Ampel will Sondertribunal gegen Russland

Am Völkerrecht vorbei

Kurz vor dem Treffen der EU-Justizminister in Brüssel am Freitag vergangener Woche stellte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) der Hauptstadtpresse die neuen „Eckpunkte zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts“ vor. Die „besondere historische Verantwortung Deutschlands“ gebiete es, „in Ansehung des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges gegen die Ukraine (…) schmerzhafte Strafbarkeitslücken“ zu schließen. Gemeint ist die strafrechtliche Verfolgung russischer Regierungsmitglieder durch ein internationales Gericht.

Auffällig ist, dass in den bürgerlichen Leitmedien keinerlei Berichte über das Ergebnis der Konferenz der EU-Justizminister zu lesen sind. Erfolgsmeldungen sucht man vergeblich. Buschmann und seine EU-Kollegen haben sich juristisch und politisch in eine Sackgasse manövriert. Sämtliche Bemühungen auf internationaler Ebene, ein völkerrechtlich legitimiertes Tribunal gegen die Führung Russlands zu initiieren, sind bis dato fehlgeschlagen. Der Internationale Gerichtshof (IGH) kann nicht tätig werden, weil Russland das Mitgliedsstatut nicht unterzeichnet hat. Der UN-Sicherheitsrat kann den IGH nicht mit der Strafverfolgung beauftragen, da die russische Vertretung im Rat ihr Veto-Recht ausübt. Eine Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen (UN) ist nicht durchsetzbar, da die NATO-Staaten und die Mitgliedsländer der Europäischen Union (EU) die hierfür notwendige Mehrheit nicht zusammenbekommen. Übrig bleibt die Idee von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), ein „Sondertribunal“ gegen die russische Führung einzurichten.

Jenseits von Völkerrecht und UN-Charta soll eine „Koalition der Willigen“ der Ukraine bei der Installation eines Sondergerichtshofs zur Seite stehen. Laut Andrij Melnyk, dem ukrainischen Vize-Außenminister und früheren Botschafter in Deutschland, soll es eine neue „Anklagebank des Nürnberger Tribunals 2.0“ werden. Der Göttinger Professor für Straf- und Völkerrecht und Richter beim Kosovo-Sondertribunal in Den Haag Kai Ambos betont die „fragwürdige Legitimität“ eines solchen Tribunals, das nur ohne UN-Mandat installiert werden kann. Hinzu käme „unsere Doppelmoral, die uns unglaubwürdig erscheinen lässt, wenn wir eine regelbasierte Völkerrechtsordnung proklamieren“, wie Ambos im Interview mit der „taz“ erklärte. Der Völkerrechtler verwies unter anderem auf die Verstöße der USA gegen das Gewaltverbot, wie die Invasion im Irak und die „extraterritorialen Hinrichtungen im Rahmen des sogenannten Kriegs gegen den Terror“.

In puncto Ignoranz gegenüber dem Völkerrecht kennen sich die Vereinigten Staaten in der Tat besonders gut aus. 30 mal (zuletzt im Jahr 2022 mit 185 gegen 2 Stimmen) wurden sie von den Vereinten Nationen vergeblich aufgefordert, die Blockade Kubas aufzuheben. Die zwei Gegenstimmen bei der letzten Abstimmung stammten von den USA und Israel, die Ukraine und das von Jair Bolsonaro regierte Brasilien hatten sich enthalten. Auf die bloße Ankündigung des Internationalen Gerichtshofes im Jahre 2018, es sei beabsichtigt, Ermittlungen wegen Menschenrechtsverletzungen der US-Truppen in Afghanistan einzuleiten, warnte der damalige Sicherheitsberater der US-Regierung, John Bolton: „Wir lassen den Internationalen Strafgerichtshof sterben.“ Das Völkerrecht hält NATO und EU den Spiegel vor, von einer Zeitenwende ist dort nichts zu sehen.

Über den Autor

Ralf Hohmann (Jahrgang 1959) ist Rechtswissenschaftler.

Nach seinen Promotionen im Bereich Jura und in Philosophie arbeitete er im Bereich der Strafverteidigung, Anwaltsfortbildung und nahm Lehraufträge an Universitäten wahr.

Er schreibt seit Mai 2019 regelmäßig für die UZ.

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"Am Völkerrecht vorbei", UZ vom 17. März 2023



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