Seit Jahresbeginn ist der Vorplatz des Zentralfriedhofs in Berlin-Friedrichsfelde ein Bauplatz, die Zufahrtstraße nicht minder. Von diesem Vorplatz gelangt man in die Gedenkstätte der Sozialisten. Alljährlich am zweiten Wochenende im Januar erinnern sich Zehntausende aus ganz Deutschland hier der führenden Köpfe der deutschen Arbeiterbewegung: der von der Reaktion erschlagenen wie der friedlich eingeschlafenen. Seit 1990 steht die Anlage unter Denkmalschutz, damit keine weiteren Toten hinzu gebettet werden dürfen. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt.
Im März 2025 hatten Diebe die Gräber von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, von Walter Ulbricht und Otto Grotewohl und anderen geschändet, indem sie die Bronzetafeln von ihren Gräbern stahlen (UZ berichtete). Ich war vor Ort und fotografierte damals auch die Baustelle vor dem Eingangsportal. Seit etlichen Wochen war man dabei, den in der Tat gefährlichen Sturzacker zu sanieren. Dazu hatte man das Areal weiträumig abgesperrt, der Zugang zum Sozialistenfriedhof war nur noch durch eine schmale Schluppe zwischen Bauzaun und Mauerwerk möglich.

Ein reichliches halbes Jahr später war ich erneut dort. Der Freundeskreis Walter Womacka e. V., dem ich seit dessen Gründung angehöre, legte Blumen am Grab nieder. Der Maler war im September vor fünfzehn Jahren verstorben (Im Dezember begehen wir seinen 100. Geburtstag). Die Arbeiten an der Baustelle vor dem Eingang schienen kaum vorangekommen, was nicht überraschte – weder im März noch jetzt waren tätige Bauleute zu sehen.
Am Mittwoch, den 12. November, meldete sich das für diese Baustelle zuständige Bezirksamt Lichtenberg bei den Anmeldern der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration. Die Betreffzeile der Mail ließ nichts Gutes ahnen: „Vorläufige Absage Gedenkveranstaltung Karl & Rosa“.
Formvollendet kam aus dem „Geschäftsbereich Verkehr, Grünflächen, Ordnung, Umwelt und Naturschutz – Straßen-und Grünflächenamt, Fachbereich V (Straßenverkehrsbehörde) SGA V 2.1“ die lakonische Mitteilung, „dass mit derzeitigem Stand die kommende Gedenkveranstaltung ‚Karl & Rosa‘ 2026 unter den bisherigen Bedingungen nicht stattfinden kann. Dadurch wird es vorerst auch keine Genehmigungen für die Info- und Handelsstände in der Gudrunstraße geben.
Die Bauarbeiten des Vorplatzes am Zentralfriedhof können nicht rechtzeitig beendet werden, weswegen eine Durchführung der Gedenkveranstaltung wie im bisherigen Umfang ein nicht kalkulierbares Risiko darstellt. Sollte sich die Lage ändern, dann werden Sie zum nächstmöglichen Zeitpunkt darüber informiert.“
Nun wissen wir spätestens seit Errichtung des Flugplatzes BER, dass Bauen in der Hauptstadt ein wahnsinnig kompliziertes Unterfangen ist und darum selten Fristen und geplante Kosten eingehalten werden. Warum sollte also binnen Jahresfrist der Vorplatz vor dem Sozialistenfriedhof saniert und planiert werden?

Allerdings muss man schon mit dem Klammerbeutel gepudert worden sein, wie der Berliner Kurt Tucholsky in solchen Situationen zu sagen pflegte, um diese „vorläufige Absage“ aus dem Bezirksamt völlig wertfrei zur Kenntnis zu nehmen. Natürlich ist die alljährliche Heerschau von Kommunisten, Sozialisten, Anarchisten und Antifaschisten, von Kriegsgegnern und Friedensfreunden etlichen schon immer ein Dorn im Auge. Da gab es in der Vergangenheit Bombendrohungen und andere Auflagen, um die Demonstration zu unterbinden, mindestens zu beschränken. Nun also die geniale Idee, den Vorplatz aufgerissen zu lassen, damit keine geschlossenen Züge ihn passieren können und die vielen Info-Stände und Begegnungsorte in der Zugangsstraße keinen Platz finden. Und alles schön legal und amtlich.
Natürlich ist das eine politische Intrige, die sich bautechnisch tarnt. Binnen eines Jahres einen Platz von der Größe eines halben Fußballfeldes zu pflastern, sollte keine unlösbare Aufgabe sein. Selbst in Berlin nicht. Gut, für den Gendarmenmarkt haben sie auch zwei Jahre gebraucht, aber das waren 14.000 Quadratmeter, also fast drei Fußballfelder …
Weder Spott noch Schulterzucken sind angesichts der Behörden-Mitteilung angebracht. Wir müssen verhindern, dass die Luxemburg-Liebknecht-Demo auf diese skandalöse Weise verhindert wird. Wie auch immer: Der Zugang zur Gedenkstätte muss im Januar möglich sein – nicht auf Schleichwegen, sondern durch das Portal! Es bleiben zwei Monate Zeit.



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