Zur Durchsetzung ihrer Kriegspolitik setzen EU und BRD auf Repression. Es trifft Journalisten, humanitäre Helfer und kulturelle Einrichtungen – gemeint sind wir alle

Gegen die verordnete Russophobie

Alexander Kiknadze

Seit gut zwei Jahren nimmt die Repression gegen Kriegsgegner in Deutschland zu. Es kam zu Verboten von Vereinen und Vereinigungen und einem Anstieg von Verfahren wegen „Volksverhetzung“ oder der „Billigung von Straftaten“. In diesem Jahr kamen Personensanktionen hinzu, die darauf gerichtet sind, Existenzen zu zerstören. Betroffen und in der Öffentlichkeit war meist die Palästina-Solidarität, aber auch Menschen, die sich der verordneten Russophobie entgegenstellen, sind im Visier. Mit aller Härte soll die Opposition auf der Straße, in den Medien und in der Kultur ausgeschaltet werden. EU und BRD bewegen sich Richtung Kriegsrecht, wie folgende Schlaglichter zeigen.

Sanktionen gegen Journalisten

Im Mai 2025 wurden im 17. Sanktionspaket der EU die Journalisten und Blogger Alina Lipp, Thomas Röper und der Gründer des red.media-Kollektivs, Hüseyin Dogru, auf die EU-Sanktionsliste für „russische Destabilisierungsversuche“ gesetzt. Diese Woche wurde der ehemalige Oberst der Schweizer Armee, Jacques Baud, mit Sanktionen belegt. Was das bedeutet, zeigt eine Anfrage der Tageszeitung „junge Welt“ beim Bundeswirtschaftsministerium. Die Zeitung fragte im Oktober 2025, ob sie Dogru als Redakteur anstellen könne. Das Ministerium erklärte, dass in diesem Fall das sogenannte Bereitstellungsverbot greife. Einer von der EU sanktionierten Person wie Dogru dürften „keinerlei wirtschaftliche Vorteile mehr zugutekommen“ – auch nicht für Lohnarbeit. Ein Verstoß gegen das Bereitstellungsverbot stelle eine Straftat dar.

Gegen diese Rechtsauffassung des Bundeswirtschaftsministeriums steht die Auffassung von Juristen, die am 11. November 2025 im Rahmen einer Anhörung zur rechtlichen Bewertung dieser Sanktionen durch den Europäischen Rat vorgetragen wurde. Aus ihrer Sicht verstößt das aktuelle EU-Sanktionsregime gegen Einzelpersonen wegen angeblicher „Desinformation“ in zahlreichen Punkten gegen EU- und Völkerrecht. Die Maßnahmen seien rechtlich fehlerhaft, unverhältnismäßig und nicht mit den Grundrechten vereinbar.

Kriminalisierung humanitärer Hilfe

Ende Mai 2025 gab es bei Mitgliedern des Vereins Friedensbrücke-Kriegsopferhilfe e. V. Hausdurchsuchungen und Haftbefehle im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts auf Paragraph 129a (Bildung einer terroristischen Vereinigung) und Paragraph 129b (Kriminelle und terroristische Organisationen im Ausland). Der Verein organisiert unter anderem Solidaritätsprojekte für die Bevölkerung im Donbass. Im Ermittlungsbefehl des Generalbundesanwalts wurden die Volksrepubliken Donezk und Lugansk als terroristische und kriminelle Organisationen eingestuft, da sie „die Ostukraine“ – ähnlich wie der IS Gebiete in Syrien und im Irak – ab 2025 „besetzt“ hätten. Humanitäre Hilfe für diese Gebiete sei daher Terrorunterstützung. Diese Rechtsauffassung stammt aus der Ukraine, die damit unter anderem den Beschuss von Zivilisten im Donbass legalisiert. Sie widerspricht dem Kriegsvölkerrecht, das zwischen Zivilisten und Kombattanten unterscheidet, wurde jedoch vom Generalbundesanwalt übernommen.

Gegen ein Mitglied des Vereins, Liane Kilinc, wurde eine regelrechte Hetzjagd organisiert. In einer koordinierten Recherche von WDR, NDR, „Süddeutscher Zeitung“ und „Monitor“ habe man herausgefunden, dass Kilinc dem russischen Geheimdienst FSB zugearbeitet haben soll. Anders als Kilinc öffentlich behaupte, leiste ihr Verein viel umfangreichere Lieferungen in den Donbass als bisher bekannt. Auswertungen von Social-Media-Accounts würden zeigen, dass sie offenbar auch militärisch nutzbare Güter wie Drohnenteile, Drohnenabwehrtechnik und Tarnnetze in größerem Umfang an die Front gebracht habe. Das russische Dokument, das diese Vorwürfe beweise, stamme aus einem Datensatz, der dem Londoner „Dossier Center“ – finanziert vom russischen Oligarchen Michail Chodorkowski – vorliege und den man habe einsehen können. Außerdem habe Kilinc einem russischen Kontakt regelmäßig Informationen aus Deutschland über Militärkonvois und Stellenanzeigen von Rüstungsunternehmen zukommen lassen.

