Frauenstreiks in Deutschland, international, gestern und heute

Heraus zum 8. März

Seit etwa drei Jahren ist die Frauenbewegung in Deutschland wieder deutlich stärker geworden. Die jahrzehntelange hartnäckige „Maulwurfsarbeit“ hat sich gelohnt und die Ergebnisse haben sich erstmals und sehr ausdrucksstark am Internationalen Frauentag 2019 gezeigt, als 75.000 Menschen demonstrierten – insbesondere junge Frauen. Es waren die größten Aktionen seit Jahrzehnten.

Eine vorbereitende Vernetzungskonferenz mit über 400 Aktiven im Herbst 2018 hatte eine große Strahlkraft. Zirka 40 lokale Bündnisse hatten sich gebildet, um den 8. März vorzubereiten. Sie sind weiter aktiv – trotz Pandemie.

Bereits der erste Aufruf dieser Vernetzung gab die Richtung der neuen Frauenbewegung vor: „Aufruf zum Streik! Wenn wir die Arbeit niederlegen, steht die Welt still!“

Internationale Vorbilder
Feministische Streiks sollen auch in Deutschland vorangebracht werden, um sich in die weltweite Bewegung von streikenden Frauen mit einzubringen. So gab es in Argentinien seit 2015 Massenproteste, die dann im Frühjahr 2016 verstärkt wurde. Sie richteten sich gegen Gewalt an Frauen, gegen Machismus und Frauenmorde. Alle 31 Stunden wird in Argentinien eine Frau von ihrem Lebensgefährten umgebracht. „Ni una menos“ („Nicht eine (Frau) weniger“) – so lautete das Motto, unter dem sich diese Proteste in Argentinien, in den Nachbarländern und schließlich in ganz Südamerika ausbreiteten. In Polen entstanden im Herbst 2016 große Proteste gegen eine Verschärfung der Gesetze zur Abtreibung.

Seit 2018 ist der Aufschwung der Frauenbewegung auch auf dem europäischen Kontinent angekommen. Unter dem Slogan „Wenn Frauen* streiken, steht die Welt still“ haben am 8. März 2018 in Spanien 5,3 Millionen Menschen gestreikt. Es waren vor allem Frauen, die durch eine starke Frauenbewegung, jahrelange Vorbereitung und gute Vernetzung mit den Gewerkschaften mobilisiert werden konnten.

Das Besondere der Frauenstreiks in Spanien – aber auch in Argentinien und in anderen lateinamerikanischen Staaten – ist, dass sie nicht auf Lohnforderungen reduziert sind. Es geht dabei immer auch um den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen, gegen Femizide, Sexismus und für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Das bedeutendste Element in Spanien war, dass ein feministischer Generalstreik ausgerufen, ernsthaft vorbereitet und schließlich durchgeführt wurde.

Dieser Streik war auch für den Schweizer Frauenstreik ein wichtiger Anstoß, um an den ersten Frauenstreik von 1991 anzuknüpfen und für 2019 einen zweiten vorzubereiten. Im Juni 2019 streikten mehr als eine halbe Million Frauen in der Schweiz für gerechte Löhne, bessere Bedingungen für Familien und ein Ende sexistischer Gewalt.

Frauenstreiks in Deutschland
Auch in der früheren Geschichte gab es Frauenstreiks. Der Weberaufstand von 1844 in Schlesien war zu großen Teilen von Frauen getragen, die für gerechte Löhne und eine würdige Behandlung durch die Fabrikanten streikten. 1903/1904 streikten Textilarbeiterinnen in Crimmitschau monatelang für kürzere Arbeitszeiten. Dieser Streik hatte landesweite Ausstrahlung. Die Parole der Arbeiterinnen zur Begründung der kürzeren Arbeitszeit war: „Eine Stunde für uns! Eine Stunde für unsere Familie! Eine Stunde fürs Leben!“

1973 streikten 2.000 Frauen, insbesondere Migrantinnen, beim Automobilzulieferer Pierburg in Neuss für gleiche Löhne. Immerhin wurden in Folge des „wilden“ Streiks die Leichtlohngruppen, in denen nur Frauen beschäftigt wurden, abgeschafft.

