Die Evangelische Kirche in Deutschland verabschiedet sich vom Pazifismus

Frieden schaffen mit Waffen

Es hat sich bereits abgezeichnet, zuletzt auf dem Kirchentag 2025 in Hannover: Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) möchte mitmischen bei der Kriegstüchtigkeit Deutschlands. Und zu der gehört neben den „hard facts“ wie Wehrpflicht, Rüstungsetat und Beschaffung von Kriegsgerät aller Art eben auch die mentale Mobilmachung der Bevölkerung – genau diese hat sich die Evangelische Kirche in Deutschland nun als Betätigungsfeld ausgesucht.

Anfang dieser Woche veröffentlichte der Rat der EKD eine lang erwartete „Friedensdenkschrift“ unter dem Titel „Welt in Unordnung – Gerechter Frieden im Blick“. Das Papier hält, was der Titel androht: Frieden reicht den obersten Protestanten in diesem Land nicht mehr, es muss ein „gerechter“ sein. Ansonsten ist Krieg vielleicht doch besser.

Mit einer „Friedensethik“ versuchen die Mitglieder des „friedens-ethischen Redaktionsteams“ unter der Leitung des Münchener Theologen Reiner Anselm den Kurswechsel der EKD zu rechtfertigen. Was dabei herauskommt, ist eine Übersetzung antirussischer Hetze wie aus dem Munde einer Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), gepaart mit einem mitleidigen Lächeln für die Protestanten, die Krieg unter allen Umständen ablehnen, weil er ihrer Meinung nach grundsätzlichen christlichen Werten entgegensteht. So heißt es zur Frage „Verhandlungen“ etwa: „Die Erfahrungen des gewaltsamen Todes vieler Menschen im Krieg könnte aufgrund des Primats der Gewaltfreiheit zu der Forderung führen, auch in einem heißen Konflikt allein auf Verhandlungen zu setzen.“ So geht das natürlich nicht, finden die Autoren: „Diese Sichtweise übersieht allerdings, dass solche Verhandlungen nur dann ethisch vertretbar sind, wenn sie sich innerhalb des internationalen Rechts bewegen, das heißt dem Schutz der territorialen Unversehrtheit und Selbstbestimmung dienen. Der Primat der gewaltfreien Lösung darf nicht gegen die Ethik rechtserhaltender Gewalt ausgespielt werden – wie umgekehrt jede rechtserhaltende Gewalt selbst auf ihre Vereinbarkeit mit dem Recht und auf die Überwindung von Gewalt ausgerichtet sein muss. Aufgezwungene Verhandlungen sind kein Weg zum Gerechten Frieden. Verhandlungen, die lediglich dazu dienen, die Ergebnisse militärischer Kriegsführung abzusichern, sind abzulehnen.“ Die EKD setzt damit auf längeren Krieg, mehr Gewalt und mehr Tote – Hauptsache, die Ukraine bekommt weiter Waffen gegen den bösen Russen und muss nicht verhandeln. Oder anders ausgedrückt: „Eine ethisch reflektierte Friedenspolitik muss daher genau prüfen, unter welchen Bedingungen Verhandlungen friedensförderlich sind und welche Kriterien ein gerechtes Verhandlungsergebnis erfüllen muss.“

Doch der Rat der EKD geht noch weiter. Nicht nur sind Verhandlungen Kriegshandlungen nur in Einzelfällen vorzuziehen, auch sind Massenvernichtungswaffen nichts mehr, vor dem die Protestanten in Deutschland zurückschrecken sollen. „Ethisch“, so heißt es zwar in der Denkschrift, „ist die Ächtung von Atomwaffen aufgrund ihres verheerenden Potenzials geboten“. Doch zu viel Ethik soll in der Friedens-ethik nicht unbedingt zum Zug kommen: „Der Besitz von Nuklearwaffen kann aber angesichts der weltpolitischen Verteilung dieser Waffen trotzdem politisch notwendig sein, weil der Verzicht eine schwerwiegende Bedrohungslage für einzelne Staaten bedeuten könnte.“

Rechtserhaltende Gewalt schlägt also das Recht auf Leben, politische Notwendigkeit schlägt Ethik. Und diese wird dann auch noch schnell genutzt, um eine frühere Säule protestantischer Friedensarbeit zu entsorgen: „Christlicher Pazifismus ist als allgemeine politische Theorie ethisch nicht zu begründen“, schreibt das Redaktionsteam. Es sei allerdings „als Ausdruck individueller Gewissensentscheidung zu würdigen“. Diese Individualisierung ist eine Kampfansage an die Christinnen und Christen, die in der Friedensbewegung gemeinsam für eine friedlichere Welt eintreten.

Gewissensentscheidungen werden den drohenden Krieg nicht aufhalten. Aber wenigstens hat die EKD feste vor, weiterhin Seelsorge zu betreiben. Schließlich geht es den Protestanten darum, „Resilienz in einer konflikt-reichen Welt aufzubauen“ – und endlich auch eine Rolle zu spielen bei der Kriegstüchtigkeit.

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"Frieden schaffen mit Waffen", UZ vom 14. November 2025



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