„Wilma will mehr“ – im Kino

Sternstunde für Fritzi Haberlandt

Geschätzt ein Fünftel der 110 Filmminuten von Maren-Kea Freeses Spielfilm „Wilma will mehr“ sind vorbei und von dem, was dieses Mehr ist, haben wir noch so wenig Ahnung wie Wilma selbst. „Dass sich alles ändert!“ könnte gemeint sein: Wilmas Trinkspruch bei einem Glas Rotwein in einer gut eingerichteten Gartenlaube irgendwo bei Wien, Ende der 1990er Jahre. Für die Mittvierzigerin Wilma aus der Lausitz steckt darin das bittere Resümee ihres bisherigen DDR-Lebens, von dem offenbar nichts Bewahrenswertes bleibt. Ein Neustart muss her und hier soll er beginnen. Doch Georg, der ihr hier Behelfsquartier bietet und selber in einer Ehekrise steckt, hegt andere Vorstellungen vom Neubeginn, und der Baumarkt, in dem er Wilma Arbeit beschaffen will, gleicht aufs Haar dem, aus dem sie gerade daheim entlassen wurde.

Nächste Station: die Jobvermittlung. „Suchen’s sich a feste Adress, dann können’s nochmal probieren“, erklärt ihr eine Dame routiniert und unbeeindruckt von dem „Sack voll Zeugnissen und Prämien“ aus DDR-Zeiten, und die Kenntnis alter Apfelsorten ersetzt nicht Erfahrung mit 3D-Visualisierung. Also aus der Traum und zurück nach Hause. Aber wo ist das? An der Busstation trifft die sonst so wortkarge Wilma einen, dem sie endlich ausführlicher ihr Leid klagen kann – in holprigem Schulrussisch samt Alkoholika. Immerhin, in Juris Mehrbettencontainer ist für eine Nacht Platz, und am Morgen kann sich Wilma in den Tagelöhner-Strich einreihen, aus dem sich gut betuchte Wienerinnen für kleine Reparaturen und anderes bedienen. Und Wilma wird weiterempfohlen – am Ende sogar mit Unterkunft.

Man ahnt es: Freeses Dramaturgie hat mit rein erzählender Chronologie nicht viel im Sinn. Wilmas Abschied von ihren Kollegen im ehemaligen VEB Kraftwerk „Sonne“, wo sie nach der „Abwicklung“ nur noch Alpakas füttern und gelegentlich Besucherführungen machen darf, deutet auf Ortswechsel und Neustart, aber es sind die DDR-Jahrzehnte, die sie geprägt haben. Die ergreifen nun in kühnen Zeitsprüngen, Rückblenden oder Traumvisionen von ihr Besitz und lassen die alten Sprüche noch hohler klingen, bis sie ihr wie hohle Zähne in den Schutzhelm purzeln. Ein Seitensprung ihres Mannes Alex mit Doris, ihrer besten Freundin aus der Brigade, war letzter Auslöser ihres Abschieds von der Lausitz. Nun grinsen ihr die beiden in einer Vision als höhnisch lachende Glühbirnen auf einem Prüfband entgegen – von erfolgreicher Verdrängung kann also weiterhin keine Rede sein.

Gewiss, Freeses Drehbuch mit seinen unvermittelten Stimmungs- und Realitätssprüngen fordert dem Zuschauer hohe Aufmerksamkeit und Flexibilität ab, doch die werden mit dem grandiosen Schauspiel von Fritzi Haberlandt in der Titelrolle aufs Vorzüglichste belohnt. Theatergenie Robert Wilson entdeckte die heute 50-jährige Berlinerin schon in der Ausbildung an der Schauspielschule „Ernst Busch“. Damit begann eine sensationelle Karriere an den großen Bühnen des Landes („Thalia“ Hamburg etc.). Seit 2006 gehört Haberlandt zum Ensemble des Maxim-Gorki-Theaters. In Egon Günthers „Die Braut“ (1998) hat sie ihre erste Kinorolle, mehr Erfolg und erste Preise gab es für „Liegen lernen“ und „Erbsen auf halb 6“ (2003/2004). Film sei „eine schöne Nebenbeschäftigung“, sagte sie 2004 in einem Interview, auf die Filmarbeit habe sie die Schauspielschule „gar nicht richtig vorbereitet“.

Vielleicht deshalb hat sie sich seither in Fernsehen und TV-Serien einen festen Platz erobert, im Kino war sie dagegen eher selten und in Nebenrollen zu sehen, zuletzt in Andreas Dresens „In Liebe eure Hilde“ (2024). Nicht zufällig also ist dies Fritzi Haberlandts erste Kino-Hauptrolle – wie geschaffen für eine, die für Dutzendrollen eigentlich zu schade ist. Ihr Naturtalent, ihr apartes Gesicht und ausdrucksstarke Gestik und Mimik, brauchen offenbar den großen Spielraum, wie ihn Freeses ungewöhnliches Regiekonzept bietet. So dürfen wir wie gefesselt erleben, wie aus einem zuckenden Mundwinkel ein stummer Dialog spricht, wo Worte nur stören würden, und atemlos folgen wir den Kaskaden von Gefühlen, die im Zeitraffertempo durch ihre Mimik rauschen. Was will man mehr?

Wilma will mehr
Regie: Maren-Kea Freese
Mit: Fritzi Haberlandt, Thomas Gerber, Stephan Grossmann, Meret Engelhardt und anderen
Im Kino

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"Sternstunde für Fritzi Haberlandt", UZ vom 1. August 2025



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