Bei den Parlamentswählen in Irland läuft Sinn Féin den konservativen Parteien den Rang ab

Große Veränderung auf der grünen Insel?

Morning Star (Übersetzung und Bearbeitung: Melina Deymann)

Die Hochrechnungen bei den Wahlen zum irischen Parlament, dem Dáil Éireann, deuten auf einen Anstieg der Unterstützung für die linksgerichtete Sinn Féin hin, hauptsächlich auf Kosten der beiden rechtskonservativen Parteien, die die Politik der irischen Republik seit mehr als 70 Jahren dominieren.

Das Wahlsystem für das Dáil Éireann basiert auf übertragbaren Einzelstimme in Wahlkreisen mit mehreren Mitgliedern. Dadurch entsteht ein Parlament, das im Großen und Ganzen die Präferenzen der Wähler widerspiegelt, einschließlich der Unterstützung für kleinere Parteien wie „Solidarity – People Before Profit“ (Solidarität – Menschen vor Profit) und die Labour Party.

Auf Grund der üblichen Mehrfachauszählungen werden die Ergebnisse erst Mitte der Woche (nach Redaktionsschluss der UZ) vorliegen. Die knappen Spielräume zwischen den wichtigsten Parteien werden wahrscheinlich zu einem Kuhhandel führen, bevor eine Regierungskoalition gebildet werden kann.

Auf jeden Fall haben die Wähler ihre Besorgnis über die gravierenden sozialen Probleme deutlich gemacht, die in einer der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften Europas bestehen.

Irlands komplexes Gesundheitssystem kann die wachsende Zahl von Patienten nicht bewältigen, es gibt heute weniger Krankenhausbetten als vor zehn Jahren. Die Einführung eines teilweise kostenlosen, teilweise gebührenpflichtigen nationalen Gesundheitsdienstes an der Seite eines großen privaten Sektors hat bisher nicht den Wünschen der Menschen entsprochen und dafür bestrafen sie Taoiseach Leo Varadkar von der Regierungspartei Fine Gael.

Außerdem stehen Wohnen und Obdachlosigkeit auf der Liste der Sorgen der Bevölkerung. Die wirtschaftlichen Folgen des Finanzcrashs 2007/2008 trafen die Republik Irland besonders hart und wurden durch die drastischen Sparmaßnahmen, die 2010 von der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank und dem IWF gefordert wurden, noch verschlimmert. Der Wohnungsbau kam zum Stillstand und das knappe Angebot hat die Hauspreise in Dublin und anderen städtischen Zentren verdoppelt. Da nur wenig öffentlicher und sozialer Wohnraum zur Verfügung steht, machen die privaten Vermieter einen Mordsgewinn. Sinn Féin und Labour schlagen einen Mietenstopp vor, den die wichtigste Oppositionspartei Fianna Fail als „verfassungswidrig“ bezeichnet, während Varadkars Fine Gael nichts weiter als ein Einfrieren der Mieten vorschlägt.
Weitere Themen, die bei den Kundgebungen vor der Abstimmung am Samstag auftauchten, sind die Renten, die reformierte Wasserindustrie (Wasser war bis zur Durchsetzung der EU-Austeritätspolitik immer ein kostenfreies Gut in Irland) und – zum klaren Vorteil der Grünen – der Klimawandel.

Aber es ist die nahezu verdoppelte Unterstützung für Sinn Féin, die sowohl in Britannien als auch in Irland für Schlagzeilen sorgt. Die Partei kämpfte bei den Dail-Eireann-Wahlen mit einem Manifest, das radikal genug war, um vom irischen Unternehmer- und Arbeitgeberverband (IBEC) verurteilt zu werden. Die IBEC befürchtet die Aussicht darauf, dass die Reichen und Großunternehmen höhere Steuern zahlen, um öffentliche Investitionen in Wohnungs- und Kinderbetreuungseinrichtungen zu finanzieren, und die Widereinführung des gesetzlichen Rentenalters von 65 Jahren.

Die Partei scheute auch nicht vor der Frage nach der Einheit Irlands zurück. Während die meisten südirischen Politiker es vorziehen, dazu zu schweigen, waren die Vorschläge für eine Bürgerversammlung der gesamten Insel und Volksabstimmungen im Norden und Süden der Hauptgegenstand des Sinn-Féin-Manifests.

Auch schwieg Sinn Féin nicht zum Thema EU. Sie wandte sich gegen die Handelsabkommen, die Demokratie, Arbeitnehmerrechte und Umweltsicherheit untergraben, und verurteilte die irische Beteiligung an neuen EU- und NATO-Militärstrukturen, und versprach gleichzeitig die Wiederherstellung der irischen Souveränität in der Außen- und Verteidigungspolitik.

Wie dies durch eine „radikale Reform“ der EU erreicht werden kann, wurde nicht näher erläutert.

Dennoch sieht die Zukunft der Partei heute besser aus, da Umfragen Sinn Féin bei den jungen Leuten weit vor den anderen Parteien sehen und der Brexit die Logik der irischen Wiedervereinigung demonstriert.

Welche Dubliner Regierung auch immer aus dem Kuhhandel hervorgeht, die von Sinn Féin – und der Kommunistischen Partei Irlands – aufgeworfenen Fragen werden nicht so bald verschwinden.

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"Große Veränderung auf der grünen Insel?", UZ vom 14. Februar 2020



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