Der Dokumentarfilm „Gaucho Gaucho“ jetzt im Kino

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte

Das von Hollywood-Star Robert Redford seit Jahren geförderte Sundance-Filmfestival im US-Bundesstaat Utah steht heute als ernst zu nehmender Faktor zwischen dem Hollywood-Mainstream, der die Kommerzkinos weltweit dominiert, und dem künstlerisch anspruchsvolleren Arthouse-Kino europäischer Prägung. Letzteres kann seine Projekte manchmal nur mit Fördermitteln und Kooperation aus Sundance realisieren, wenn deren künstlerischer Anspruch die Geldgeber im eigenen Land überfordert, den kommerziellen Erwartungen der Hollywood-Konzerne aber nicht genügt.

Geradezu ein Paradebeispiel für solche Kooperation – mit den fälligen Vor- und Nachteilen – ist der heute in unseren (Arthouse-)Kinos anlaufende Film „Gaucho Gaucho“ vom Regie-Duo Michael Dweck und Gregory Kershaw. Schon für Dwecks „The Last Race“ (2018) war Kameramann Kershaw überschwänglich gelobt worden. Seither arbeiten die beiden als Duo und holten sich mit „The Truffle Hunters“ (2020) die Preise renommierter Festivals gleich reihenweise, unter anderem in Sundance. „Gaucho Gaucho“ bekam aus Sundance daraufhin Starthilfe in einer Opulenz, von der andere Dokumentarfilmer nur träumen können. Das erlaubte es Dweck/Kershaw, das übrige Team überwiegend mit regionalen Spezialisten zu besetzen und mit größeren Drehpausen zu drehen.

Ausgedehnte Beobachtungen im Alltag, Leben und Arbeiten der Gaucho-Familien im ständig vom Wassermangel bedrohten nordwestlichen Viehzuchtgebiet Argentiniens erbrachten so eine ungewöhnliche Materialfülle. Auf Nachinszenierungen, wie sie TV-übliche „Dokumentationen“ als Anleihen beim Spielfilm einzusetzen versuchen, konnte man so verzichten und dem Film durch kluge Auswahl atemberaubend schöner Schwarzweißbilder eine Ästhetik geben, die „Gaucho Gaucho“ beinahe zu einem eigenen Filmgenre adeln. Typisch schon eine der Anfangssequenzen: Drei Gauchos reiten, nein, schweben in Parallelfahrt und Zeitlupe – musikalisch begleitet vom Ohrwurm-Duett aus Bizets Oper „Die Perlenfischer“ – durch die karge, in ausladendem Scopeformat gefilmte Steppe. Später stellen sich drei der Protagonisten zu einem traditionellen Ritual, das die Wettergötter anruft, „ordentlich“ vor der Kamera auf. Noch bestärkt wird solche Ästhetisierung durch die starre Zentrierung der Totalen, das „edle“ Schwarzweiß der Kamera, die im Superbreitwandformat posterfähige Bilder im Dutzend liefert.

Ist das unzulässige Schönfärberei? Darf man sich von soviel Schönheit einlullen lassen, wie es strenge Kritiker befürchten? Gewiss, die Aussicht auf actionreiche Bilder aus sozialen Konflikten öffnet reisenden Filmemachern leichter die Schatullen medialer Geldgeber, aber die Welt der Gauchos kann mit solchen Konflikten nicht dienen. Deshalb sind die Konflikte hier von subtilerer Art, daher der radikale Verzicht auf Kommentierung. Als ausgewiesene Kameraleute nutzen Dweck und Kershaw die Sprache der Bilder. Drei der Gauchos stoßen erleichtert ein Dankgebet aus: sie haben ein von einem Puma gerissenenes, blutendes Kalb gerade noch gerettet. Doch da löst ein genialer Schnitt (Gabriel Rhodes) ihre Erleichterung in die Realität auf: Ein ganzer Schwarm am Himmel kreisender Andencondore führt die wahren Sieger dieses Überlebenskampfs ein.

Der alte Spruch gilt erneut: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Rührend altmodisch und zeitlos das Bild von zwei Jungs, die das Messerschleifen lernen und mit Gummischleuder ihre Schießkünste messen. Zeichen von verhaltenem „Fortschritt“ zeigt Santito, der per Fahrrad Zeitungen austrägt und über das Lokalradio das Dorf zum nächsten Rodeo-Turnier einlädt. Der graubärtige Methusalem Lelo, der seine 84 Jahre in dieser von Männern geprägten Gesellschaft gelebt hat, schildert sein Leben als eine Folge erotischer Eroberungen, ohne Einwände vom anderen Geschlecht befürchten zu müssen. Schlechte Aussichten für die 17-jährige Gaucha Guada Gonza, die sich von ihrer traditionellen Gaucho-Kluft auch in der Schule nicht trennen will. Tapfer wehrt sie sich gegen die Lehrerin, die auf der Schuluniform besteht, im nächsten Bild – vielleicht dem traurigsten der Filmgeschichte – steht sie allein, gekleidet wie sie will, aber getrennt von den „braven“ Mitschülerinnen.

Gaucho Gaucho
Dokumentarfilm
Regie: Michael Dweck und Gregory Kershaw
Im Kino

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"Ein Bild sagt mehr als tausend Worte", UZ vom 12. September 2025



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