Olga Benario schildert in „Berliner Kommunistische Jugend“ den Alltag der Jungkommunisten der 1920er Jahre

Berlin bleibt rot!

Dean Wetzel

Im Jahre 1928 befreit die junge Kommunistin Olga Benario ihren Genossen und Lebensgefährten Otto Braun, der wegen „Hochverrat am Vaterland“ angeklagt war, aus dem Gefängnis des Kriminalgerichts Moabit. Der daraufhin ausgeschriebene Haftbefehl, der mit einem Kopfgeld einherging, zwang sie zur Flucht in die UdSSR.

Dort veröffentlichte sie 1929 in der Schriftenreihe „Arbeit und Alltag der KJI – Kommunistische Jugendinternationale“ des Verlags Junge Garde den jetzt erstmals in deutscher Sprache vorliegenden Bericht. Olga Benario, die sich schon mit 15 Jahren in der Kommunistischen Jugend engagierte, ging 1925 nach Berlin, um dort für den Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD) und die KPD zu arbeiten. Sie schildert den jungen Genossen in der Sowjetunion und nun – dank des Verbrecher Verlags und der Übersetzung von Kristine Listau – auch den deutschsprachigen Lesern die Arbeit und den Alltag der Berliner Jungkommunisten in den 1920er Jahren.

Benario berichtet von der mannigfaltigen Arbeit des KJVD – nicht nur als Beobachterin, sondern explizit als Beteiligte. Dabei begleiten wir sie in das Gewusel des Karl-Liebknecht-Hauses, in dem der KJVD zwischen der Redaktion der „Roten Fahne“, dem ZK der KPD und ihren Bezirksausschüssen zwei kleine, mit allerlei Materialien überfüllte Büroräume belegt. Sie gibt einen Einblick in die zentrale Koordinationsarbeit der Partei und umreißt ein Bild von den teils skurrilen Gestalten, die das Haus beleben, wie zum Beispiel dem dicken Hugo, der mit seiner Schäferhündin Bella den Eingang bewacht.

Vom Karl-Liebknecht-Haus geht es auf Gruppenabende und von diesen mit Eimer und Pinsel bewaffnet auf nächtliche Spaziergänge, bei denen man sich – als turtelnde Pärchen vor der Polizei getarnt – ans Plakatieren macht. Eine Kunst für sich, wie sie in einer pointierten Episode berichtet. Nach der getanen Arbeit wird am Sonntag aber nicht ausgeschlafen, stattdessen geht es auf die Haus- und Hofagitation, bei der nicht nur Geld für die Parteikasse gesammelt wird, sondern die Partei auch ihre Präsenz im Viertel stärkt.

Benario berichtet in kurzen Kapiteln von einem breiten Spektrum der Organisations- und Agitationsform. So finden Ausstellungen in Kneipen statt, werden Bildungs- und Agitationsausflüge aufs Land unternommen, Demonstrationen organisiert und in den Betrieben agitiert. Dabei bringt sie nicht nur die facettenreiche Arbeit selbst, sondern immer wieder auch die verschiedenen Repressionen zur Sprache, betont dabei aber vehement: „Unsere Organisation hat mehr denn je die Aufgabe, in den Betrieben tiefe Wurzeln zu schlagen und trotz der Verbote und Repressionen die Massen der proletarischen Jugend zu mobilisieren.“ Ein Aufruf, der heute nichts von seiner Aktualität verloren hat.

Und selbst wenn es zu Verhaftungen kommt, darf der Kampf auch im und um das Gefängnis nicht ruhen. Während die Genossen draußen für die Inhaftierten demonstrieren, wird diesen drinnen das Gefängnis zu einer „Hochschule für Kommunismus“. Theorie und Praxis gehören nun einmal zusammen.

Die Wiederentdeckung dieses Berichts und seine Übersetzung ins Deutsche sind ein absoluter Glücksfall. Mit wenigen, aber präzisen Zügen beschreibt Benario das Berlin der 1920er Jahre und die Arbeit des KJVD. Dabei ist ihr Bericht nicht nur als historisches Dokument von Bedeutung, sondern besitzt darüber hinaus, trotz des teils ungeschliffenen Stils, auch erzählerische Qualitäten, die es den jungen und auch alten Genossen unserer Zeit ermöglichen, sich einen eindringlichen, aber auch humoristischen Einblick in die politische Arbeit vor gut 100 Jahren zu verschaffen.

Olga Benario
Berliner Kommunistische Jugend
Verbrecher Verlag, 128 Seiten, 18 Euro
Erhältlich unter uzshop.de

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"Berlin bleibt rot!", UZ vom 12. Januar 2024



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