Der letzte große Frauenstreik in Deutschland fand 1994 statt, vorbereitet von einem breiten Bündnis vielfältiger Frauenorganisationen. Es war ein bundesweiter, politischer Frauenstreiktag für die Durchsetzung wirklicher Gleichstellung in allen Bereichen; Vorbild war der Frauenstreik 1975 in Island.

Der Frauenstreiktag, wie ihn die Organisatorinnen nannten, sollte während der Arbeitszeit mit vielfältigen Aktionen stattfinden. Der DGB konnte sich jedoch nicht zu einem Streikaufruf durchringen. Er machte aus dem Frauenstreiktag einen Frauenstreittag beziehungsweise Frauenprotesttag. Trotzdem oder vielleicht auch gerade deshalb nahmen bundesweit über eine Million Frauen teil – es war der größte Frauenstreik in vielen Jahrzehnten.

Feminisierung der Streiks
Viele Streiks der letzten Jahre, insbesondere von ver.di, hatten ein weibliches Gesicht: Die Streiks im Einzelhandel 2009/2013, im Sozial- und Erziehungsdienst 2009/2015 sowie im Gesundheitsbereich 2015 bis hin zu der Berliner Krankenhausbewegung 2021. In diesen Streikjahren war der Anteil der weiblichen Streikenden sehr hoch, oft weit über 50 Prozent.

Gründe für die Feminisierung der Streiks sind unter anderem der Strukturwandel, das heißt die Verlagerung von Beschäftigung von Produktions- in die Dienstleistungsbereiche, in denen eben hauptsächlich Frauen arbeiten, aber auch die steigende Erwerbstätigenquote von Frauen. Sie liegt mittlerweile bei über 75 Prozent (Männer 83 Prozent).

Die „Zuverdienstrolle“ ist passé, längst sind Frauen Familienernährerinnen – und immer häufiger sogar die alleinigen. Der Fachkräftemangel im sozialen, Gesundheits- und Bildungsbereich bietet gute Voraussetzungen für Arbeitskämpfe. Frauen sind mittlerweile wesentlich besser qualifiziert, haben oft die besseren Abschlüsse.

Ein subjektiver Faktor ist die hohe Bereitschaft der Kolleginnen, für ihre Interessen, für die Verbesserung ihrer Situation, für Lohngerechtigkeit und Anerkennung ihrer Arbeit zu kämpfen. Auch ist die Streikkultur bei Frauenstreiks eine andere: Die Arbeitskämpfe sind bunter, kreativer, demokratischer – selbstgemalte Schilder, Musik, Bilder, Kultur spielen eine größere Rolle.

Zudem haben sich die Streikinhalte verschoben – hin zu mehr qualitativen Forderungen wie zu Arbeitsbelastung und Personalausstattung, für mehr Zeit für Kinder oder Patienten und für qualitativ gute Dienstleistungen in gesellschaftlichen Sorgebereichen. Die Streiks gehen über die klassischen tariflich begrenzten Interessenkonflikte hinaus und führen zu gesamtgesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Das gesamte Gesundheits-, Sozial- und Bildungssystem wird in den Blick genommen, ebenso wie die Rolle des Staates. Grundlegende gesamtgesellschaftliche Fragestellungen spielen eine zunehmende Rolle, die Streiks bekommen eine politische Dimension.

Außerdem müssen neue Streikstrategien entwickelt werden. Die Arbeitskämpfe können nicht wie klassische Produktionsstreiks geführt werden. Sie werden zum Laboratorium für neue Ideen, Konzepte, Strategien und dies bereichert die Streikkultur.

