Es gilt das gesprochene Wort.
Liebe Genossinnen, liebe Genossen, liebe Freundinnen, liebe Freunde,
ich sitze in Gießen als Kommunistin im Gießener Stadtparlament.
Ich bin gleichzeitig voll berufstätig als Lehrerin, im Personalrat, Vertrauenslehrerin, in der GEW und im Kreisvorstand der DKP Gießen, im Bezirksvorstand und in vielen Bündnissen, und seit neun Jahren im Gießener Stadtparlament.
Ich komme nachher noch mal auf die Menge der Arbeit zu sprechen, und wie wir damit umgehen.
In das Parlament kam ich damals, also vor neun Jahren, mit dem Bündnis „Gießener Linke“. Dieses bestand aus linken Kräften in Gießen, der PdL und der DKP.
Ich verließ aber die Fraktion vor vier Jahren, als diese mit den Grünen und der SPD eine regierende Koalition einging. Die Linken waren in der Koalition schnell nicht mehr links. So bin ich seit vier Jahren als Fraktionslose im Parlament.
Als Fraktionslose nutze ich die Freiheiten, die man als Fraktionslose so hat:
- Ohne Fraktionszwang sagen, was ich will
- alle Anträge und Anfragen stellen, um als DKP wahrgenommen zu werden
- Ausschüsse besuchen und dort diskutieren
- Pressemitteilungen schreiben, die jetzt eher veröffentlicht werden
- Interviews mit den Zeitungen ohne Fraktionszwang führen.
Ich bin jedenfalls ganz sicher nicht mit dem Irrglauben im Parlament, als Stadtverordnete in Gießen etwas verändern zu können. Für mich aktuell sehr anstrengend, man braucht Selbstbewusstsein und harte Nerven. Da bekomme ich auf Redebeiträge keinen Applaus – eher Beschimpfungen und Anfeindungen.
Trotzdem bin ich selbstverständlich vorbildlich, recherchiere gründlich und bleibe fair und freundlich. Keine Angriffsmöglichkeiten anbieten. Die Reden sind kämpferisch. Zielführend ist es, wenn dann das Statement einer Kommunistin in der Tageszeitung steht und von vielen gelesen wird. Wir vertreten nun mal als einzige die Interessen der Arbeiterklasse und der Abgehängten. Also suchen wir uns Themen, die den Klassengegensatz deutlich machen.
Themen sind u. a.:
- Einrichten eines Drogenkonsumraumes
- Verbot des Verkaufs von Lachgas an Minderjährige
- Behindertengerechter Einlass in öffentlichen Gebäuden
- Spielplätze sanieren und ausbauen
- Wohnraum schaffen
- Kostenfreier Einlass ins Schwimmbad für Kinder
- Einrichten eines Härtefallfonds – statt Stromsperren usw.
Um die Perversität der Kriegsvorbereitung sichtbar zu machen, haben wir in Gießen nach Bunkern und Schutzräumen für die Bewohner der Stadt gefragt. Ergebnis: Null. Das stand auch in der Zeitung. Oder welche Anstrengungen vom Magistrat bereits vorgenommen wurden, junge Männer und Frauen für den Dienst an der Waffe zu gewinnen … Nur vage Antworten. Das stand auch in der Zeitung.
Alles Themen, mit denen man gut auf unsere Klasse zugehen kann. Wir signalisieren nach außen, dass wir Ansprechpartner für diese sind. So haben wir Kontakt zu Mieterverein, Bürgerinitiativen, Bündnispartnern, und werden auch von einzelnen Bürgern angesprochen. Diese Zusammenarbeit ist Voraussetzung, um gemeinsam zu kämpfen, aber auch um Vertrauen, Überzeugungen und hoffentlich Bewusstsein bei der Bevölkerung erzeugen zu können.
Die Anträge einer Kommunistin werden zwar immer abgelehnt, aber stark diskutiert, und kommen in die Öffentlichkeit. Wenn das Thema aber wirklich relevant oder hochgradig aktuell ist, formulieren manchmal andere Parteien daraus wenigstens einen Ergänzungsantrag oder Änderungsantrag. Da kommen sie dann nicht herum. Ein kleiner Erfolg.
Zu den Stadtverordnetenversammlungen bekomme ich oft kiloweise Unterlagen von der Stadt. Hier sortiere ich gründlich aus. Auf die meisten Themen haben wir keinen Einfluss, und sind auch nicht interessant genug, um Aufmerksamkeit zu erschaffen.
Ich erwähnte zu Anfang, dass ich viel Arbeit habe und hatte. Da ich das in der Vergangenheit nicht anders kannte, als Parlamentarier Einzelkämpfer zu sein, kam ich an meine Grenzen.
Liebe Genossinnen, liebe Genossen, die Parlamentsarbeit hat inzwischen Platz in der Gießener Grundorganisation.
Und das ist eine starke Änderung in Gießen. Wir haben dazu die MBNA genutzt und haben, so wie es Olaf zwar in einem anderen Kontext erwähnte, den Genossinnen und Genossen verschiedene Varianten aufgezeigt, wie sie die Parteiarbeit in Zukunft unterstützen können.
Mit Erfolg: Wir diskutieren auf den MV als TOP 1 nun gemeinsam: Was ist aktuell, wo können wir Anträge stellen, wo können wir kontern, wo kann man kommunistische Analysen einbringen? Wer kann zu welchem Thema Informationen beisteuern, welcher unserer Genossinnen und Genossen spricht mit wem, wer ruft wen an, usw.
