Skizzen aus dem Leben des US-Liedermachers Phil Ochs

„Ich marschiere nicht mehr“

Randolph Oechslein

Die letzten Sequenzen von Kenneth Bowsers bewegendem Dokumentarfilm „Phil Ochs – There but for fortune“ sind schmerzhaft. Familienangehörige, mit Ochs befreundete Künstler wie Joan Baez, Tom Paxton und andere, äußern sich über dessen letzte Lebensphase. Er wurde nur 35 Jahre alt. Es war ein Suizid mit Vorankündigung. Zuvor offenbarte er dem Autor Bruce Pollock, warum es für ihn immer schwieriger geworden war, Lieder zu schreiben. Gründe waren seine Alkoholabhängigkeit und die politische Situation. „Im Grunde ging es mit mir und mit Amerika gleichzeitig bergab.“ Die studentische Protestbewegung war nahezu zusammengebrochen. Seine Songs verkauften sich nicht mehr. Er war pleite. Das vom Vater ererbte psychische Leiden trat stärker hervor. Der Putsch in Chile 1973 und die Ermordung seines Freundes Victor Jara taten ein Übriges. Phil Ochs war krank und lebensmüde. Der am 19. Dezember 1940 in El Paso geborene Musiker und politische Aktivist starb am 9. April 1975.

Zurück in das Jahr 1965. „Rolling Thunder“ war das Codewort der US-Regierung für den Bombenterror mit Napalm- und Splitterbomben gegen Ziele in Nordvietnam. US-Verteidigungsminister Robert McNamara spricht von „wöchentlich 1.000 getöteten Zivilisten“. Der damals 25-jährige Phil Ochs veröffentlicht sein zweites Studioalbum. Der Titelsong „I Ain’t Marching Anymore“ („Ich marschiere nicht mehr“) wird rasch zur Hymne der Antikriegsbewegung in den USA. Sie bringt den Zorn einer ganzen Generation zum Ausdruck, die sich nicht im Krieg verheizen lassen will. Exakt 60 Jahre später gehen in Deutschland aus ähnlichen Motiven zehntausende junge Menschen auf die Straße. In der letzten Strophe des Songs kritisiert Ochs die US-Gewerkschaftsführer, die den Krieg gegen Vietnam unterstützen. Das hindert ihn nicht, Benefiz-Konzerte für die streikenden Bergarbeiter in Harlan County, Kentucky, zu spielen. Genauso deutlich benennt er im Song das Treiben der United Fruit Company gegen das sozialistische Kuba und endet mit den Zeilen „Nennt es Frieden oder nennt es Verrat. Nennt es Liebe oder nennt es Vernunft, aber ich marschiere nicht mehr.“

Phil Ochs bewundert Fidel Castro und Ho Chi Minh. 1966 erscheint sein drittes Album „Phil Ochs live in Concert“. In der Cover-Version von Joan Baez wird das darin enthaltene „There but for fortune“ zum Top-Ten-Hit. Die Supermacht USA, die allen anderen ihren American Way of Life aufzwingen will, ist der Inhalt von „Cops of the World“, und „Santo Domingo“ thematisiert die brutale Aggression gegen die Dominikanische Republik („The Marines Have Landed on the Shores of S. D.“). Analogien zur heutigen Situation drängen sich geradezu auf, sieht man die US-Streitmacht vor der Küste Venezuelas. Seine Lieder sind deutlich antiimperialistisch. Für Phil Ochs sind Soldaten nicht alle gleich. Mit „When I’m gone“ gelingt ihm eine wundervolle, traurige Ode. Darin reflektiert Phil Ochs die kurze Zeitspanne des Lebens und wie notwendig es ist, solange man lebt für soziale Gerechtigkeit zu kämpfen.

Geboren in einer jüdischen Mittelklassefamilie, studiert Phil Ochs nach seiner Schulzeit Journalismus an der Ohio State University. Er beginnt sich für Politik zu interessieren. So wie jeder, der eine Gitarre halten konnte, zieht Phil Ochs 1962 ins Mekka der Folkszene, nach Greenwich Village in New York. Sein Studium hatte er im letzten Semester abgebrochen. Er trifft Alice Skinner und heiratet sie. Aus der Ehe, die nicht lange hält, geht die Tochter Meegan hervor. Er arbeitet am „Broadside-Magazin“ mit, einer Undergroundzeitung für politische Lieder, und lernt dort Bob Dylan kennen.

