Kriegsdienstverweigerung heute – ein praktischer Leitfaden

Streut Sand ins Getriebe der Bundeswehr!

Die Bundesregierung trimmt Deutschland auf „Kriegstüchtigkeit“. Ein wesentlicher Baustein dafür ist der neue Wehrdienst. Der soll – zunächst – „freiwillig“ sein. „Freiwilligkeit kombiniert mit Attraktivität funktioniert!“, hoffte Kriegsminister Boris Pistorius (SPD) auf der Pressekonferenz am 13. November nach der Einigung von Union und SPD auf das „Wehrdienstmodernisierungsgesetz“. „Attraktiv“ soll der Wehrdienst werden durch einen Einstiegssold von 2.600 Euro, einen Führerscheinzuschuss nach einem Jahr, angeblich flexible Arbeitszeiten, „gute Karrierechancen“ und die „Sicherheit“ des Arbeitsplatzes.

Von wegen „freiwillig“

Die Unwahrheit fängt hier schon an. Tatsächlich zwingt der neue Wehrdienst Männer, die ab dem 1. Januar 2008 geboren wurden, eine Bereitschaftserklärung zum Dienst in der Bundeswehr auszufüllen. Er zwingt diese jungen Männer dazu, eine Musterung über sich ergehen lassen zu müssen. Er zwingt alle Wehrpflichtigen dazu, sich abmelden zu müssen, wenn sie Deutschland für drei oder mehr Monate verlassen wollen – sie unterliegen der Wehrüberwachung. Das Recht auf Widerspruch gegen die Übermittlung von Daten des Einwohnermeldeamts an die Bundeswehr erlischt, sobald das „Wehrdienstmodernisierungsgesetz“ in Kraft tritt. Das Gesetz zwingt alle Männer zwischen 18 und 60 Jahren mit deutscher Staatsbürgerschaft, einer Einberufung Folge zu leisten, wenn die „verteidigungspolitische“ Lage das erfordert – etwa, wenn die attraktivitätssteigernden Maßnahmen nicht ziehen und der Bundestag zustimmt. Klar ist ohnehin: Melden sich nicht genug Freiwillige, dürfte eine Bedarfswehrpflicht beschlossen werden. Dann könnte etwa per Losverfahren entschieden werden, ob der Militärapparat sie einzieht.

Nicht neu, dennoch ein Zwang: Wer nicht dabei helfen möchte, Deutschland „kriegstüchtig“ zu machen, kann den Kriegsdienst aus Gewissensgründen verweigern. Wer das will, ist gezwungen, einen Antrag zu stellen. Der muss ausführlich begründet werden, auf mindestens zwei Seiten. Die Gewissensentscheidung muss nachvollziehbar und glaubhaft dargestellt werden. Wehrpflichtfähigkeit muss gegeben sein. Man muss sich also einer Musterung unterziehen, um den Antrag überhaupt stellen zu können. Viel Aufwand, um ein Grundrecht in Anspruch zu nehmen. „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden“, heißt es in Artikel 4, Absatz 3 des Grundgesetzes.

Die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) berät und unterstützt Deserteure und Menschen, die den Kriegsdienst verweigern. Sie stellt sich entschieden gegen jede Art von Kriegsvorbereitung und Mobilisierung. Angesichts einer Bundesregierung auf Kriegskurs kann eine sofortige Kriegsdienstverweigerung Wehrpflichtige schützen – und ein politisches Signal senden.

Kreativ antworten

Das wahrscheinlich am 1. Januar 2026 in Kraft tretende Gesetz sieht in einer ersten Phase vor, dass alle Bundesbürger ab Jahrgang 2008 ein Schreiben erhalten, das sie dazu auffordert, eine Bereitschaftserklärung zum freiwilligen Wehrdienst abzugeben. Männer sind zur Antwort verpflichtet. Die DFG-VK ruft zu zivilem Ungehorsam gegen diese Zwangsmaßnahme auf. Man muss nicht sofort allem nachkommen, wonach das Militär schreit. Landet der erste Brief der Wehrerfassungsbehörde im Briefkasten (Wer kann schon sagen, ob er tatsächlich zugestellt wurde?), kann die Antwort verspätet, unvollständig oder gar nicht abgeschickt werden. Erst wenn die per Einschreiben versandte Erinnerung nicht beantwortet wird, gilt das als Ordnungswidrigkeit. Die wird mit einem Bußgeld geahndet. Die Höhe liegt im Ermessen der zuständigen Behörde. Also: Streut Sand ins Getriebe der Bundeswehr, von Anfang an!

