sondervermögen: Die Militarisierung hat mit dem Ukraine-Krieg nochmal an Dynamik gewonnen. Inzwischen ist allen klar: Wir müssen zusammenfinden und die Leute auf die Straße bringen. Und auch gewerkschaftliche Strukturen sind dabei. In der vergangenen Woche gab es Aufrufe von ver.di Stuttgart, München und Baden-Württemberg. Das ist insgesamt positiv. Im vergangenen Jahr waren wir mit 40.000 auf den Straßen. Ob es in der kommenden Woche dann Hunderttausende sind, kann ich nicht sagen. Aber das gemeinsame Handeln der Friedensbewegung ist ein Fortschritt.

UZ: Wie du gerade angesprochen hast, werden auch viele Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter auf die Straße gehen. Liegt das daran, dass immer deutlicher wird, wie eng Kriegspolitik und sozialer Kahlschlag zusammenhängen?

Yusuf As: Ja, ich denke schon. Ende des vergangenen Jahres gab es die von ver.di München getragene Demonstration „Soziales rauf, Rüstung runter“. Ein Teil der süddeutschen Gewerkschaftsstrukturen hatte ebenfalls dazu aufgerufen. Die GEW hat ihren „GegenWehr“-Kongress durchgeführt, wo die Forderung nach einem Sondervermögen für die Bildung deutlich gemacht wurde. Die Gewerkschaften sehen ja, dass die sozialen Leistungen, die Daseinsvorsorge, aber auch Brücken, Bahnen und die gesamte Infrastruktur betroffen sind. Eine Reaktion darauf war, dass die Gewerkschaften das sogenannte „Sondervermögen Infrastruktur“ begrüßten und eigene Forderungen zur Verteilung des Geldes formulierten. Auf der anderen Seite hat sich ver.di vor der Sommerpause gegen das 5-Prozent-Ziel der NATO ausgesprochen. Die Widersprüche liegen auf dem Tisch und werden auch gesehen.

UZ: In den vergangenen Wochen gab es fast täglich Meldungen von NATO-Beratungen, vermeintlichen Bedrohungen, angeblichen Drohnenüberflügen. Kann die Demonstration dabei helfen, Angstmacherei und Propaganda etwas entgegenzusetzen?

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Yusuf As

Yusuf As: Wenn ständig von „Kriegstüchtigkeit“ geredet wird, dann geht es nicht nur um Aufrüstung und Geld für Waffen. Es ist auch ein Kampf um die Köpfe. Am Ende des Tages ist es die Arbeiterklasse, die die Rüstungsgüter produziert. Es sind die jungen Menschen an den Universitäten, die für die Militarisierung forschen sollen. Und es sind die breiten Massen – vor allem die Arbeiterkinder – die später in den Krieg ziehen müssen. Und die sollen alle für den Kriegskurs gewonnen werden. Wir brauchen da nichts schönzureden: Wir haben viele Kolleginnen und Kollegen, die soziale Kürzungen hinnehmen, weil „der Russe vor der Tür steht“. Das ist das, was Staat, Regierung und Medien jeden Tag erzählen. Wenn du einen Döner isst, ist Bundeswehrwerbung auf dem Dönerpapier. Wir haben es mit einer krassen Militarisierung der Gesellschaft zu tun.

Mit unserer Demonstration allein werden wir natürlich keine Bewusstseinsänderung herbeiführen. Deswegen versuchen wir, viele Themen inhaltlich aufzuarbeiten. Wir machen deutlich, dass es nicht um Selbstverteidigung geht, sondern um die Inte­ressen weniger, die sich vom Krieg viel erhoffen.

UZ: Die Propagandamaschine fokussiert sich nicht nur auf den Krieg in der Ukraine. Mit großem Aufwand sollte die Bevölkerung dazu gebracht werden, während des Völkermords in Gaza Partei für Israel zu ergreifen. Hast du auch den Eindruck, dass langsam mehr Menschen erkennen, was in Palästina los ist, und dass die Propagandafront an dieser Stelle aufgebrochen werden konnte?

