Es gilt das gesprochene Wort.
Liebe Genossinnen und Genossen,
in diesen Zeiten muss man vorsichtig sein. Bevor ich also zu den zentralen Problemen der Kommunalpolitik komme, ein paar Hinweise zu den Risiken und Nebenwirkungen.
Wer kommunalpolitisch aktiv ist, lernt andere Menschen aus seiner Stadt und Nachbarschaft kennen. Das wird gemeinhin als Vorteil betrachtet, birgt aber auch Probleme. Insbesondere dann, wenn man es plötzlich mit anderen kommunalpolitisch engagierten Leuten aus dem bürgerlichen Lager zu tun bekommt.
In der vergangenen Woche erhielt ich aus heiterem Himmel eine E-Mail eines Mitglieds der Grünen in Neuss. „Antidemokratische Kräfte gewinnen an Boden“, hieß es darin. Bevor ich mich über das Lob für unsere offenbar wahrgenommene politische Arbeit freuen und über die Wortwahl empören konnte, las ich weiter. Es war eine Einladung zu einem „Runden Tisch für Demokratie“. Der soll demnächst gegründet werden, um „Extremisten“ aller Art den Kampf anzusagen. Aber das war noch nicht alles. Die Initiatoren hatten noch eine ganz besondere Überraschung parat: Möglicherweise könne die Neusser Ehrenbürgerin Rita Süssmuth die Schirmherrschaft übernehmen.
Soweit zu den Risiken: Menschen, E-Mails, Rita Süssmuth.
Liebe Genossinnen und Genossen,
bürgerliche Kommunalpolitiker sprechen gerne davon, dass sie sich vor Ort für „die Demokratie“ und ein „soziales Miteinander“ einsetzen wollen. Das klingt gut und wäre zu begrüßen, wenn sie sich dabei auch nur ein bisschen selbst ernst nehmen würden. Davon kann jedoch keine Rede sein. Denn dann müssten sie sich eingestehen, dass ihre Sonntagsreden nicht zu ihrer objektiven Aufgabenstellung passen. Dann müssten sie bekennen, dass sie gerade nicht als Vorkämpfer für das solidarische Gemeinwesen gebraucht werden, sondern als Prellböcke und Sachverwalter für den Abbau von sozialer Infrastruktur und von demokratischen Rechten.
In einem Aufsatz der „Landeszentrale für politische Bildung“ in Nordrhein-Westfalen habe ich diesen schönen Satz gefunden: „In der Gemeinde können die Bürgerinnen und Bürger in einem breiten Maße Demokratie praktisch einüben.“
Ich fürchte, das ist die Wahrheit. In der Kommune kann man praktisch einüben, wie man sich mit dem vermeintlichen Sachzwang arrangiert, auf Bürgerversammlungen rumhängen und wirkungslos mitreden. Praktisch wird die bürgerliche Demokratie eingeübt, wenn mit großem Eifer darüber diskutiert wird, ob man nun lieber den Jugendclub oder die Bibliothek schließt. Praktisch eingeübt wird die bürgerliche Demokratie, wenn öffentliche Grundstücke an private Konzerne verkauft werden und anschließend Verständnis für die teuren Mieten gepredigt wird, weil sich der Handel mit unseren Grundbedürfnissen ja auch rentieren muss. Auch, wenn die Bundeswehr auf dem Stadtfest für Rekruten werben darf, wenn kleine Kinder auf Panzern rumklettern und Jugendoffiziere in Schulklassen sprechen, wird die bürgerliche Demokratie praktisch eingeübt. Wir sagen: Übt euren Scheiß alleine.
Während demokratische Rechte in diesem Land eingeschränkt werden, während Meinungen unter Strafe gestellt, Versammlungen und Vereine verboten werden, während die Kommunen selbst darauf hinwirken, dass politische Parteien und Verbände, die vom Kriegskurs oder der Staatsräson abweichen, keine öffentlichen Räume mehr erhalten. Während all das geschieht, wird von der Kommune als „Herzkammer der Demokratie“ fabuliert. Und werden in Bürgerfragestunden und Bürgerinformationsveranstaltungen demokratische Prozesse simuliert. Wir wollen aber nicht nur Fragen stellen, wir wollen nicht nur informiert werden, wir wollen selbst über unser Lebensumfeld, über die Lebensbedingungen unserer Klasse entscheiden.
Aber zu entscheiden gibt es vor Ort nicht mehr viel. Die kommunale Selbstverwaltung fristet ihr Schattendasein im Grundgesetz. Praktisch ist sie jedoch tot. Ausgehöhlt von einer langanhaltenden strukturellen Unterfinanzierung der Gemeinden, die keinen Gestaltungsspielraum mehr lässt – aktuell massiv verschärft durch die Auswirkungen des Wirtschaftskriegs gegen Russland, durch die wahnsinnigen Ausgaben für Krieg und Hochrüstung.
