US-geführter Militärpakt beschließt neues strategisches Konzept mit globalem Interventionsanspruch

NATOisierung der Welt

Die NATO hat auf ihrem Gipfel in Madrid eine Vergrößerung, massive Aufrüstung und geografische Entgrenzung des Militärpakts beschlossen. Die US-geführte Allianz wird auf dauerhafte Feindschaft zu Russland wie auch China orientiert. Die Staats- und Regierungschefs der 30 Mitgliedstaaten des Militärpakts haben dazu ein neues strategisches Konzept beschlossen. Russland wird darin als die „größte und unmittelbarste Bedrohung für die Sicherheit der Verbündeten und für Frieden und Stabilität im euro-atlantischen Raum“ bezeichnet, die Volksrepublik China schaffe „systemische Herausforderungen für die euro-atlantische Sicherheit“, die „unsere Interessen, Sicherheit und Werte“ betreffen. Klar ist: Der mögliche Interventionsraum der NATO ist global, es geht längst nicht mehr nur um den Nordatlantik. Vor allem der Indopazifik ist Ziel im „360-Grad-Ansatz“. Auch die sogenannte südliche Flanke ist fest im Blick, die Länder Nordafrikas über den Nahen Osten bis in die Sahel-Region.

Statt bisher 40.000 sollen künftig 300.000 Soldaten in hoher Einsatzbereitschaft gehalten werden, um schnell interventionsfähig zu sein. Die Bundesregierung will dafür 15.000 deutsche Soldaten zur Verfügung stellen. Sie müssen im Ernstfall innerhalb von zehn Tagen an der Front sein. Operationsgebiet ist vornehmlich Litauen, das wiederholt durch seinen besonders provokativen Kurs gegenüber dem Nachbarland Russland wie auch China aufgefallen ist. Um im Kriegsfall rasch einsatzfähig zu sein, werden frontnah Waffendepots angelegt. Die Ukraine wird weiter aufgerüstet.

Schon heute geben die NATO-Mitgliedstaaten 18 Mal mehr für Rüstung und Militär aus als die Russische Föderation und 4 Mal mehr als die Volksrepublik China. Das reicht der NATO nicht. Nicht nur der Gemeinschaftshaushalt soll aufgestockt werden. Auch die einzelnen Mitglieder sollen mehr für Panzer und Kampfjets ausgeben – am Ende geht das auf Kosten von Pflege und Kitaplätzen. Doch davon war in Madrid keine Rede. Der britische Premier Boris Johnson brachte eine Erhöhung der nationalen Kriegsbudgets auf 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zur Sprache. Im Falle Deutschlands wäre man da bei bald 100 Milliarden Euro jährlich – die Rüstungsschmieden sind schon jetzt wie besoffen. Rheinmetall in Düsseldorf stellt seinen Aktionären für die nächsten Jahre eine Verdreifachung der Dividenden in Aussicht.

Madrid hat aber auch noch einmal deutlich gemacht, wie wenig die NATO mit Menschenrechten und Demokratie am Hut hat. Damit Schweden und Finnland neue Mitglieder der NATO werden können, werden einmal mehr die Kurden geopfert. Um die Zustimmung der Türkei zur Norderweiterung zu bekommen, haben sich die beiden bisher neutralen Länder in einer gemeinsamen Erklärung mit Ankara zur Aufhebung ihres Waffenembargos und zur engen Kooperation mit der türkischen Justiz und Geheimdiensten verpflichtet. Schweden und Finnland haben darüber hinaus die Änderung des Auslieferungsrechts zugesagt. Erdogan verlangte noch während des NATO-Gipfels die Überstellung von 73 Personen, gegen die er die üblichen Terrorvorwürfe erhebt, also Mitgliedschaft in der kurdischen PKK und YPG oder der Gülen-Bewegung, die er für den Putschversuch 2016 verantwortlich macht. US-Präsident Joseph Biden hat seinerseits die Lieferung moderner F16-Kampfjets an die türkische Luftwaffe zugesagt, was auch als grünes Licht für Erdogans angekündigten neuen Angriffskrieg im Norden Syriens gewertet werden muss.

Während der Bundestag schon diese Woche die NATO-Norderweiterung und damit auch den Dreier-Deal zur Kurdenverfolgung abnicken soll, lässt Erdogan keinen Zweifel: Werden ihm Kurden und Gülenisten nicht wie gefordert ans Messer geliefert, werden die Beitrittspapiere nicht ratifiziert.

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"NATOisierung der Welt", UZ vom 8. Juli 2022



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