Yusuf As: Ich würde sagen, es ist ein Stück weit aufgebrochen. Wir haben nicht die Oberhand, was die Meinungsmache angeht. Aber das heißt noch lange nicht, dass die Menschen nicht empfänglich für gute Argumente sind. Ich denke das wir genau dort ansetzen können und das auch müssen.

Ein Teil der Leute, die anfangs für Waffenlieferungen an die Ukraine waren, denkt sich heute: Wir haben jetzt drei Jahre lang Waffen geliefert und der Krieg hört nicht auf. Ähnlich geht es vielen, die nach dem 7. Oktober 2023 der Meinung waren: Die Hamas hat ein Massaker angerichtet und wir müssen jetzt uneingeschränkt Solidarität mit Israel zeigen. Heute liegt doch die Frage auf der Hand: Heißt Solidarität, wegzuschauen, die Wahrheit zu verdrehen oder gar den Völkermord in Gaza zu unterstützen? Wie viele zehntausende Menschen müssen noch sterben? Hier gibt es also einen Bruch. Wir sind aber noch weit weg von den Streiks und Massendemonstrationen, die es in anderen europäischen Ländern gibt.

Seit zwei Jahren gehen jede Woche Palästinenserinnen und Palästinenser gegen den Völkermord auf die Straße. Es ist sehr schade, dass die Friedensbewegung nicht einheitlich und mit ihnen gemeinsam handelt. Da ruft Sahra Wagenknecht zusammen mit Künstlern und bekannten Personen zu einer Demonstration in Berlin auf, zwei Wochen später findet dann ein Konzert von Nichtregierungsorganisationen statt, und am 3. Oktober kommen unsere Demonstrationen. Eigentlich müssten wir das alles zusammenbringen. Stattdessen diskutieren wir darüber, wie viel Hamas in den Aufruf muss oder wer unsere Aktionen unterstützen darf. Während wir diese Debatten führen, werden Hunderttausende Menschen ausgehungert, vertrieben und ermordet. Wir tragen heute eine historische Verantwortung – und der werden wir nicht gerecht.

UZ: Dennoch ist es gelungen, zum 3. Oktober ein breites Bündnis auf die Straße zu bringen. Das wird sich auch bei den Kundgebungen widerspiegeln …

Yusuf As: Wir haben es – wie auch im letzten Jahr zum 3. Oktober – geschafft, dass nicht nur die „typisch linken“ Rednerinnen und Redner auf der Bühne sind. Es wird ein breites Spektrum angesprochen. Das ist gut.

Die imperialistischen Widersprüche sind so weit zugespitzt, dass jeder seine Rolle auf der Weltbühne spielen möchte. Auch Deutschland ist an einem Punkt angelangt, wo durch Hochrüstung und Krieg eine Führungsrolle sowohl in der EU wie auch auf der Welt übernommen werden soll. Das bedeutet für uns konkrete Einschnitte in unserem täglichen Leben. Eigentlich bleibt uns nichts anderes übrig, als gegen Militarisierung, Aufrüstung und Krieg auf die Straße zu gehen. Das zeigt sich auch in der Wehrpflichtdebatte. Die Leute stehen nicht Schlange, um für das Vaterland zu sterben. Sie haben Angst vor dem Krieg und wollen Frieden. Die Friedensbewegung hat vor allem im Zuge des Ukraine-Kriegs ihre Positionen aufgeweicht. Es gab sehr viele inhaltliche, politische und ideologische Unschlüssigkeiten. Jetzt braucht es Klarheit. Wir haben die Chance, eine starke Bewegung aufzubauen, die Bedingungen sind da.

In den letzten Jahren gab es große Bewegungen. Zwei Millionen Menschen waren gegen den Rechtsruck auf den Straßen, vielerorts protestieren Menschen gegen die Wohnungsnot, es gibt zahlreiche Umweltbewegungen und viele mehr. Es muss jetzt darum gehen, diese Bewegungen zusammenzuführen und deutlich zu machen: Alles ist miteinander verbunden. Die Menschen werden für den Frieden auf die Straßen gehen, weil es keine andere Möglichkeit gibt. Entweder wir werden das richtig kanalisieren können oder die Bewegung wird an uns vorbeiziehen.

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"„Eine historische Verantwortung“", UZ vom 26. September 2025



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