1963 ist er bereits so bekannt, dass er zusammen mit Dylan, Tom Paxton, Joan Baez und anderen zum renommierten Newport-Festival eingeladen wird. Er selbst bezeichnet sich als „singenden Journalisten“, der nahezu aus jeder Schlagzeile ein Lied machen kann. Mit seinen Songs erreicht er zunehmend ein Massenpublikum. „All the news that’s fit to sing“ (Alle Nachrichten die sich singen lassen), eine Verballhornung des Mottos der „New York Times“ („All the news that’s fit to print“), ist der Titel seines 1964 erschienen Debütalbums. Ochs bringt den Anspruch des Topical Songs auf den Punkt: Die Poesie wird zur Nachricht. Er war der unbestrittene Shootingstar der Protestsongszene. Zeitweise hatten Dylan und er den gleichen Manager und Dylan äußerte, dass er mit Phil Ochs nicht mithalten könne: „Er wird immer besser und besser und besser.“ Pete Seeger und andere warnten, dass Phil Ochs sich künstlerisch damit langfristig in eine Sackgasse manövrieren würde. Beim Newport-Festival 1965 hämmert Dylan erstmalig zum Entsetzen der Folkgemeinde sein „Maggies Farm“ als Rockversion heraus. Phil Ochs verteidigt Dylan, im Unterschied zu Seeger. Während Ochs am Folk und konkreten politischen Texten, an seinem Topic festhält, textet Dylan immer verschlüsselter. Kommerziell ist er damit sehr erfolgreich. Ochs hingegen stürzt sich weiter in politische Aktivitäten und organisiert zwei große Antikriegsdemonstrationen in Los Angeles und New York.

Im Jahr 1968 überschlagen sich einige Ereignisse. Ochs tritt beim Waldeck-Festival auf. Für den Parteikonvent der Demokraten in Chicago besorgt er das Schwein Pigasus, das er mit den Spaßlinken Jerry Rubin und Abbie Hofmann als Präsidentschaftskandidaten nominiert. Sie halten beide großen US-Parteien für proimperialistisch. Das Establishment schlägt zurück, Phil kommt in Haft und der Reaktionär Richard Nixon wird Präsident. Die Ermordung Martin Luther Kings und Robert F. Kennedys zerstören weitere Hoffnungen auf progressive Veränderungen. In seinem düstersten Album „Rehearsels for Retirement“ (Proben für den Ruhestand) wird diese Stimmung bereits auf dem Cover sichtbar. Auf einem symbolischen Grabstein mit seinem Konterfei ist „Phil Ochs, gestorben in Chicago 1968“ zu lesen.

Trotz großer persönlicher Probleme tritt er im Oktober 1970 zusammen mit Joni Mitchell und James Taylor in Vancouver auf. Mit dem Erlös werden die Proteste von Greenpeace gegen die Atombombenversuche auf der Insel Amchitka in Alaska finanziert. Im Jahre 1971 besucht Ochs das Chile Salvador Allendes und tritt zusammen mit Victor Jara auf. Nach dem Putsch in Chile organisiert er ein Benefizkonzert für verfolgte Chilenen, unterstützt von Pete Seeger, Arlo Guthrie und Bob Dylan. Als der Krieg in Vietnam am 30. April 1975 endet, organisiert Ochs eine „War is over“-Kundgebung mit Harry Belafonte, Odetta, Joan Baez, Pete Seeger und anderen Künstlern in New York, Über 100.000 Menschen kommen in den Central Park. Phil Ochs und Joan Baez singen zusammen „There but for Fortune“. Er beschließt seinen Auftritt mit dem Lied „War is over“.

Im Jahre 1990 veröffentlicht Billy Bragg „I Dreamed I Saw Phil Ochs Last Night“. Neil Young covert 2014 die großartige Ballade „Changes“.

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"„Ich marschiere nicht mehr“", UZ vom 19. Dezember 2025



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