Der Kadavergehorsam des deutschen Militarismus ist ein Pestherd“, schrieb ein gewisser Ignaz Wrobel 1924 in der Zeitschrift „Weltbühne“ zur Wiedereinführung der Wehrpflicht in der Weimarer Republik. Wrobel, ein Pseudonym von Kurt Tucholsky, erkannte damit sehr wohl, welchen zentralen Wert die Wehrpflicht für die Militarisierung der Köpfe einnimmt: „… eine bunte, verlogene Sache nach außen – eine schmutzige, rohe und völlig wertlose nach innen.“
100 Jahre und einen zweiten Weltkrieg später bricht sich der Pestherd des deutschen Militarismus erneut Bahn. In der vergangenen Woche einigten sich die Kriegskoalitionäre von SPD und CDU auf einen Fahrplan zur Wiedereinführung des Kriegsdienstes mittels Salamitaktik. Unter dem Deckmantel „neuer Wehrdienst“ werde zunächst auf das Prinzip der Freiwilligkeit gesetzt, betonte Hochrüstungsminister Boris Pistorius (SPD) auf der gemeinsamen Pressekonferenz der Fraktionsspitzen. Unfreiwillig bleibt jedoch, dass alle jungen Männer, beginnend mit dem Jahrgang 2008, ab dem kommenden Jahr verpflichtend zur Musterung antreten müssen. Rund 700.000 junge Menschen werden ab Januar 2026 erfasst und angeschrieben. Das betrifft auch junge Frauen, die allerdings nicht zu Antwort und Musterung verpflichtet sind.
Um die „Freiwilligkeit“ voranzutreiben, setzen die Koalitionäre auf Bestechung: Konkurrenzlose Attraktivität erhält der „Dienst für das Vaterland“, wie es CDU-Fraktionschef Jens Spahn in die Pressemikros grinste, durch ein Bruttoeinkommen von 2.600 Euro im ersten Jahr und weitere Verlockungen – beispielsweise durch Zuschüsse für den Pkw-Führerschein. Dieses faule Angebot trifft auf eine Jugend, in der jeder vierte in die Armut gezwungen ist, und auf eine Ausbildungslandschaft, die im ersten Lehrjahr durchschnittlich 1.000 Euro Vergütung bietet.
Doch je näher die massenhaften Musterungen und die mit dem Kriegsdienst verbundenen Entscheidungen rücken, umso lauter wird der Widerstand. „Die Jugend kämpft und hat Power“, berichtete die SDAJ-Vorsitzende Andrea Hornung auf dem Jugendpodium des Kasseler Friedensratschlags. Beweis dafür sind die zahlreichen lokalen Aktivitäten von Schülern, die sich gegen die Wehrpflicht in einer bundesweiten Initiative zusammengeschlossen haben. „Es heißt, wir sollen für Deutschland Krieg führen können. Doch was ist eigentlich mit unserem Recht, in Frieden zu leben und selbst zu entscheiden, wie wir unser Leben führen wollen?“, fragt die Initiative in einer Erklärung. „Statt Milliarden in Waffen zu stecken“ fordert sie „Milliarden für Bildung, bessere Ausbildungsplätze, das Klima und für unsere Zukunft“. Das Bündnis ruft deshalb zu einem bundesweiten Schulstreik am 5. Dezember auf – an diesem Tag wird der Bundestag über das „neue Wehrdienstgesetz“ entscheiden.
Mit der vorläufigen „Freiwilligkeit“ wollen die Koalitionäre der in der Jugend verbreiteten Kriegsmüdigkeit vorerst aus dem Weg gehen und Zeit für einen erhofften Mentalitätswandel gewinnen. Das erste Anschreiben, Erfassen und Mustern führe nämlich auch dazu, so CDU-Fraktionschef Spahn, dass „jede Familie über den Wehrdienst sprechen“ werde. Spahn will an den heimischen Küchentisch und in die Köpfe.
Hochgerüstet wird auf jeden Fall, unabhängig davon, ob diese Propaganda verfängt. Auch das geht aus dem Kompromiss zum „neuen Wehrdienst“ hervor, der eine sogenannte „Bedarfswehrpflicht“ gleich mitdenkt. Zukünftig soll dem Bundestag halbjährlich Bericht über die Zahlen der neuen, freiwillig Rekrutierten erstattet werden. Sofern die Zielzahl von 80.000 neuen Soldaten in fünf Jahren nicht erreicht wird, könne doch eine Pflicht zum Kriegsdienst greifen, um die Lücken zu schließen.
Bei den kommenden Schulstreiks werden Schülerinnen und Schüler aus der ganzen Bundesrepublik deutlich machen, dass sie sich weder bestechen noch bekehren noch zwingen lassen wollen. Aber auch wenn die Abgeordneten die Wiedereinführung beschließen, werde der Protest nicht aufhören, so die Schulstreik-Initiative. Dabei seien alle – ob Schüler oder nicht – aufgerufen, sich zu beteiligen. Richtig so, denn die Einführung der Wehrpflicht, das wusste bereits Kurt Tucholsky 1924, „bedroht den Frieden späterhin und vergiftet das Leben des Volkes von der Einführung an“.
Informationen zum Schulstreik: schulstreikgegenwehrpflicht.com



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