Muss der Fragebogen tatsächlich ausgefüllt werden, sollte insbesondere die Frage nach Inte­resse an Wehrdienst mit einem klaren Nein beantwortet werden. Fragen nach Körpergewicht und einer Selbsteinschätzung der körperlichen Leistungsfähigkeit dürfen die persönliche Phantasie befeuern. Ein Nein zur Wehrpflicht ist übrigens kein Antrag auf Kriegsdienstverweigerung.

Auch auf den Zwang zur Musterung kann man mit zivilem Ungehorsam reagieren – zum Beispiel, indem man nicht zum Termin erscheint. Wer den sausen lässt, muss mit Repression rechnen. Die Wehrpflicht ist in Artikel 12a des Grundgesetzes festgelegt. Sie schließt die Musterung mit ein nach Paragraph 16 Wehrpflichtgesetz.

Die DFG-VK rät denjenigen, die noch einen Schritt weiter gehen möchten, zur proaktiven Kriegsdienstverweigerung. Möglich ist das allen Wehrpflichtigen zwischen 17,5 und 60 Jahren, auch Männern und Frauen, die bei der Bundeswehr waren oder sind. Vor dem 1. Januar 2008 geborene Männer ab Jahrgang 1993 werden im Zuge der neuen Wehrpflicht ebenfalls erfasst. Von ihnen will das Militär Vor- und Nachnamen sowie die aktuelle Anschrift festhalten, um jederzeit darauf zurückgreifen zu können. Für eine flächendeckende Musterung dieser Generationen fehlt der Bundeswehr die Kapazität. Sie können dennoch einberufen werden, wenn die „verteidigungspolitische“ Lage kurzfristigen Truppenaufwuchs erfordert. Ein durch den Bundestag festgestellter Spannungs- oder Verteidigungsfall ist dafür nicht notwendig. Wer dann den Kriegsdienst noch nicht verweigert hat, ist zum Dienst an der Waffe verpflichtet. Zumindest im Spannungs- oder Verteidigungsfall hat ein eilig gestellter Antrag auf Kriegsdienstverweigerung keine aufschiebende Wirkung!

In der Bundesgeschäftsstelle der DFG-VK rufen vorwiegend Eltern von um 2008 herum geborenen Söhnen an, um sich beraten zu lassen, wie der Kriegsdienst verweigert werden kann. Oft sind die Eltern besorgt. „Mein Sohn begreift den Ernst der Lage nicht. Er sieht noch nicht, was auf ihn zukommt und meint: ‚Chill mal, Mama, da wird schon nichts passieren.“ Solche Äußerungen fallen öfters.

490801 632px Bundesarchiv Bild 183 R43590 Potsdam Musterung fuer die Wehrmacht - Streut Sand ins Getriebe der Bundeswehr! - Boris Pistorius, DFG-VK, Kriegsdienstverweigerung, Musterung, Neuer Wehrdienst, Wehrdienst - Hintergrund
Musterung zur Dienstpflicht in der deutschen Wehrmacht, Juni 1935 (Foto: Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst – Zentralbild 183-R43590 / Bearb.: UZ)

Umfangreicher Antrag

Ab einem Alter von 17,5 Jahren kann der Antrag auf Kriegsdienstverweigerung gestellt werden. Er besteht aus drei Teilen:

