Klaus von Dohnanyi und Erich Vad sprechen miteinander über die Ursachen des Ukraine-Krieges

Patriotische Realisten

Links von der SPD galt Klaus von Dohnanyi als klassischer „rechter Sozialdemokrat”, das heißt als jemand, der sich in Antikommunismus von keinem Konservativen übertreffen ließ. Dazu passte allerdings seine Herkunft nicht – sein Vater Hans von Dohnanyi wurde als Widerstandskämpfer von den Nazis 1945 hingerichtet, seine Mutter war die Schwester des Theologen und Antifaschisten Dietrich Bonhoeffer. Nach den Bundestagswahlen 2017 erklärte er bei „Maischberger”, er habe seine Partei mit dem Kanzlerkandidaten Martin Schulz nicht gewählt und betonte seine Freundschaft mit Angela Merkel. Dohnanyi ist Jahrgang 1928, trat 1957 in die SPD ein, war Mitarbeiter von Willy Brandt, handelte als Wirtschaftsstaatssekretär ab 1968 das Röhren-Erdgas-Geschäft der Bundesrepublik mit der So­wjet­union aus, war von 1972 bis 1974 Bundesbildungsminister und ab 1976 Staatsminister im Auswärtigen Amt, von 1981 bis 1988 Erster Bürgermeister Hamburgs. Ab 1990 war er im Auftrag der Treuhand an der Privatisierung von DDR-Kombinaten wie Takraf Leipzig beteiligt. Im Januar 2022 veröffentlichte er das Buch „Nationale Inte­ressen. Orientierung für deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche“. Eine Kernthese lautet sinngemäß: Die Sicherheitsinteressen der USA (und Großbritanniens) sind denen Deutschlands entgegengesetzt.

Erich Vad stand politisch Jahrzehnte auf konservativer Seite. Er wurde 1957 geboren, war seit 1976 Berufssoldat der Bundeswehr, zuletzt Generalmajor, und promovierte über den Militärtheoretiker Carl von Clausewitz. Ab 1987 war er ein Jahr lang im US-Panzertruppenzentrum in Fort Knox eingesetzt, arbeitete bei der NATO und im US Central Command, ab 2001 in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, wo er Angela Merkel kennenlernte, und bei ihr von 2006 bis 2013 im Bundeskanzleramt als Berater tätig. Aber oder vielleicht deswegen: Seit 2022 rief er dazu auf, den Ukraine-Krieg auf diplomatischem Weg zu lösen, weil er militärisch nicht entschieden werden könne. 2024 veröffentlichte er die Arbeit „Ernstfall für Deutschland: ein Handbuch gegen den Krieg“. Er schildert darin drastisch die russische Reaktion auf einen Beschuss mit deutschen Langstreckenwaffen wie dem „Taurus“.

Die biographischen Hintergründe und beide erwähnten Bücher spielen eine Rolle in dem Gespräch vom 9. Juli zwischen Dohnanyi und Vad, das in dem Band „Krieg oder Frieden – Deutschland vor der Entscheidung“ dokumentiert wird. Dohnanyi erwähnt, dass er 1945 als 16-Jähriger „ein Kampfbataillon des sogenannten Reichsarbeitsdienstes“ zu führen hatte und auf der Flucht vor der Roten Armee gehängte Fahnenflüchtige und einen Zug von KZ-Häftlingen sah: „Es ist ein großer Unterschied, ob man über den Krieg redet oder ob man ihn mal um die Ohren gehabt hat.“ Vad erzählt von Günther Pape, 1944 einer der jüngsten Wehrmachtsgeneräle, „der eben auch die deutsche Panzertruppe der Bundeswehr aufgebaut hat“ und Nachbar des jungen Vad war: „Er war und ist mein Vorbild.“ Vad hält „das Abschreckungsprinzip der NATO … für sehr, sehr wichtig … auch für die künftige Aufstellung der Bundeswehr“. Zugleich sei für ihn Clausewitz „der strategische ‚Mastermind‘“, der Krieg und Politik zusammen gedacht habe, genauer: Man brauche ein politisches Konzept, wenn man Krieg führe und wenn man den Krieg beenden wolle. Die damit verbundene Frage nach realistischen Zielen „haben wir uns in der Ukraine-Debatte überhaupt nicht gestellt“.

Damit ist der Dreh- und Angelpunkt des Gesprächs benannt: Die Bundesregierung vertritt nach Ansicht beider nicht deutsche Inte­ressen, sondern handelt ziellos und unrealistisch. Dohnanyi sieht das in Bezug auf Russland und den Ukraine-Krieg bis heute anhalten, Vad spricht von „Wunschkonzert“ und „billiger Propaganda“. Erst nach dem Dienstantritt Donald Trumps habe sich „das ein Stück weit verändert“. Dohnanyi ist in diesem Punkt skeptisch und fragt, warum dann Friedrich Merz die US-Politik „gewissermaßen“ unterlaufe und „nicht einmal den Versuch“ unternehme, „zu einem Frieden mit Russland zu kommen“. Vad bringt den gemeinsamen Nenner auf den Punkt: Aus deutscher und westeuropäischer Inte­ressenlage sei „ein europäischer Krieg überhaupt keine rationale Option. Das ist aus amerikanischer oder aus britischer Sicht anders …“ Jeder europäische Krieg mache Deutschland zum Schlachtfeld. Aus seiner Sicht hat die NATO immer Abschreckung mit Dialog und Inte­ressenausgleich verbunden. Weder an Ungarn 1956 oder an die Tschechoslowakei 1968 seien Waffen geliefert worden. Was Putin 2022 gemacht habe, habe er „aus seiner Inte­ressenlage heraus machen“ müssen, auch wenn er, Vad, den Völkerrechtsbruch nicht akzeptiere. Die NATO-Osterweiterung sei anfangs durch Kooperation mit Russland „abgefedert“ worden (NATO-Kooperationsrat, Aufnahme Russlands in G7 und Welthandelsorganisation), aber diesen Kurs hätten vor allem die USA verlassen. Der Maidan? Vad: „Regime-Change-Operationen gehören nun mal zum Repertoire des US-Militärs.“ Dort werde auch wissenschaftlich dazu gearbeitet, hierzulande herrsche Schweigen. Allein im Kalten Krieg bis 1991 hätten die USA 66 solcher Operationen durchgeführt – und dann auch in der Ukraine. Wenn Trump jetzt den Panamakanal und Grönland zu einer Frage der nationalen Sicherheit erkläre, dann verstehe er „diese strategische Sichtweise, aber wir müssen sie auch den Russen und Chinesen zubilligen“.

Der Gesprächsband enthält viele aufschlussreiche Details zur deutschen Politik gegenüber den USA und der So­wjet­union beziehungsweise Russland. Die Haltung Dohnanyis und Vads erinnert an die von Angehörigen des Nationalkomitees Freies Deutschland (NKFD), die sich gegen die antinationale Politik des deutschen Faschismus wandten. Den beiden erfahrenen Fachleuten scheint die Lage für Deutschland und seine Bevölkerung offensichtlich ähnlich dramatisch wie vor mehr als 80 Jahren – auch ohne faschistische Diktatur. Das bringt sie zu patriotischem Realismus.

Klaus von Dohnanyi/Erich Vad
Krieg oder Frieden
Deutschland vor der Entscheidung
Westend-Verlag, 124 Seiten, 20 Euro

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"Patriotische Realisten", UZ vom 12. September 2025



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