Zu Leserbrief „Deflation ist ein ­Problem“, UZ vom 13. Juni

Ein Blick nach Afrika

Wolfram Elsner, Bremen

Deflation als Mangel an gesamtwirtschaftlicher Nachfrage zu beschreiben ist leider nur die halbe Wahrheit. Gerade für China ist diese traditionelle Diagnose für kapitalistische Systeme irreführend. Ja, die Chinesinnen und Chinesen sind im Konsum seit Null-Covid zurückhaltend, haben immer noch eine sehr hohe Sparquote. Aber China hat es praktisch geschafft, den privaten Konsum wieder anzukurbeln. Und auf ausbleibende Investitionen (bei Deflation) zu verweisen, ist für China völlig daneben. Die Investitionsquote ist so hoch wie nirgendwo im Kapitalismus. Die geringe Inflation und die sinkenden Preise in China kommen vielmehr von der Produktions- und Angebotsseite und sind Ausdruck erhöhter gesamtwirtschaftlicher Produktionseffektivität: Qualifizierte Arbeitskräfte, hohe technische Innovationsrate, effektive und vollständige Wertschöpfungsketten und regionale Wirtschaftscluster, modernste, kostenlose physische und Service-Infrastrukturen, sichere Rohstoff- und Energieversorgung, agile öffentliche Dienstleister, und eine Wettbewerbsstruktur, die etwas wieder hergestellt hat, was die kapitalistische Industrie seit 130 Jahren nicht mehr kennt: Preiswettbewerb. Also: Was ist schlecht daran, wenn sich Berufsanfänger und junge Familien in China modernste E-Autos für 10.000 bis 20.000 Euro leisten können? Und zum angeblich schlimmen Deflationsexport sollte Markus Bernd mal die Afrikaner befragen, die kleine chinesische E-Pickups für 2.000 Euro bekommen, Handys für 10 Euro und sich Solarmodule leisten können und so ihre Industrie aufbauen können (und China nimmt die jungen afrikanischen Industrieexporte zollfrei ab). Marx zum Kapitalismus des 19. Jahrhunderts zu zitieren, geht hier in die falsche Richtung: China hat Kapitalisten und Märkte, aber ist als System eben kein Kapitalismus und schon gar keiner des 19. Jahrhunderts.

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