Der Verein Friedensbrücke-Kriegsopferhilfe lässt sich, so Kilinc im Austausch mit dem Autor, seit Anfang Dezember anwaltlich vertreten und setzt seine Arbeit fort. Die Organisation ist sich sicher, dass sie in Deutschland kein faires Verfahren bekommen wird. Kilinc ist es aber wichtig mitzuteilen: Die Organisation ist nicht verboten und es gibt keine Beweise für die Vorwürfe. Es sei deshalb nicht nötig, sich in vorauseilendem Gehorsam von ihr zu distanzieren.

Der in Deutschland lebende und ebenfalls von Maßnahmen betroffene Aktivist des Vereins Falko Hartmann betont, dass die rückwirkende Einstufung bedeute, dass jeder, der von 2014 bis 2022 humanitäre Hilfe geleistet hat, nun ins Visier der deutschen Staatsmacht gelange – ohne während dieser Tätigkeiten davon geahnt haben zu können. Den Ablauf der Maßnahmen gegen sich schildert Hartmann so: Am 16. Mai 2025 verschaffte sich ein zehnköpfiges BKA-Kommando Zugang zu seinem Grundstück. Nach einer neunstündigen Durchsuchung wurden sein Telefon, Computer, Datenträger und Akten des Vereins Friedensbrücke sichergestellt. Ein weiterer Verein, in dessen Vorstand Hartmann tätig ist, wurde zum selben Zeitpunkt Opfer dieser Maßnahmen. Die Arbeits- und Ausstellungsräume dieses Vereins wurden ebenfalls vom BKA durchsucht. Speicher von Telefon und Computer Hartmanns wurden gespiegelt und alle Zugänge zu sozialen Medien geknackt und mit neuen Passwörtern versehen. Im Oktober wurden sein Bankkonto und sein Sparbuch von Seiten der Banken gekündigt.

Kulturelle Dekolonisierung

Nicht erst seit Februar 2022 verbreitetet sich in akademischen Kreisen der Slawistik und Osteuropageschichte das sogenannte Konzept der „Dekolonisierung“ der europäischen Wissenschaft und Kultur von „russisch-kolonialen-imperialen Diskursen“. Diese Prämisse bedeutet, dass Russland, ob in zaristischer, sowjetischer oder bürgerlich-demokratischer Staatsform, immer versucht habe, die europäische Kultur imperial zu prägen. Der Historiker Gerd Koenen behauptet, dass eine unkritische Übernahme kolonialer russischer Ideologie insbesondere in Deutschland vorherrschend sei und bezeichnet dies als „deutschen Russlandkomplex“. Dies müsse, so der Slawist Gerhard Simon, nun endlich überwunden werden, da Russland mit dem „Angriffskrieg auf die Ukraine endgültig aus der zivilisierten Welt ausgeschieden sei“. (Vergleiche: „Decolonize Russia! Kriegstüchtige Osteuropaforschung“, Marxistische Blätter 2024/4)

Neben einer offensiven antirussischen Diskursverschiebung an deutschen Osteuropa- und Slawistikinstituten kämpfen diese Ideologen für die Entfernung sowjetischer Denkmäler in Deutschland. Zuletzt fand dazu im November im Rahmen der „Berlin Freedom Week“ ein Symposium mit dem Titel „Echos des Imperiums: Sowjetische Denkmäler und die Maschinerie der Desinformation“ statt. Veranstalter dieses in der Botschaft der Republik Polen stattfindenden Symposiums waren der World Liberty Congress, die Axel-Springer-Freedom-Foundation, das Ukrainische Institut, der Beauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, das Auswärtige Amt (als finanzieller Unterstützer), die Botschaften der drei baltischen Staaten, das polnische und litauische Kulturinstitut sowie der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. Kateryna Rietz-Rakul vom Ukrainischen Institut brachte den Zweck dieser Zusammenarbeit auf den Punkt: Sie sagte, dass Ukrainer Deutschen dabei helfen würden, ihre moralischen Vorbehalte (!) gegenüber dem Abbau sowjetischer Denkmäler und Flaggen loszuwerden. Sie bezeichnete Gedenkveranstaltungen zum 80. Jahrestag der Niederlage des Faschismus als „Hexensabbat“.

