Der französische Präsident ermächtigt sich, den Sozialstaat zu schleifen

Sonnenkönig Macron

Von Georges Hallermayer

Präsident Emmanuel Macron hielt Hof. Eine abgewirtschaftete Sozialdemokratie, eine exakt getimte mediale Strategie finanzkapitalistischer Strippenzieher, ein abschreckender Front National – der viele ein vermeintlich „kleineres Übel“ wählen ließ –, hatten dem neuen Führer eine absolute Mehrheit der wählenden Minderheit beschert.

Macrons rief beide Parlamentskammern im Schloss von Versailles zusammen, was einem nationalen Appell gleichkommt: 2009 sprach Präsident Sarkozy aus Anlass der Weltwirtschaftskrise und Francois Hollande 2015 nach den Terroranschlägen. Und Macron umschrieb hier die Richtung seiner Politik: Aggressivität nach außen und Unterdrückung nach innen, die Ausweitung neokolonialer Militäreinsätze in Afrika – aktuell die „G5 Sahel“-Initiative –, die repressive Umstrukturierung des Staatsapparats, die weitere Aushöhlung des Sozialstaats.

Macron hat freie Hand, seine angekündigten „systemändernden“ Reformen durchzusetzen. Die Schreiberlinge der 500 Oligarchen, des einen Prozents der Bevölkerung, die nach der aktuellen Rangliste von „Challenge“ knapp ein Viertel des nationalen Vermögens besitzen, sprechen von „hoffnungsvollen Rahmenbedingungen“ und verweisen auf die auf 1,6 Prozent angehobenen Wachstumsprognosen. Während Macron von Haushaltslöchern spricht und verspricht, die 3-Prozent-Defizitgrenze der EU einzuhalten, und rigoros soziale Ausgaben „einsparen“ will, feiern die CAC 40 Unternehmen (analog dem deutschen DAX) einen 32prozentigen Anstieg der Profite seit 2015 auf 77 Milliarden Euro. Davon schütteten sie 46 Prozent direkt an die Aktionäre aus, die höchste Summe seit 2006. Premierminister Edouard Philippe verspricht zusätzliche Steuer­erleichterungen für den Mittelstand, während sein Finanzminister Bruno Le Maire die versprochenen Geschenke für „zu fördernde Investitionstätigkeit der Unternehmen“ durch den Verkauf von Volksvermögen, in diesem Fall Unternehmensanteile, in Höhe von 10 Mrd. Euro zu finanzieren beabsichtigt.

Im Mittelpunkt der Erwartungen steht die Umsetzung der vom „Sozialisten“ Hollande angeschobenen Arbeitsrechtsreform („El Khomri-Gesetz“). Präsident Macron und seine Mannschaft lassen keinen Zweifel aufkommen, dass die angekündigten Bestimmungen auch tatsächlich Gesetzeskraft erhalten. Noch im Juli wird dafür ein Ermächtigungsgesetz in der Nationalversammlung eingebracht, damit das bereits beschlossene „Khomri-Gesetz“, das eine klar gewerkschaftsfeindliche Ausrichtung hat, repressiv ausgebaut werden kann. Historische Parallelen zur Brüning‘schen Notverordnungspolitik deuten sich an, das deutsche Vorbild der Agenda 2010 ist offensichtlich. Entsprechend gut ist die Stimmung bei den Unternehmern.

Aber was kommt auf die Beschäftigten zu? In der Stimme der Chemieindustrie „Voix des Industries Chimiques“ sind die Grausamkeiten nachzulesen: Erstens: Der unbefristete Arbeitsvertrag (CDI) als Regel wird abgelöst durch befristete Verträge (CDD) und Werkverträge „missions“ oder Projektverträge, wie es der Unternehmensverband MEDEF seit langem nach deutschem Vorbild fordert. Zweitens: Massen-Entlassungen bedürfen keiner – rechtlich anfechtbaren – Begründung mehr, Arbeitsgerichtsstrafen werden gedeckelt. Drittens wird die Position der Gewerkschaften in den Betrieben unterminiert, das „Unternehmens-Referendum“ spaltet die Belegschaft und hebelt Tarifverträge aus. Viertens: Die Kranken- und Arbeitslosenversicherung wird als sozialpartnerschaftliches 50–50-Beitragssystem abgeschafft und durch eine Steuer (CSG) ersetzt. Und Fünftens wird das solidarische Rentensystem nach schwedischem Modell umgebaut zu einer (profitträchtigen und risikobehafteten) Kapitalrente.

Wer soll sich dem entgegenstellen? Das Parlament wird nach dem Ermächtigungsgesetz zu einer applaudierenden Plenarversammlung verkommen. Macrons Partei LRM – nach eigenen Angaben hat sie 373 000 Anhänger in 3 200 lokalen Komitees – will sich nach ihrem ersten Konvent am 6. Juli „wie ein Medium konstituieren“, die „Initiativen des Präsidenten und Nachrichten seiner Anhänger übers Land zu verbreiten“, schreibt in „Le Monde“ einer der Sprecher der „Bewegung“. Und die bürgerliche Opposition schmilzt: Die Republikaner diskutieren, ob sie den Flügel ausschließen sollen, der bereit ist, auf der Regierungs-Welle mitzuschwimmen. Die Sozialistische Partei ist zerbrochen, einige als Minister wie Le Maire und Le Drian oder als Abgeordnete bei Macron untergekrochen, Ex-Premier Manuel Valls hätte das zwar auch gerne getan, aber Macron wollte ihn nicht. Ex-Kandidat Benoit Hamon gründete eine eigene „Bewegung“, andere Linke wie Montebourg halten sich noch zurück. Auf das Leitmotiv „weder Macron, noch Melenchon“ haben sich diese Sozialdemokraten geeinigt, und wollen offen „ihrer“ Gewerkschaft CFDT bei den „Verhandlungen“ mit der Regierung zur Seite stehen.

Am Nationalfeiertag (14. Juli) mobilisiert ein Bündnis aus Gewerkschaftsgliederungen der CGT, FO, SUD und CNT, aber auch kommunistischen Gliederungen und sozialen Bewegungen unter dem Motto „Prenons la rue“ („Nehmen wir die Straße“) gegen die Notverordnungspolitik Macrons. Die Partei von Jean-Luc Melenchon (FI) „France Insoumise“ rief ebenfalls zum Widerstand: Am 12. Juli zu einer Volksversammlung am Platz der Republik, nachdem die FI-Fraktion den Macron-Auftritt in Versailles boykottiert hatte. Die Kommunistischen Partei PCF unterstützt nach Kräften die gewerkschaftlichen Initiativen, aber intern rumort es. Der Parteivorsitzende Laurent muss um seine Wiederwahl als Pariser Senator im September kämpfen. Nach Versammlungen auf Departementsebene wird ein außerordentlicher Kongress der PCF Mitte bis Ende nächsten Jahres über eine neue Führung und die weitere Politik entscheiden.

Zum Schuljahresanfang im September sind zahlreiche Aktionen geplant, um das öffentliche Schulwesen zu verteidigen. Auch wenn Macron den Staatsnotstand in seiner bisherigen Fassung im November aufheben wird, ein neues Notstandsgesetz ist bereits angekündigt.

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"Sonnenkönig Macron", UZ vom 14. Juli 2017



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