Das neue Album von Betty Rossa und Kapelle

Gegen die Zeitenwende

Michael Wögerer, Wien

In Zeiten zunehmender Hochrüstung legt das österreichische Duo „Betty Rossa & Kapelle“ mit „Paloma De La Paz“ eine neue CD vor, die brisanter nicht sein könnte. Der Untertitel „Friedensfähig statt kriegstüchtig“ nimmt direkten Bezug auf die deutsche Kriegsrhetorik, richtet sich aber ebenso gegen die voranschreitende Militarisierung in Österreich. Ein 22 Titel umfassendes Manifest internationaler Solidarität.

Die vierte Veröffentlichung der Band, wieder im bewährten Göttinger „Out-O-Space“-Studio von Tom Spötter aufgenommen und bei Mad Butcher Records veröffentlicht, beweist künstlerische Reife und politische Klarheit. „Betty Rossa & Kapelle“ verstehen es meisterhaft, bekannte Melodien neu zu interpretieren und mit eigenen Texten zu versehen – ein Ansatz, der zuweilen auch Überraschungsmomente schafft. Wer etwa das traditionelle „Steigerlied“ aus dem Ruhrpott zu kennen glaubt, wird von den rhythmisch gesprochenen Zwischenstrophen zur Kontextualisierung verblüfft sein.

Die Dramaturgie der CD folgt einer durchdachten Logik: Von der Sehnsucht nach Frieden (Tracks 1 – 5) über antifaschistischen Widerstand (6 – 8) und Antiimperialismus (9 – 13) bis hin zu historischen und gegenwärtigen Klassenkämpfen (14 – 17) und schließlich zur Lebensbejahung (18 – 22). Diese Struktur spiegelt sich in der internationalen Liederauswahl wider: Vom chilenischen Rolando Alarcón über das russische mit deutschen Strophen adaptierte „Kraniche“ (im Original von Rasul Gamsatow und Yan Abramovich) bis zu Violeta Parras „Gracias a la Vida“ spannt sich ein Bogen, der die universelle Sprache des Protests spricht.

Besonders beeindruckend ist die Art, wie die Band historische Kontinuitäten aufzeigt. Das Lied „Februarkämpfer“ der österreichischen Lyrikerin Henriette Haill – Dienstmädchen, Metallarbeiterin und Aktivistin in Linz – führt direkt zu den österreichischen Bürgerkriegsereignissen von 1934. „El Quinto Regimiento“ erinnert an die internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg, während „Tania“ der ermordeten Revolutionärin und Che-Guevara-Weggefährtin Tamara Bunke gewidmet ist. Diese historische Tiefe verleiht der Platte authentisches Gewicht.

Kulturell subversiv wird es, wenn Elvis Presleys „Devil in Disguise“ zu „Eigentlich a Hex“ wird – eine ironische Antwort auf die Dämonisierung von Revolutionärinnen und Kommunisten. Oder wenn Leonard Cohens „Hallelujah“ zur Hymne auf „Liebe und Revolution“ umgedeutet wird. Das zeigt den kreativen Mut der Band, Popkultur für progressive Botschaften zu nutzen.

Auch hochaktuelle soziale Themen werden auf der CD besungen: Das jiddische Protestlied „Dire gelt“ (die Miete) von Shloyme Prizament beklagt unleistbare Mieten – ein brennendes Thema, das von Österreich bis Deutschland Millionen betrifft. Ebenso zeitgemäß ist die Auseinandersetzung mit Staatsterror in „La Luna Rossa“ der italienischen Band „Banda Bassotti“.

Ein besonderes Lob verdient das von Anna Dölfel gestaltete CD-Booklet mit Bildern der Wiener Künstlerin Nina Maron, die mit der Friedenstaube am Cover visuell das politische Programm unterstreicht. „Was wären Lieder, wenn sie blind wären“, heißt es hierzu treffend. Alle Elemente fügen sich zu einem stimmigen Gesamtkunstwerk zusammen.

„Betty Rossa & Kapelle“, die sich als Teil des „gesellschaftlichen Widerstands gegen Ausbeutung und Unterdrückung“ verstehen, haben mit „Paloma De La Paz“ ihr bisher reifstes Werk geschaffen. Von Konzertbühnen bis zu Demonstrationen wollen sie „neue Kraft für die (alten) Kämpfe schenken“. Das gelingt ihnen mit dieser CD eindrucksvoll. In einer Zeit, in der „Frieden nicht alles, aber ohne Frieden alles nichts ist“, setzt „Paloma De La Paz“ ein musikalisches Zeichen der Hoffnung.

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"Gegen die Zeitenwende", UZ vom 17. Oktober 2025



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