Am 30. Juni stimmte eine Mehrheit von 14 zu 2 Abgeordneten – darunter Vertreter der Oppositionsparteien Yesh Atid und ha-Machane ha-Mamlachti – im Parlamentsausschuss der Knesset für die Amtsenthebung des Abgeordneten Ayman Odeh. Odeh ist Palästinenser mit israelischer Staatsbürgerschaft und Vorsitzender des Wahlbündnisses Chadash, das aus MAKI (Kommunistische Partei Israels), der Vereinigten Liste (aus mehreren arabischen Parteien) und anderen linken Organisationen besteht. Nur zwei Abgeordnete stimmten gegen seine Absetzung. Die linksliberale Tageszeitung „Haaretz“ schrieb dazu tags darauf: „Das war keine Abstimmung über eine Frage der Geschäftsordnung, sondern eine Abstimmung, die einen direkten Einblick in die kranke Seele der israelischen Gesellschaft bot, die sich in der Knesset widerspiegelt.“ Der folgende Beitrag ist in der US-Online-Zeitung „People‘s World“ erschienen. Er widmet sich anlässlich der Amtsenthebung Odehs der Frage, ob Israel als Demokratie bezeichnet werden sollte.
Expertinnen und Experten für Menschenrechte und Völkerrecht sind schon lange einig, dass Israel ein Apartheidstaat ist. Die jüdische Bevölkerungsmehrheit genießt Rechte und Privilegien, während der palästinensischen Minderheit – vor allem jenen Menschen, die unter Besatzung, Militärherrschaft und völkermörderischer Gewalt leben – dieselben Rechte systematisch vorenthalten werden.

Angesichts dieser Realität verweisen Israels Verteidiger gerne auf die wenigen palästinensischen Abgeordneten in der Knesset als Beweis für demokratischen Pluralismus. „Sehen Sie doch“, sagen sie: „Die arabischen Bürgerinnen und Bürger können doch wählen, sie haben sogar Vertreter im Parlament.“ Die Knesset hat mit der Amtsenthebung des Abgeordneten Ayman Odeh einmal mehr klargestellt, dass eine solche Vertretung keine demokratische Gleichberechtigung bedeutet.
Odeh hat sein Leben dem Einsatz für Arbeiter- und Menschenrechte sowie für ein friedliches Zusammenleben von jüdischen und arabischen Menschen gewidmet. Nach allem, was man hört, ist er „a mentsch“, wie man auf Jiddisch einfach sagt, eine integre und aufrichtige Person und ein prinzipientreuer, mutiger führender Aktivist, der das parlamentarische System genutzt hat, um angesichts der Unterdrückung für Gleichberechtigung zu kämpfen.
Im Mai hatte Odeh es auf einer Demonstration gegen den völkermörderischen Krieg Israels gegen Gaza jedoch gewagt, eine unangenehme Wahrheit auszusprechen:
„Nach mehr als sechshundert Tagen gibt es nun unter beiden Völkern eine Mehrheit, die sagt: ‚Ich wünschte, es wäre nie so weit gekommen.‘ Das ist eine historische Niederlage der Rechten. Sie wurde in Gaza besiegt. Gaza hat gesiegt und Gaza wird siegen.“
Für diese Worte wird Odeh nun der „Unterstützung von Terrorismus“ beschuldigt.
Rechtsradikale Abgeordnete der Regierungskoalition von Netanjahu stürzten sich sofort darauf. Ofir Katz, Likud-Abgeordneter und Vorsitzender des Ausschusses, der das Amtsenthebungsverfahren betreibt, schrie Odeh an: „Ihre Anwesenheit beschmutzt die Knesset!“ und brandmarkte ihn als „Terroristen“. Katz ging sogar so weit, zu behaupten, Odeh stehe für „die achte Front“ in Israels Mehrfrontenkrieg. Osher Shkalim, ein weiterer Likud-Abgeordneter, ging noch weiter und brüllte, dass man Odeh „in einem anderen Land vor ein Erschießungskommando stellen“ würde.
Odeh wurde auch vorgeworfen, dass er im Januar Freude über einen Gefangenenaustausch gezeigt hatte, als sowohl Israel als auch Hamas Gefangene freiließen. Er hatte sich darüber erfreut gezeigt, dass Familienmitglieder – auf beiden Seiten – wieder vereint waren. Für die ultranationalistischen israelischen Abgeordneten kommt die Anerkennung der Tatsache, dass auch Palästinenser Menschen sind, schon einer Unterstützung von Terrorismus gleich.
Es ist jedoch nicht das erste Mal, dass die Knesset versucht, palästinensische und propalästinensische Stimmen zum Schweigen zu bringen. Es ist nur das jüngste und vielleicht dreisteste Beispiel.
Im Jahr 2023 wurde die Abgeordnete Aida Touma-Suleiman – ebenfalls von Chadasch – für zwei Monate suspendiert, weil sie israelische Kriegsverbrechen im Gazastreifen zur Sprache gebracht hatte. Anfang 2024 versuchte die Knesset, den jüdischen Chadasch-Abgeordneten Ofer Cassif des Amtes zu entheben, weil er die südafrikanische Klage gegen Israel wegen Völkermordes vor dem International Gerichtshof öffentlich unterstützt hatte. Im Plenum fehlten nur fünf Stimmen gegen Cassif für die Amtsenthebung; später wurde er für sechs Monate suspendiert.
Das ist ein altes Muster. Sowohl 2003 als auch 2009 versuchte die Wahlkommission der Knesset, Ahmad Tibi, den Vorsitzenden der Partei Ta‘al (Arabische Bewegung für Erneuerung), von der Wahl auszuschließen. Sein Vergehen? Er hatte einst als Berater für Jassir Arafat, den Vorsitzenden der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) gearbeitet, die international anerkannte Vertretung des palästinensischen Volkes. Das israelische Oberste Gericht hob den Ausschluss zwar in beiden Fällen auf, doch die Versuche zeigten, wie das System vorgeht, um Palästinenser auszuschließen, die ihm zu selbstbewusst, zu unabhängig oder zu prinzipienfest sind.
Die Stellung der palästinensischen Abgeordneten in Israel und wie sie vom Staat behandelt werden sind alles andere als ein Beweis gegen die Bezeichnung als Apartheidregime. Der Staat duldet ihre Anwesenheit, und auch das nur, solange sie schweigen oder symbolische Funktionen ausüben. Sobald sie unbequem werden, werden sie zum Schweigen gebracht.
Und so schwindet der Mythos von der israelischen Demokratie weiter. Israel zeigt sein wahres Gesicht nicht nur auf den Straßen von Gaza oder im Schutt von Rafah, sondern selbst im Abgeordnetenhaus, das angeblich alle Bürger Israels vertritt.