Das ist kein Betriebsunfall, auch kein reiner Kollateralschaden. Eine wirksame kommunale Selbstverwaltung hat im Imperialismus keinen Platz. Im Gegensatz zum Bürgertum des 19. Jahrhunderts hat das Monopolkapital kein Interesse an kleinteiligen Verwaltungseinheiten oder an innerörtlicher Infrastruktur. Mit zunehmender Konzentration von Kapital und Macht vollzieht sich eine Umgestaltung des politischen Überbaus.
Nicht nur, indem den Kommunen die Mittel genommen werden, sondern auch, indem ihre rechtliche Stellung angegriffen wird. Planungsrecht wird zunehmend zentralisiert und ohne Rücksicht auf örtliche Belange, Umweltschutz oder soziale Bedürfnisse umgesetzt. Davon zeugen die zahlreichen „Planungsbeschleunigungsgesetze“ der vergangenen Jahre. Mit ihnen wurde beispielsweise der Bau von LNG-Terminals gegen den erbitterten Widerstand der anliegenden Kommunen auf Rügen durchgesetzt. Diese Verlagerung der Planungshoheit ermöglicht im zweiten Schritt auch den zügigen Aufbau von kriegswichtiger Infrastruktur. Auch das ist reaktionär-militaristischer Staatsumbau.
Nicht, dass Zwang notwendig wäre. Zahlreiche Städte und Gemeinden militarisieren sich selbst. Wenn es kein Geld gibt und wenn die Gemeinde am Tropf von Fördermitteln hängt, ist es leicht, die Militarisierung voranzutreiben. Es reicht, 100 Milliarden Euro für die militärische Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, oder steigende Gewerbesteuern durch die Ansiedlung von Rüstungsbetrieben zu versprechen. Und die sonst handlungsunfähigen Kommunen stürzen sich auf das Fördergeld und Kriegsgewinne wie die Fliegen in das Zuckerwasser.
Die Kämpfe um Frieden und gegen den Kahlschlag in der kommunalen Daseinsvorsorge gehören zusammen.
Liebe Genossinnen und Genossen,
in den vergangenen zwei Jahren, seit unserem letzten Parteitag, hat sich die Lage massiv verschlechtert. Die kommunalen Kassen sind leer. Im vergangenen Jahr haben die Gemeinden ein Rekord-Minus von mehr als 24 Milliarden Euro eingefahren. Dieses Defizit müssen wir alle ausbaden: mit dem Kahlschlag bei sozialen Angeboten, mit Kürzungen bei der Kultur, beim Sport, bei der Jugend. Wir zahlen mit steigenden Mieten und Nebenkosten, mit einem schlechter und teurer werdenden Öffentlichen Nahverkehr. Mit einer verfallenden Infrastruktur – und damit meine ich nicht nur zusammenbrechende Brücken, sondern auch unbenutzbare Schultoiletten, sanierungsbedürfte Schwimmbäder und völlig unterfinanzierte Krankenhäuser und Pflegeheime.
Bezahlen müssen auch die Kolleginnen und Kollegen im Öffentlichen Dienst. Sie sind in diesem Jahr angetreten, um Entlastung zu erreichen: drei freie Tage im Jahr, 8 Prozent mehr Lohn, mindestens 350 Euro. Was sie bekommen haben: Reallohnverlust, Mehrarbeit durch eine „freiwillige“ 42-Stunden-Woche und einen einzigen zusätzlichen Urlaubstag, aber auch erst ab dem Jahr 2027.
In der Tarifrunde haben Bund und Kommunen versucht, die Solidarität mit den Beschäftigten zu brechen. Die Bedürfnisse der Bevölkerung, insbesondere der Arbeiterklasse, und die berechtigten Forderungen der Kolleginnen und Kollegen im Öffentlichen Dienst wurden gegeneinander ausgespielt. Karin Welge, die Verhandlungsführerin der Kommunen, erklärte beispielsweise: „Jeder Euro, der für höhere Gehälter ausgegeben werden muss, fehlt an anderer Stelle, beispielsweise für wichtige Investitionen in die Daseinsvorsorge.“
Dieser Versuch, den Kahlschlag in den Kommunen zu instrumentalisieren, um Löhne zu drücken und die Ausbeutung zu verschärfen, zeigt, wie richtig unsere Orientierung ist: Die Kämpfe in den Gewerkschaften und die Kämpfe in den Kommunen gehören zusammen. Wir lassen uns nicht spalten!
