Die deutsche Bourgeoisie und China

Kriegstüchtigkeitsverblödung

Kolumne

Teile der deutschen Bourgeoisie bringen es im Ignorieren und Sich-selbst-Beschwindeln beim Umgang mit China gerade zur Meisterschaft. Repräsentativ ist das Gejammer des FAZ-Mit­herausgebers Gerald Braunberger am 6. November: „Exportschwäche, Rohstoffabhängigkeit, Arbeitsplatzabbau: In der Industrie treffen derzeit deutsche Selbstzweifel auf chinesisches Selbstbewusstsein.“ Die deutsche Industrieproduktion sinke seit 2018 und Deutschlands Handelsbilanzdefizit mit China habe „im ersten Halbjahr beträchtliche 1,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts“ erreicht. Drohe also „der deutschen Industrie eine Marginalisierung – und mit ihr ein weiterer Zulauf für politischen Populismus“?

Der Erfolg Chinas und der der AfD hängen für eine solche Koryphäe irgendwie zusammen. Halluzinationen hängt Braunberger entsprechend bei der Ursachenforschung für die deutsche Misere nach: Schuld sind die Chinesen, die zu wenig Deutsches kaufen: „Eine Belebung des inländischen Konsums stößt sich an einer politisch motivierten, kritischeren Wahrnehmung des Konsums hochwertiger Güter ausländischer Anbieter. Darunter leiden unter anderem die deutschen Autohersteller.“

Wer durch neue Einkaufszentren in China geht, sieht allerdings in allen Bereichen elegant bis luxuriös aufgemachte Geschäfte einheimischer, nicht mehr westlicher Ketten. Und dass Autos deutscher Marken aus politischen Gründen nicht gekauft werden – Kommentar überflüssig. Immerhin fällt Braunberger noch ein: „Gleichzeitig profitiert die chinesische Industrie von einem erheblichen technischen Fortschritt, der mit deutlich niedrigeren Produktionskosten einhergeht.“ Wer hätte das gedacht? Seit 2020 sind die deutschen Exporte nach China jedenfalls um 25 Prozent gesunken und Braunberger hört nun: „Wie wenig Deutschland und Europa in China zählen“, habe die Ökonomin Beatrice Weder di Mauro kürzlich festgehalten. Ihr sei in Peking gesagt worden, Europa befinde sich in ernsthaften Schwierigkeiten und habe keinen Plan. Die Herrenvolk-„Diplomatie“ des Johann Wadephul hat da niemand nötig.

Kindisch ist, was Braunberger als „Ursache“ des Absackens der deutschen Exporte ausmacht, einfältig, was er von der Deutschen Bank für den „künftigen Umgang mit China“ entlehnt: Erstens Reduzierung der Abhängigkeit von Rohstoffen und „sensiblen Technologieprodukten“, zweitens Protektionismus, das heißt Strafzölle, weil die Chinesen bekanntlich nur mit Subventionen und Raubkopien „uns“ wirtschaftliches Elend plus Weidel/Chrupalla beschert haben. Drittens: „Strukturreformen“ zwecks „Wettbewerbsfähigkeit“, also Null. Da lässt sich fragen: Wie wär’s mal wieder mit Spitzenqualität? Die setzt aber intaktes Bildungswesen, intakte Infrastruktur und überhaupt Förderung von Wissenschaft statt Kriegstüchtigkeitsverblödung voraus.

Am 14. November konnte Braunberger zu dem Thema auf „faz.net“ ein Interview mit dem Finanzökonomen Horst Löchel lesen und darin zur Wirtschaft Chinas: „In der Elektromobilität, in der Künstlichen Intelligenz, in der Robotik und in der Mobilfunktechnik zählt sie zur Weltspitze.“ Löchel sieht zwar auch Ressourcenverschwendung, weil die Führung „immer noch zu wenig der Macht und Kraft des Marktes“ vertraue. Außerdem gebe es die erhoffte deutliche Produktivitätssteigerung durch KI und Informationstechnik auch in China nicht. Aber es stimme nicht, dass dessen Aufstieg mit unfairen Mitteln erreicht worden sei, er beruhe auf Leistung. Als einer, der seit Jahrzehnten das Land bereise, sei er zudem „Zeuge einer auch sozialen Erfolgsgeschichte, die ihresgleichen sucht“.

Löchel fordert einen Neustart der politischen Beziehungen Deutschlands zu China und ahnt dort offenbar ein neuartiges Wirtschaftsmodell. Das wäre eine größere Gefahr für EU- und US-Kapitalismus, in denen Aufrüsten für Innovation gehalten wird, als alles Bisherige.

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"Kriegstüchtigkeitsverblödung", UZ vom 21. November 2025



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