Bericht von einem besonderen Seminar

Beim Arbeiterlied ansetzen

Rüdiger Deißler und Thomas Ewald

Unter dem Titel „,Wessen Morgen ist der Morgen?‘ Politische Lieder singen und ihre Geschichte erkunden“ boten Arbeit und Leben im Kreis Herford DGB/VHS e. V. und die Rosa-Luxemburg-Stiftung Nordrhein-Westfalen Ende September 2025 einen einwöchigen Bildungsurlaub an, in dem die Teilnehmerinnen und Teilnehmer viele Möglichkeiten hatten, aktiv in die Tradition des Arbeiterlieds einzutauchen. Der Liedermacher Kai Degenhardt bot einen theoriegeleiteten Zugang zum Genre, interpretierte zahlreiche ausgewählte Arbeiterlieder und erläuterte ihre Entstehung. Zur kritischen Betrachtung diente auch sein 2023 bei PapyRossa erschienenes Buch „Wessen Morgen ist der Morgen – Arbeiterlied und Arbeiterkämpfe in Deutschland“.

Mit dem Gesangs-„Duo Cuppatea“ Sigrun und Joachim wurde es konkret und praktisch. Die Lieblingslieder der Teilnehmer wurden eingeübt und gesungen: „Die Arbeiter von Wien“, „La Lega“, „Bet’ und Arbeit“, „Bella Ciao“ und – besonders aktuell – „Die Resolution der Kommunarden“. Mitgebrachte Instrumente wie Klarinette, Gitarre und Akkordeon kamen zum Einsatz.

Arbeiterlieder sind ein spezieller Teil der Traditionen der Arbeiterbewegung. Sie spiegeln auf besondere Weise die vielfältigen Kämpfe und Streiks der arbeitenden Menschen für Arbeitszeitverkürzung, Frieden, Völkerverständigung, gegen den Krieg und für ein „gutes Leben“ wider. Immer waren diese Auseinandersetzungen der Anlass für die Entstehung neuer Lieder. Diese Lieder berühren uns und vermitteln auch heute, dass die „Gesellschaft der Freien und Gleichen“ – jenseits der Herkunft, des Geschlechts, der Hautfarbe oder Religion – notwendig ist.

Denkwürdig wird der Donnerstag bleiben. Wir Teilnehmer sollten eigenhändig ein Lied produzieren. Die Theorieeinheit „Wie schreibt man Lieder?“ bot Orientierung. Anlass, Thema und Gefühl sollten den Plan und Absicht der Textproduktion und die musikalische Form bestimmen. Dabei konnte auch auf historische Vorbilder zurückgegriffen werden. So entstanden anlassbezogen auch viele Arbeiterlieder zu gängigen Melodien (zum Beispiel Volks- und Soldatenlieder). Silbenfall, Satzmelodie, Reime und Singbarkeit bestimmen auch Arbeiterlieder. Eine Arbeitsgruppe hauchte dem Bundeslied „Bet’ und Arbeit“ neues Leben ein.

Zum Abschluss durfte natürlich ein Konzert nicht fehlen. Nach dieser Woche Bildungsurlaub wünschten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Neuauflage im kommenden Jahr.

Kai Degenhardt
Wessen Morgen ist der Morgen?
Arbeiterlied und Arbeiterkämpfe in Deutschland
PapyRossa Verlag, 215 Seiten, 16,90 Euro
Erhältlich unter uzshop.de

Bildungsurlaub ist mehr als nur berufliche Weiterbildung! Wer meint, dass man seinen Bildungsurlaub mit Excel-Kurs oder Business-Englisch verbringen muss, liegt falsch. Picasso in Barcelona, Anti-Stress-Training, Theaterkurse oder eben ein Seminar zum Arbeiterlied – all das ist möglich im Bildungsurlaub. Fünf Tage Bildungsurlaub pro Kalenderjahr stehen jedem zu – außer in den Bundesländern Bayern und Sachsen. Wer da lebt, guckt in die Röhre.

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"Beim Arbeiterlied ansetzen", UZ vom 24. Oktober 2025



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