Jenny Farrells „Widerstand und Befreiung“ schärft den marxistischen Blick auf irische Literatur

Dem literarischen Klassenkampf folgend

Im Vorwort zu „Widerstand und Befreiung – Essays über irische Literatur“ schreibt der Neue Impulse Verlag: „Fragt man im persönlichen Umfeld auch unter deutschen Linken spontan nach irischen Schriftstellern, geraten selbst belesene nach Beckett, Joyce, Shaw oder Wilde ins Stocken.“

Dass es regelmäßigen Leserinnen und Lesern der UZ nicht so geht, sondern sie wie selbstverständlich unter anderem O’Casey, Behan und Plunkett aufzählen, haben sie vor allem der Autorin Jenny Farrell zu verdanken. Ihre Essays sind es, die nun in „Widerstand und Befreiung“ gesammelt vorliegen. Und darin gibt es auch für UZ-Leserinnen und -Leser noch einiges zu entdecken.

Jenny Farrell entreißt in ihren Essays die irische Literatur der kitschig-romantischen Vorstellung des deutschen Blickes und ordnet sie ein in die Geschichte des kolonisierten Irland, in die Klassenkämpfe vergangener und heutiger Zeit. Sie schlägt den Bogen von „Der Rinderraub“ (Táin Bó Cúailnge), dem ältesten Dokument alt­irischer Literatur, das bis zu den Kelten der Eisenzeit zurückreicht, bis zu einer Analyse von Paul Lynchs „Das Lied des Propheten“, das in diesen Tagen auf Deutsch erscheint (siehe unten).

Farrell gelingt es dabei nicht nur, den Leserinnen und Lesern einen Eindruck der reichen literarischen Geschichte Irlands und einen Überblick über die komplizierte politische Geschichte des Landes zu geben. Wer ihre Essays liest, bekommt einen Zugang zu marxistischer Literaturwissenschaft und lernt Poesie, Prosa und Theater im Zusammenhang seiner Zeit und seiner Klassensituation zu betrachten. Ähnlich wie in ihren Beiträgen zu bildender Kunst (siehe unter anderem UZ vom 6. September zu Caspar David Friedrich) gelingt es Farrell, sich in ihren Betrachtungen von Literatur nicht nur auf den objektiven Inhalt einer Erzählung zu stützen, sondern aus Ausschnitten auf das große Ganze zu kommen – und all das, ohne den Leser zu bevormunden. Im Gegenteil, mit ihren Essays lädt Farrell dazu ein, selbst zu denken.

Mit „Widerstand und Befreiung“ fordert Jenny Farrell Leserinnen und Leser dazu auf, sich näher mit irischer Literatur und den Folgen des britischen Kolonialismus zu beschäftigen. Dort treffen wir auf Rebellen unterschiedlichster Art: Auf den sagenumwobenen Cú Chullain, auf dessen Schultern das Schicksal Ulsters ruhen soll, über den realen Sean O’Casey, der es als erster englischsprachiger Autor aus dem Proletariat auf die Weltbühnen gebracht hat, und Brendan Behan, der sein Leben als schreibender Rebell verbrachte, bis hin zur noch jungen Erfolgsautorin Sally Rooney. Diese verweigerte einem israelischen Verlag die Übersetzungsrechte an einem ihrer Romane – aus Solidarität mit dem palästinensischen Volk.

„Widerstand und Befreiung“ ist eine Fundgrube – nicht nur für Irland-Interessierte und Literaturfans. Es öffnet die Augen für den Einfluss des Klassenkampfes auf die Literatur und für die Unkompliziertheit, mit der sich auch schwierige Werke mit marxistischer Sicht erschließen lassen. Die Essaysammlung rückt auch den Stellenwert von Literatur in den Fokus. Deren Einfluss auf den Klassenkampf ist nicht zu gering zu schätzen. Sie ist Werkzeug auf beiden Seiten der Barrikade, wer sie zu nutzen weiß, ist im Vorteil.

Jenny Farrell weiß sie zu nutzen.

Jenny Farrell
Widerstand und Befreiung
Essays über irische Literatur
Neue Impulse Verlag, 233 Seiten, 24,80 Euro
Erhältlich unter uzshop.de

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"Dem literarischen Klassenkampf folgend", UZ vom 27. September 2024



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