Es gilt das gesprochene Wort.
Liebe Genossinnen und Genossen,
ich will euch über Armutsverdrängung und Wohnraumverknappung in armen, migrantisch geprägten Stadtteilen berichten. Ich arbeite und lebe im Duisburger Norden, und wir sind dort in einer Stadtteilinitiative in Duisburg-Marxloh, der Initiative Marxloher Nachbarn, aktiv. Warum sind unsere Erfahrungen für die Partei wichtig? Wenn man Milliarden für Rüstung und Reiche umverteilt, braucht man einen Schuldigen für Kürzungen im Sozialbereich, kaputte Schulen und Kindergärten und knappe kommunale Finanzen. Dafür müssen, wie aktuell in den USA, arme migrantische Teile der Arbeiterklasse herhalten. Wir in Duisburg scheinen das Experimentierfeld für entsprechende Politik zu sein. Die Arbeitsministerin Bas und unser Oberbürgermeister Link, beide SPD und übrigens beide aus Duisburg-Walsum, einem Nachbarstadtteil von Marxloh, sind aktuell in den Schlagzeilen mit Forderungen gegen Sozialbetrug und Armutszuwanderung in arme Städte des Ruhrgebiets. Gemeint sind besonders Duisburg und Gelsenkirchen. Es werden häufig Arbeitsmigranten aus Bulgarien und Rumänien in den Fokus genommen. Diese würden mit mafiösen Strukturen Sozialbetrug begehen, kaum arbeiten, und dann Kindergeld und Sozialleistungen beziehen. Außerdem würden sie in sogenannten Problemimmobilien wohnen und den Stadtteil abwerten. Ich arbeite und engagiere mich seit Jahren in diesem Stadtteil. Ja, er ist arm. Direkt daneben liegt das größte Stahlwerk Deutschlands. Marxloh ist nicht groß. Es hat etwas über 20.000 Einwohner. Über 80 Prozent haben Migrationshintergrund, um die 60 Prozent keine deutsche Staatsbürgerschaft. Die Erwachsenen der Familien, die wir begleiten, arbeiten fast alle: bei Thyssen in der Industriereinigung über Subunternehmen, auf dem Bau, bei Amazon in Rheinberg, bei Paketdiensten, auch bei der städtischen Reinigungs- und Sicherheitsgesellschaft Octeo. In Duisburg gibt es über die Stadt mit der sogenannten „Task Force Problemimmobilien“ eine Sondereinheit, in der verschiedene städtische Behörden, aber auch das JobCenter, die Familienkasse gebündelt sind und die Häuser, meist unter dem Vorwand Brandschutz, räumen. Warum ist denn bei einer Räumung, bei der es um Brandschutz geht, die Kindergeldkasse dabei? Es wird mit dem Verlust des Wohnsitzes direkt der Bezug von Kindergeld abgemeldet. Falls die Stadt überhaupt alternativen Wohnraum anbietet, dies macht sie meist nur, wenn wir dabei sind und es fordern. Der muss dann von den Betroffenen selbst bezahlt werden. Man muss die Wohnung dann in drei Stunden räumen. Die Familien und Vermieter werden nie vorher informiert. Es betrifft fast ausschließlich Häuser in armen Stadtteilen mit migrantischer Bevölkerungsstruktur. Seit 2017 sind über 130 Häuser mit mehreren Wohnungen geräumt worden. Marxloh ist der mit Abstand betroffenste Stadtteil. Hier sind komplette Wohnkomplexe betroffen. Inzwischen wurden tausende Menschen, teilweise mehrmals, geräumt. Ein Interesse an Instandsetzung gibt es seitens der Stadt nicht, es wird sogar blockiert. Die meisten Häuser stehen seit Jahren leer. Wir versuchen, Öffentlichkeit zu schaffen, die Räumungen zu erschweren, zu skandalisieren und die Betroffenen zu unterstützen. In der Initiative arbeiten Betroffene aktiv mit. Wir organisieren mit ihnen Demonstrationen, Protestaktionen, Stadtteilfrühstücke, alternative Stadteilspaziergänge, anwaltliche Hilfen, Begleitung nach den Räumungen, Infoveranstaltungen. Insgesamt versuchen wir aber am meisten, die Räumungen zu erschweren. Dabei arbeiten wir eng mit einer lokalen Initiative, die Arbeitsmigranten aus Südosteuropa betreut, zusammen: Stolipinovo in Europa. Im Bereich der Wasserabstellungen in einem großen Wohnkomplex mit 57 Häusern und bis zu 800 Menschen konnte bisher die Abstellung und die in Folge drohende Räumung verhindert werden. Unseren Slogan „Wir bleiben“ kennt in Marxloh jedes Kind. Um es genau zu erzählen, fehlt leider die Zeit, schaut auf unsere Instagram-Seite und in die UZ-Berichte. Warum ist dies so wichtig für die Partei? Wir müssen wieder in die von Armut betroffenen Stadtteile hinein, wenn wir Widerstand entwickeln wollen und die Arbeiterklasse für ihre und unsere Interessen organisieren wollen. Arbeitsmigranten sind unsere Klassenbrüder und -Schwestern. Sie werden, und das meist erfolgreich, als Ursache für die Probleme des Kapitalismus dargestellt. Dies wirkt bei großen Teilen der deutschen Bevölkerung. Aber keiner würde mit einem von ihnen in Marxloh tauschen wollen. Unsere Partei kann gut analysieren, und ist auch in viele Bereichen aktiv. Im Bereich der häufig migrantisch geprägten armen Arbeits- und Wohnviertel in den Großstädten taucht sie aber kaum auf. Es gibt viel zu wenig Genossinnen migrantischer Herkunft. Wir müssen aber wieder vor Ort sichtbar sein und orientierend wirken, sonst wird das nichts mit dem Einfluss in der Klasse. Traut euch raus und kommt mit den Menschen ins Gespräch!