Zentral ist auch die Solidarisierung der Streikenden mit den „KlientInnen“, also zum Beispiel den Eltern in den Kitas oder den Patientinnen und Patienten in den Krankenhäusern. Wichtig ist die gewerkschaftsübergreifende Zusammenarbeit, die Kooperation mit anderen Bewegungen und Soli-Komitees und eine gute, die Streiks begleitende Öffentlichkeitsarbeit, um die Ziele und Forderungen in die Gesellschaft zu tragen.

Frauenstreiks und ­Gewerkschaften
In den letzten Jahren hat die Frauenbewegung gewerkschaftliche Frauenstreiks begleitet. So zum Beispiel die Streiks in der Hauswirtschaft, im Gesundheitswesen und im Einzelhandel. Am diesjährigen Internationalen Frauentag steht die Unterstützung der Tarifrunde der Sozial- und Erziehungsdienste (über 80 Prozent der Beschäftigten sind Frauen) im Mittelpunkt. In dieser Tarifrunde geht es um drei zentrale Themen: Verbesserung der belastenden Arbeitsbedingungen, finanzielle Aufwertung der Arbeit und Maßnahmen gegen Fachkräftemangel. Durch eine Beschäftigtenbefragung, an der sich 4.000 Kolleginnen und Kollegen beteiligt haben, wurden elf konkrete Forderungen zu den drei Themen entwickelt.

Am 25. Februar finden die ersten Verhandlungen mit der Vereinigung der kommunalen „Arbeitgeber“verbände statt. Das bundesweite Frauenstreikbündnis wird diese Tarifauseinandersetzung durch begleitende Veranstaltungen wie aktive Mittagspausen, Kundgebungen, Diskussionsveranstaltungen und Solibündnisse solidarisch unterstützen, um den Kolleginnen den Rücken zu stärken.

In vielen Orten werden zum Verhandlungsauftakt am 25. Februar sowie am 8. März gemeinsame Aktionen, Kundgebungen und Demos vorbereitet. Diese intensive Zusammenarbeit zwischen Frauenbewegung und Gewerkschaften ist neu und entwickelt sich gut. So hieß es im Aufruf vom „Frauen*streik-Bündnis“ an die DGB-Gewerkschaften 2021: „Wir wollen feministische Gewerkschaftspolitik voranbringen und wir sind dafür als ehrenamtliche wie hauptamtliche Gewerkschaftsmitglieder in verschiedenen Orten, Branchen und Ebenen aktiv!“

Auch die Gewerkschaften sind offener geworden für eine Zusammenarbeit mit der politischen Frauenbewegung. So wurde auf der DGB-Bezirksfrauenkonferenz Baden-Württemberg im Juli 2021 auf Anregung der „Aktiven Metallerinnen“ aus Stuttgart eine stärkere Beteiligung der Gewerkschaften an der neuen Frauenbewegung einstimmig beschlossen: „Als Gewerkschaftsfrauen und Gewerkschaftsbewegung beteiligen und engagieren wir uns in Bündnissen und bei Demonstrationen. Aus unserer Sicht ist eine verstärkte Unterstützung und Beteiligung des DGB und seiner Einzelgewerkschaften an dieser neuen Frauenbewegung wichtig und erforderlich.“ Auf der DGB-Bundesfrauenkonferenz im November 2021 wurde beschlossen, den „neuen Schwung“ zu nutzen, „um auch unsere betrieblichen frauenpolitischen Themen stärker in den Vordergrund zu stellen bzw. Schnittpunkte zu finden, wie wir betriebliche und gesellschaftspolitische Frauenarbeit stärker miteinander verzahnen können“.

Wichtige Beschlüsse, führen sie doch die politische und gewerkschaftliche Frauenbewegung zusammen, so dass sie sich gegenseitig verstärken können. Damit kommen wir dem Ziel eines großen Frauenstreiks einen Schritt näher.

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"Heraus zum 8. März", UZ vom 28. Januar 2022



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