An die Forderungen dieser deutsch-ukrainischen Historikerkreise schließen sich Forderungen in bundeswehrnahen Historikerkreisen an: Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr und die DFG-Forschergruppe „Militärische Gewaltkulturen“ thematisierten bei einer Podiumsdiskussion am 12. Februar dieses Jahres „die illegitime Gewalt und Gewaltkulturen in russischen wie sowjetischen Kriegen der Vergangenheit und Gegenwart“. Die Historikern Kristiane Janeke beklagte, dass das Unternehmen Barbarossa ein „moralisches Hindernis“ für die Entfernung sowjetischer Denkmäler in Deutschland sei, ließ aber außer Zweifel – „Die müssen weg!“ –, dass dies aus ihrer Sicht unbedingt geschehen müsse.

Schikanen gegen Russisches Haus

Das Russische Haus für Wissenschaft und Kultur in der Berliner Friedrichstraße bietet ein volles Programm zur Vermittlung russischer Kultur und Sprache in Deutschland. Regelmäßig werden Kulturabende, Ausstellungen, zuletzt über die Geschichte des antifaschistischen Widerstands in Europa, und Sprachkurse angeboten. Das Haus fällt nach Auffassung des Verwaltungsgerichts München unter EU-Sanktionen, weil es eine Einrichtung der staatlichen russischen Organisation Rossotrudnitschestwo (die russische Entsprechung des Goethe-Instituts) sei, die auf der Sanktionsliste steht.

Die Sanktionierung bedeutet für das Russische Haus, dass es seinen Betrieb nur noch zum Substanzerhalt aufrechterhalten darf. Ähnlich wie bei den Personensanktionen gilt ein „wirtschaftliches Bereitstellungsverbot“, das heißt, es dürfen keine Einnahmen mehr generiert werden. Eine „weitere Durchführung von Veranstaltungen, Ausstellungen und Kursen im bisherigen Umfang, mögen diese kulturell oder wissenschaftlich noch so geschätzt und politisch unverdächtig sein“, diene nicht der „Befriedigung der Grundbedürfnisse“, beurteilte das Gericht. Das Russische Haus darf nicht frei über sein Bankkonto bei der Bundesbank verfügen. Überweisungen müssen von der deutschen Zentralbank freigegeben werden. Im Fall von Stromrechnungen forderte sie das Russische Haus auf, Nachweise darüber zu erbringen, wofür der Strom einzelner Teile des Hauses konkret verbraucht wurde – mit einer konkreten Aufstellung der verschiedenen Bereiche der 30.000 Quadratmeter großen Fläche. Das Russische Haus warf der Bundesbank vor, die Möglichkeit zur Durchführung seiner nicht sanktionierten Tätigkeit als Kulturstätte illegalerweise zu unterbinden. Illegal, weil die zeitlich begrenzten Sanktionen nicht zum Entzug seiner Lebens- und Tätigkeitsgrundlagen führen dürften. Das Russische Haus warnte vor den schweren Folgen der Sanktionen: Ohne Freigabe der Gelder müsse der Betrieb eingestellt werden, da der Stromversorger bei weiterem Zahlungsverzug die Stromlieferungen stoppe. Das Urteil des Gerichts ist noch nicht rechtskräftig.

Am Ende treffen sie uns alle

Diese Schlaglichter zeigen, dass die deutschen Behörden und ihre Ideologen die Revision ihrer faschistischen Geschichte mit voller Kraft vorantreiben. Jegliche Zweifel am Narrativ des unprovozierten russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine sollen abgeräumt werden. Ebenso jegliche Zweifel an der moralischen Rechtfertigung der Militarisierung Deutschlands. Dafür wird eine ganze Armada aufgefahren: illegale Sanktionspraxis, Ideologieproduktion und Zerstörung menschlicher Existenzen inbegriffen. Die Herrschenden zeigen, dass sie sich für ihre bisherigen Gesetze und Rechtsstandards nur so lange interessieren, wie sie ihnen zweckmäßig sind.

Auch nach einem möglichen Einfrieren des Ukraine-Kriegs ist keine Besserung dieser Situation zu erwarten. Deutschland muss die führende Kriegsmacht in Europa sein, wenn es seine spezielle Aufgabe gegen Russland im imperialistischen Weltkrieg erfolgreich lösen soll. Antifaschisten und Kriegsgegnern stellt sich daher die Aufgabe, gegen diese Angriffe hier und jetzt Protest und Widerstand zu organisieren. Denn am Anfang treffen sie Journalisten, humanitäre Helfer und russische Kultureinrichtungen. Am Ende treffen sie uns alle.

Unser Autor ist Mitglied der Kommunistischen Organisation (KO). Unter dem Titel „Deutschland bewegt sich in Richtung Kriegsrecht“ schrieb er am 30. Juli einen längeren Beitrag zum Thema auf den „NachDenkSeiten“.

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"Gegen die verordnete Russophobie", UZ vom 19. Dezember 2025



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