Über die Notwendigkeit, Solidarität mit Palästina auf die Straßen zu tragen

Nie wieder – nirgendwo

Bei lebendigem Leib verbrennende Kinder, weinende und unter Lebensgefahr nach Essen suchende Mütter und Väter. Eine in Schutt und Asche gelegte Infrastruktur, deren Wiederaufbau nach Schätzungen der Vereinten Nationen bis zu 350 Jahre beanspruchen könnte. Zerstörte Krankenhäuser, in denen Gliedmaßen ohne Betäubungsmittel und Licht amputiert werden. „Evakuierungsrouten“, die direkt ins Meer weisen. All diese Bilder kann jeder trotz der sturen Propaganda und der Vertuschungsversuche von Medien und Politikern seit eineinhalb Jahren sehen. Die Welt macht sich schuldig, Tag für Tag, Stunde für Stunde – seit mehr als 600 Tagen.

Die israelischen Verbrechen an der Zivilbevölkerung Gazas haben mit Selbstverteidigung nichts zu tun. Vielmehr bot der 7. Oktober 2023 einen willkommenen Anlass, seit Jahrzehnten in den Schubladen liegende Pläne umzusetzen. Das kolonialistisch-imperialistische Projekt des Zionismus hatte immer die Vertreibung der einheimischen Bevölkerung zum Ziel, wie schon 1920 die US-amerikanische King-Crane-Kommission feststellte. Staatsgründer David Ben Gurion forderte Jahre vor Verabschiedung des UN-Teilungsplans offen den Transfer der gesamten palästinensischen Bevölkerung. Alle israelischen Regierungen förderten den Siedlungsbau, die Demütigung, Entrechtung und Enteignung der Palästinenser und führten Krieg.

275 Tonnen Sprengstoff pro Quadratkilometer hat die israelische Armee innerhalb von 600 Tagen abgeworfen. In Vietnam waren es 15 in 19 Jahren.

Und trotzdem hat die Bundesrepublik Deutschland seit Oktober 2023 „Rüstungsgüter“ genanntes Mordwerkzeug im Wert von 485.103.796 Euro nach Israel exportiert. Völlig zu Recht klagt Nicaragua darum gegen den zweitgrößten Waffenlieferanten Israels vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Beihilfe zum Völkermord. Mit dem Gefasel von „uneingeschränkter Solidarität“, dem „Recht auf Selbstverteidigung“ und von „Staatsräson“ hat man sich zum Mittäter gemacht. Bis heute werden Palästina-solidarische Demonstranten niedergeknüppelt und das Recht auf freie Meinungsäußerung missachtet.

Dass jetzt von SPD, der Linken und den Grünen bis hin zur CDU urplötzlich neue Töne angeschlagen werden und auf Kritik an Israel kein pauschaler Antisemitismusvorwurf mehr folgt, ist wenig glaubwürdig, solange tatsächliche politische Konsequenzen ausbleiben. Vielleicht ist der „Meinungsumschwung“ in Medien und Politik darauf zurückzuführen, dass sich inzwischen drei Viertel der Bevölkerung für einen Stopp der Waffenlieferungen aussprechen und 80 Prozent Israels Vorgehen in Gaza für nicht gerechtfertigt halten. Im schlimmsten Fall aber erfolgt die rein verbale Distanzierung aus dem Wissen heraus, dass der Vernichtungskrieg noch viel größere Dimensionen annehmen wird.

„Wir sind nicht länger eine palästinensische Angelegenheit, wir sind jedermanns Angelegenheit“, hat die Vereinigung von Gazas Dichtern ausgegeben. Es ist dringend an der Zeit, dies Wirklichkeit werden zu lassen und endlich in Massen auf die Straße zu gehen – für einen Stopp der Rüstungs­exporte, des Einsatzes von Hunger als Waffe sowie der Kriminalisierung der Protestbewegung und vor allem für ein Ende des vor unser aller Augen verübten Völkermords. Nie wieder – nirgendwo. Auch nicht in Gaza.

Unsere Autorin ist aktiv in der Initiative „Nie wieder Krieg – Die Waffen nieder“ und Mitorganisatorin der zentralen Kundgebung „Stoppt den Völkermord, das Aushungern und die Vertreibung der Palästinenser“ am 14. Juni in Berlin, 14 Uhr, Brandenburger Tor

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"Nie wieder – nirgendwo", UZ vom 6. Juni 2025



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