Ein anderer Genosse aktualisiert die Homepage. Unsere Anträge und die Ergebnisse sind dort zu finden. Andere Genossen schreiben Artikel zu den Anträgen und Anfragen. Diese veröffentlichen wir in unserer monatlich erscheinenden DKP-Kleinzeitung „Gießener Echo“, die nun auch ein großes Redaktionskollektiv hat. Das „Echo“ wird mit einer Auflage von 9.000 Exemplaren jeden Monat von Genossinnen und Genossen in den Wohngebieten gesteckt, und an jedem ersten Samstag im Monat an einem großen roten Infostand oder am Klinikum (je nach Aktualität) verteilt. Diese Unterstützungsmöglichkeiten durch die eigenen Genossinnen und Genossen werden oft unterschätzt. Das Einbinden der Genossen ist eine Kaderaufgabe. Die Genossinnen und Genossen wollen und müssen eingebunden werden. Florian sagte gestern, dass auch das Aufgabe der Partei ist, um Gennossinnen und Genossen nicht zu verheizen. Und dann macht es gemeinsam auch noch Spaß. Dadurch hat man auch Erfolg. In Gießen haben wir inzwischen über 40 Mitglieder.
Für die Kommunalwahlen am 15. März 2026 bereiten wir gerade eine „Linke Wahlliste“ vor. Die Partei „Die Linke“ wollte diesmal alleine antreten – eine gute Chance für uns.
Parlament hin oder her: Meine Hauptarbeit stecke ich selbstverständlich in die Arbeit der DKP vor Ort, im Bezirk, und auch in die SDAJ. Manchmal muss man auch mal loslassen können – und dann kommt es vor, dass ich lieber auf das Festival der Jugend fahre, um zu helfen und zu feiern, als was für’s Parlament zu machen. Mit den vielen Genossinnen und Genossen kann man zusammen nämlich die Kraft schöpfen, die wir für die bevorstehenden anstrengenden Kämpfe dringend benötigen. Ohne diese versauert man schnell, ist frustriert, und die Parteiarbeit leidet. Und wenn wir eines gelernt haben: Das darf ganz sicher nicht passieren.
Wir haben in Hessen in einer ganzen Reihe von Orten noch Abgeordnete: in Reinheim, in Mörfelden-Walldorf, in Darmstadt, in Kassel, in Eschwege, in Marburg, und bestimmt habe ich noch was vergessen.
Insgesamt merken wir also:
- Die parlamentarische Arbeit muss der Arbeit der Gruppe untergeordnet sein, und nicht umgekehrt. Wenn es gut läuft, dann nutzt uns die Parlamentstribüne, und wir erhalten Aufmerksamkeit, Ausstrahlung etc. Oft genug dreht sich aber auch alles nur noch ums Parlament, und die Fraktionsarbeit im Parlament frisst nach und nach alle anderen Tätigkeiten auf. Das ist mittelfristig dann der Tod unserer Grundeinheiten, die irgendwann nur noch auf dem Papier existieren. Merke: Das Parlament, auch auf kommunaler Ebene, ist zum Korrumpieren gemacht, man soll hier an Arbeit ersticken und nur noch dafür arbeiten. Man erhält kleine Aufmerksamkeiten wie eine Aufwandsentschädigung, und erfährt sicher Annehmlichkeiten wie Einladungen zu Eröffnungen usw., und läuft Gefahr, darauf nicht verzichten zu wollen – dem müssen wir widerstehen, und das geht nur kollektiv!
- Wir dürfen uns vom Parlament nichts diktieren lassen – auch nicht den Terminkalender. Hunderte Seiten Papier, ständig Sitzungen, Ortstermine, Beiräte usw. Hier müssen wir Mut haben, zu fehlen. Wenn wir hingehen, dann mit einem klaren Ziel, was wir sagen wollen. Und auch bei den Reden und Anträgen: Uns kommt es darauf an, überall den Klassengegensatz aufzeigen. Er steckt ja auch im Teewasser, wie Brecht sagt, aber wir müssen zeigen, dass er da drin ist. Man wird uns vorwerfen, der Klassenkampf würde nicht zum Thema passen, wenn es vielleicht um Spielplätze oder Drogenkonsum geht – aber das stimmt nicht, und es ist richtig, auch „Bundespolitisches“ im Kommunalparlament zu thematisieren.
- Wir müssen zeigen, dass wir nicht an den Abgeordnetensesseln kleben, nicht käuflich sind, und unwiderruflich nur die Interessen der Arbeiterklasse in der Kommune im Sinn haben. Natürlich machen wir auch Kompromisse, wenn sie uns nützen. Aber das muss ein politischer Nutzen sein, und kein persönlicher. Deswegen war es für mich richtig und notwendig, nicht Teil der Linken-Fraktion zu bleiben, obwohl ich dafür ziemlich angefeindet wurde (einige waren auch froh, dass ich gehe). Auf keinen Fall dürfen wir wahrgenommen werden als eine Partei unter den vielen anderen. Wir müssen uns immer klar abheben. Das tun wir natürlich in erster Linie über unsere politischen Positionen, aber es ist ein richtiger Instinkt der Leute, nicht so sehr danach zu gucken, was die Abgeordneten im Parlament reden, sondern was sie tun, oder was sie eben nicht mitmachen.