Wofür Geld da ist und wofür nicht, entscheidet sich anhand der Kräfteverhältnisse im Klassenkampf. Keine zwei Monate nach dem Abschluss im Öffentlichen Dienst bringt die Bundesregierung milliardenschwere Steuergeschenke für Konzerne auf den Weg. Rund 50 Milliarden Euro Einnahmeausfälle, ein gewichtiger Teil davon in den Kommunen. Eine Summe, die sich fast schon niedlich ausnimmt gegenüber den unbegrenzten Kriegskrediten, die sich die Bundesregierung genehmigt hat und den hunderten Milliarden, die für Hochrüstung, Waffenlieferungen und Kriegsvorbereitung ausgegeben werden.
Liebe Genossinnen und Genossen,
das ist also die Lage, in der wir in den Gemeinden und Stadtvierteln gegen Krieg und Kahlschlag und für Heizung, Brot und Frieden kämpfen. Die Verschärfung der Situation ereilt uns nicht überraschend. Wir haben es kommen sehen. Ich habe noch einmal nachgeschaut, mit welchen Einschätzungen wir bei unserem letzten Parteitag vor zwei Jahren gearbeitet haben. Im Antrag Heizung, Brot und Frieden haben wir beschlossen:
„Die Dramatik der laufenden Angriffe ist massiv, Verelendung, Massenarmut, Verlust von Wohnungen, kein Geld für Heizen und Lebensmittel werden für Massen zur Realität. Handwerksbetriebe stehen vor der Pleite. Es drohen neue Privatisierungswellen vor allem im Bereich der Daseinsvorsorge. Leistungen der Daseinsvorsorge werden unerschwinglich teuer und Einrichtungen geschlossen.“
Wir haben gesagt, es wird schlimmer – und siehe da, es ist tatsächlich schlimmer geworden. Was fangen wir nun damit an? Werten wir die zutreffende Prognose als Ausdruck der Stärke unserer Analysefähigkeit?
Oder sagen wir: Wenn alles so schlimm wird, wie wir es vorhersagen, dann ist das auch ein Ausdruck für unsere Schwäche in der Praxis?
Ich bin dafür, wir nehmen das mit der Analysefähigkeit.
Aber ich will auch etwas zur Praxis sagen.
Wir haben mit dem Aufbau einer kommunalpolitischen Kommission begonnen, und dort vor allem zwei zentrale Seminare an der Karl-Liebknecht-Schule durchgeführt. Das dritte ist für den Dezember in Planung, und ihr seid alle herzlich eingeladen.
Es ist uns gelungen, auf diesen Seminaren in den inhaltlichen Austausch zu kommen und verschiedene Politikfelder zu bearbeiten. Wir berichten regelmäßig in der UZ auf einer eigenen Seite über Kommunalpolitik – sowohl über die konkreten Kämpfe als auch über die Rahmenbedingungen. Das ist ein Anfang, aber noch zu wenig. Um die Arbeit der Kommission zu verbessern, brauchen wir vor allem noch Genossinnen und Genossen, die unterschiedliche Perspektiven einbringen und die gemeinsam entwickelte Politik auch wieder mit in die Grundorganisationen nehmen. Daher meine Bitte an die Bezirke, noch einmal ernsthaft zu prüfen, wer sich vielleicht beteiligen kann.
Auf der zentralen Ebene mahlen die kommunalpolitischen Mühlen also langsam, aber schrecklich fein. Mit größerer Geschwindigkeit und einigem Eifer geht es aber in anderen Gliederungen voran, und ich freue mich auf den Austausch darüber.
Einige Bezirke haben kommunalpolitische Verantwortlichkeiten geregelt, Arbeitspläne aufgelegt, die Beteiligung an Kommunalwahlen wird vorbereitet oder diskutiert.
Auf dem Infotisch am Fenster findet ihr eine ganze Reihe von Kleinzeitungen – einige davon erscheinen seit langer Zeit regelmäßig, andere wurden in den vergangenen Jahren neu oder wieder neu aufgelegt. Ich kann nur empfehlen, schaut sie euch an.
Einige Grundorganisationen sind schon im Stadtviertel oder in der Nachbarschaft aktiv. Andere suchen noch ihren örtlichen Schwerpunkt und die möglichen Anknüpfungspunkte. Eine Suche, die auch schon einmal länger dauern kann. Gerade weil wir gemeinsam mit den Betroffenen vor Ort, und nicht stellvertretend für sie, Kämpfe entwickeln und ausfechten wollen, weil wir uns in unserem Lebensumfeld verankern müssen, können wir Kommunalpolitik nicht aus dem Ärmel schütteln. Für diese mühsame Aufbauarbeit gibt es keine Abkürzung.
Liebe Genossinnen und Genossen,
soziale Infrastruktur verteidigen, Raum für unsere Bedürfnisse und die unserer Klasse in der Gemeinde erkämpfen, echte kommunale Demokratie herstellen und Militarisierung verhindern: Da rettet uns kein höheres Wesen – kein Bürgermeister, kein Stadtrat, noch nicht einmal Rita Süssmuth. Das können wir nur selber tun.
Vielen Dank.