Zakiya Dalila Harris taucht mit „The other Black Girl“ in den Alltagsrassismus der Verlagswelt ein

Allein mit der inneren Angela Davis

Nella ist Lektoratsassistentin in einem renommierten New Yorker Verlag – und sie ist die einzige Schwarze, die dort arbeitet. Zumindest in ihrer Stellung, Hausmeister, Büroboten und Putzkräfte gibt es in ihrer Hautfarbe natürlich zuhauf. Als Nella eines Tages ein nicht unbekannter Geruch nach Haarbutter in die Nase steigt, während eine neue Kollegin durch die Büros geführt wird, kann sie ihren ersten Verdacht kaum glauben, doch tatsächlich: Die neue Kollegin ist schwarz.

Nella ist überglücklich. Zu lang hat sie allein versucht, in dem weiß dominierten Verlag auf Rassismus aufmerksam zu machen, auf schwarze Autoren, die verlegt werden sollten, und darauf, was denn tatsächlicher Inhalt der vielfach verordneten Diversitätspolitik sein sollte. Doch die Solidarität unter schwarzen Frauen, die sich Nella erhofft hat, gibt es mit Hazel, der neuen Kollegin, nicht.

Zakiya Dalila Harris hat, bevor sie die Möglichkeit hatte, ihren Brotjob aufzugeben, um „The other Black Girl“ zu schreiben, selbst im Verlagswesen gearbeitet. Sie weiß also, wovon sie schreibt, wenn sie das Verhältnis von Assistentin zur Lektorin und das von allen zum großen Verlagsleiter beschreibt, das Ringen um Änderungen mit den Autoren und die Auseinandersetzungen um die Gestaltung eines Covers. Und auch der Rassismus, der der Hauptfigur Nella subtil entgegenschlägt, dürfte für Harris keine unbekannte Größe sein.

Und so leiden wir mit Nella, wenn diese versucht, sich gegen einen selbstverliebten Autor und die ihn hofierende Lektorin durchzusetzen, weil die einzige schwarze Figur, die in einem Buch über die Opioid-Krise in den USA vorkommt, überzeichnet, stereotyp, kurz: rassistisch ist. Leiden deswegen, weil ihre Anmerkungen nicht ernst genommen werden. Die Lektorin ist entsetzt, der Autor beleidigt und Nella gezwungen, sich schriftlich zu entschuldigen, weil sie dem Weißen, der die Schwarze stereotyp darstellt, Rassismus unterstellt habe. Ihre direkte Chefin hat nach diesem Zusammenstoß anscheinend wenig Lust, weiter mit Nella zusammenzuarbeiten, enthält ihr Manuskripte vor und bezeichnet das Diversitätstreffen, das der Verlagschef nach dem Mord an George Floyd ins Leben gerufen hat, als Nellas „Privatvergnügen“. Dabei geht sie da selbst nicht gern hin, haben doch ihre weißen Kollegen allesamt kein Interesse daran, sich mit den tatsächlichen Verhältnissen zu beschäftigen, hieße das doch, sie zu erkennen, sie ändern zu müssen – und damit die eigenen Privilegien abzuschaffen. Mehr noch, selbst Nella wird nicht abgenommen, dass es ihr ernst ist: „Ihre Kolleginnen und Kollegen hatten ihr seltsamerweise schon früh zu verstehen gegeben, dass sie sie nicht als junge schwarze Frau betrachteten, sondern als junge Frau, die zufällig schwarz war – als ob ihr Collegeabschluss das ganze Melanin getilgt hätte. In deren Augen war sie eine Ausnahme. Sie war ‚qualifiziert‘. Sozusagen ein Obama der Verlagswelt.“

In dieser Situation also taucht Hazel auf, von der sich Nella Solidarität erhofft. Hazel ist selbstbewusst, hat Dreadlocks bis zum Po, wo Nella sich gerade erst entschlossen hat, die Haare nicht mehr zu glätten, sondern sich einen Afro wachsen zu lassen, wohnt im schwarz geprägten Stadtteil Bed Stuy, während Nella weiterhin im weiß geprägten Bay Ridge wohnt, gemeinsam mit ihrem weißen Freund, und hat – im Gegensatz zu Nella – einen Großvater, der während der Bürgerrechtsmärsche ermordet wurde. Sie verunsichert Nella, wirkt aber wie eine starke Verbündete, bis sie anfängt, Nella in den Rücken zu fallen und sich bei den Vorgesetzten Liebkind zu machen. Als Nella auf einer Verlagskonferenz aufsteht und, nur mit „ihrer inneren Angela Davis“ bewaffnet, gegen ein rassistisches Buchcover aufbegehrt, findet Hazel eben dieses „ganz fantastisch“.

Bei der Beantwortung der Frage, warum Hazel sich so benimmt, gleitet das Buch ins Phantastische. Was zunächst kurz irritiert, funktioniert im Verlauf von „The other Black Girl“ erstaunlich gut. Denn das Phantastische ist eine Metapher für die Realität, über die Mechanismen, die einsetzen, wenn das System dich besticht. Denn, mal Hand aufs Herz, welche Frau hat zum Beispiel in beruflichen Situationen beim hundertsten Mal darauf verzichtet, bei einer Besprechung mit Chef und Kollegen darauf hinzuweisen, dass sexistische Sprüche scheiße sind? Weil man müde ist, die gleiche fruchtlose Diskussion immer wieder anzufangen und auch – zumindest ein bisschen – beim nächsten coolen Projekt nicht schon wieder übergangen werden möchte, weil man „schwierig“ ist?

Zakia Dalila Harris hat in ihrem Roman, der trotz des Themas ein großes Lesevergnügen ist, die Ursache für dieses Verhalten in die Phantastik gelehnt. Wie schön, wenn es so wäre, denn dann wäre es leichter zu bekämpfen.


Zakia Dalila Harris
The other Black Girl
dtv, 467 Seiten, 12,95 Euro


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Über die Autorin

Melina Deymann, geboren 1979, studierte Theaterwissenschaft und Anglistik und machte im Anschluss eine Ausbildung als Buchhändlerin. Dem Traumberuf machte der Aufstieg eines Online-Monopolisten ein jähes Ende. Der UZ kam es zugute.

Melina Deymann ist seit 2017 bei der Zeitung der DKP tätig, zuerst als Volontärin, heute als Redakteurin für internationale Politik und als Chefin vom Dienst. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie bei der Arbeit für die „Position“, dem Magazin der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend.

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"Allein mit der inneren Angela Davis", UZ vom 7. Oktober 2022



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