Erster Tarifvertrag in der Branche erkämpft – Medien warnen vor Preissteigerungen

Es gibt keine Lohn-Dönerpreis-Spirale!

Der Arbeitskampf der Beschäftigten des Dönerfleischherstellers Birtat in Murr nahe Stuttgart war erfolgreich: Nach Monaten von Verhandlungen und Warnstreiks sowie eine Woche, nachdem sich die Kolleginnen und Kollegen in einer Urabstimmung für die Aufnahme eines unbefristeten Streiks entschieden hatten, hat die Geschäftsleitung kapituliert. Am 8. August schloss sie mit der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) einen Tarifvertrag ab. Es ist der erste Tarifvertrag in dieser Branche.

Das Management hatte sich lange vehement gegen den Abschluss eines Tarifvertrags ausgesprochen. Jetzt könnte dieser Abschluss eine Signalwirkung für die ganze Branche haben. Bei Baden-Württembergs größtem Produzenten von Dönerspießen sind die Beschäftigten nun tarifvertraglich abgesichert. Die Löhne werden angehoben, und die Willkür bei der Eingruppierung hat ein Ende.

Der Tarifabschluss sei „ein historisches Ergebnis in der Dönerfleischbranche und ein Erfolg der Beschäftigten“, so NGG-Verhandlungsführerin Magdalena Krüger. Rund 90 Prozent der befragten Gewerkschaftsmitglieder stimmten für die Annahme. Der Tarifvertrag sieht einen Einstiegslohn von 2.600 Euro brutto und eine zweistufige Lohnerhöhung von bis zu 17 Prozent in der Spitze vor. Die Laufzeit beträgt 17 Monate, also bis Ende 2026. Die Tarifparteien haben sich zudem verpflichtet, während der Laufzeit einen Tarifvertrag zur Eingruppierung sowie einen Manteltarifvertrag zu verhandeln.

Das ist ein respektables Ergebnis für diese kleine kämpferische und solidarische Belegschaft mit rund 120 Beschäftigten.

Bisher wurden die Kolleginnen und Kollegen mit nur 2.300 Euro abgespeist – für einen Knochenjob bei niedrigen Temperaturen. Die Spieße, die sie herstellen, wiegen bis zu 120 Kilogramm. Da sind die 2.600 Euro immer noch niedrig, zumal die Region Stuttgart teuer ist. Das Durchschnittseinkommen liegt hier zurzeit bei über 4.000 Euro.

Kaum war die Meldung zur Tarifeinigung veröffentlicht, titelte die „Stuttgarter Zeitung“ am 8. August: „Knackt der Döner bald die Zehn-Euro-Marke?“ Mit Verweis auf Birtat hieß es weiter: „Doch mit höheren Löhnen steigen auch die Produktionskosten – und diese könnten langfristig auf die Dönerpreise in der Region durchschlagen.“ Damit wird die übliche Hetze und das übliche Märchen der Lohn-Preis-Spirale bedient.

Die Dönerpreise sind seit Jahren gestiegen – auch ohne Tarifvertrag. Während die Preise von 2016 bis 2019 relativ stabil bei etwa 4 Euro lagen, stiegen sie zu Beginn der 2020er Jahre auf 5 Euro, 2023 auf 6 Euro und Anfang 2023 sogar auf 7 Euro. Mittlerweile liegt der durchschnittliche Dönerpreis bei rund 9 Euro – eine Verdoppelung innerhalb von sechs Jahren.

Die Dönerpreisinflation liegt im Schnitt seit 2019 bei über 20 Prozent jährlich und damit weit oberhalb der offiziellen Inflationsrate – trotz Niedriglöhnen und miesen Arbeitsbedingungen. Die Ursachen liegen woanders. Zutaten wie Rindfleisch, Mehl und Kohl sind teurer geworden, außerdem sind Miet- und Energiekosten gestiegen. Und so manches Milliönchen wird seinen Weg in die Taschen der Birtat-Eigentümer gefunden haben.

Verwunderlich ist auch die große Preisspanne: In Flensburg, der Stadt mit den teuersten Dönern, liegt der Preis bei 9,77 Euro. Den günstigsten Döner gibt es in Halle für 5,79 Euro.

Neben dem Märchen von der „Lohn-Dönerpreis-Spirale“ wurden auch Ängste geschürt, dass die „fleischige Kulttasche“ bald knapp werden könnte, sollte der Streik länger andauern. So hieß es am 6. August in der Tagesschau: „Sollte es in nächster Zeit aber zu längeren Streiks kommen, könnte die Versorgung mit Dönerfleisch bei dem einen oder anderen Imbiss knapp werden.“

Dabei handelt es sich um die immer gleiche Medienkampagne gegen Arbeitskämpfe: Streiken die Amazon-Mitarbeiter, wird spekuliert, ob bestellte Waren rechtzeitig ausgeliefert werden können. Streiken die Brauer, droht den Deutschen ihr liebstes Getränk, das Bier, auszugehen. Solidarische Unterstützung für Streikende gibt es in den wenigsten Medien. Die muss sich die Arbeiterklasse selbst organisieren. Und das macht sie auch, wie die zahlreichen Solidaritätsgrüße für die streikenden Birtat-Kolleginnen und -Kollegen zeigen.

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