  • Einem Anschreiben, adressiert an das jeweils zuständige „Karrierecenter“ der Bundeswehr, mit dem Satz „Hiermit verweigere ich den Kriegsdienst an der Waffe aus Gewissensgründen gemäß Artikel 4, Absatz 3 des Grundgesetzes.“ Darunter kommt das Datum und die eigenhändige Unterschrift.
  • Einem einseitigen tabellarischen Lebenslauf – ohne Foto, er dient keiner Bewerbung! Darin müssen Vor- und Nachname, Geburtsort und -datum, Anschrift, Staatsangehörigkeit, Familienstand, Kinder (ohne Namen, eventuell aber mit Alter), Eltern und Geschwister aufgeführt werden. Und die Konfession, sofern die in der Begründung von Bedeutung ist. Der Werdegang führt die besuchten Grundschule und weiterführenden Schulen auf, mit Zeiten und Orten. Die müssen auch für Ausbildung und Studium aufgeführt werden. Des Weiteren sind Tätigkeit, Ehrenämter, Mitgliedschaften in Vereinen sowie besondere Vorkommnisse zu listen, auf die sich die Begründung bezieht und die für den Entschluss zur Kriegsdienstverweigerung entscheidend sind. Hier können etwa Todesfälle, Krankheiten, Reisen, Praktika, Begegnungen, Klassenfahrten, Gespräche oder Filme kurz aufgeführt werden – jeweils mit Datum. Darunter kommt das Datum und die eigenhändige Unterschrift.
  • Die mindestens zweiseitige Begründung ist ein Fließtext. Darin sollten die Wörter „ich“ und „Gewissen“ häufig vorkommen. Die Begründung muss klar zeigen, wie es zu der Entscheidung kam, jetzt den Kriegsdienst zu verweigern. Meist ist das kein Schlüsselerlebnis, sondern ein längerer Prozess. Die DFG-VK empfiehlt, mit der Kindheit anzufangen. Wie ist man aufgewachsen? War das Elternhaus harmonisch oder schwierig, gab es viel Streit? Waren die Großväter im Krieg? Was haben sie erzählt? Was hat das mit dem Antragsteller gemacht? Waren der Vater oder Brüder bei der Bundeswehr? Was haben sie erzählt? Wie lief die Schulzeit? Gab es Mobbing, Schlägereien auf dem Schulhof oder auf Klassenfahrten, die Bearbeitung kriegerischer Situationen in einem Unterrichtsfach? Was hat der Antragsteller dabei empfunden? Weiter geht es mit Ausbildung, Studium, Arbeit, dem Freundeskreis – mit allem, was mitent­scheidend war für den Entschluss, den Kriegsdienst zu verweigern. Authentisch liest sich die Begründung, wenn man nicht nur den Vorgang beschreibt, sondern jeweils ein kurzes Beispiel einfügt. In der Begründung ist auch Platz für Gedanken zur gegenwärtigen Weltlage. Politische Gründe können mit angeführt werden – man sollte aber immer direkt dazu schreiben, was das mit dem Antragsteller macht, was es in ihm auslöst. Reine politische, religiöse oder Verschwörungsbegründungen werden abgelehnt. Was macht und erlebt der Antragsteller in Vereinen oder Ehrenämtern? Kennt er Leute, die bei der Bundeswehr waren – vielleicht sogar im Auslandseinsatz? Was stellt sich der Antragsteller vor, wäre er an ihrer Stelle? Könnte er das mit seinem Gewissen vereinbaren? Wer nicht gedient hat, kann sich das Militär nur ausmalen. Ungediente sollten deshalb zu Formulierungen greifen wie: „Ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn ich eine Waffe in die Hand nehmen und schießen müsste“, „Ich stelle mir vor, dass ich …“, „Ich könnte das nicht mit meinem Gewissen vereinbaren“, „Stattdessen würde ich mich lieber dafür einsetzen, dass …“ Die Begründung schließt mit dem entscheidenden Satz: „Deshalb verweigere ich hiermit nach Artikel 4 Absatz 3 des Grundgesetzes aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe.“ Darunter kommt nur noch das Datum und die eigenhändige Unterschrift.

Diese drei Dokumente packt der Antragsteller in einen Umschlag und schickt sie per Einschreiben mit Rückschein an das für ihn zuständige „Karrierecenter“ der Bundeswehr. Davon gibt es 15; Kreiswehrersatzämter gibt es keine mehr.

Bescheide aufheben

Die Bundeswehr prüft den Antrag dann auf Vollständigkeit. Bei Ungedienten stellt sie fest, dass sie nicht gemustert wurden. Einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung kann nur stellen, wer wehrdienstfähig ist, also tauglich. Der Antragsteller wird dann zur Musterung geladen. Das kann einige Monate dauern. Wer untauglich gemustert wird, ist ausgemustert und damit für immer raus aus dem Militärapparat.

Die Musterung läuft etwas weniger demütigend ab als früher, als man nackt vor dem Arzt stand und der in alle Körperöffnungen glotzte. Sie dauert etwa eine halbe Stunde und umfasst Seh- und Hörtest, Größe, Gewicht, Urinprobe und Anamnese – wer chronisch oder psychisch erkrankt ist, sollte Kopien entsprechender Arztbriefe vorlegen. Die Unterhose bleibt an.

Wird man tauglich gemustert, leitet die Bundeswehr den Antrag auf Kriegsdienstverweigerung an das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben in Köln weiter. Die Bearbeitung dort kann mehrere Monate dauern. Wer als Kriegsdienstverweigerer anerkannt wurde, kann im Spannungs- oder Verteidigungsfall noch eingezogen werden – aber nur zum Dienst im zivilen Bereich, außerhalb der Bundeswehr. Kein Dienst an der Waffe, kein Töten.

Musterungsbescheid sowie die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer sind für immer aufzuheben. Die Bundeswehr löscht diese Daten nach zehn Jahren.

Die DFG-VK berät auch Reservisten und Soldaten. Bei Berufssoldaten mit Spezialausbildung, die den Kriegsdienst verweigern, kann die Bundeswehr unter Umständen Regressansprüche anmelden. Die können in die zehntausende Euro oder mehr gehen. Für solche Berufssoldaten empfiehlt die DFG-VK deshalb unbedingt anwaltliche Beratung.

Unsere Autorin arbeitet in der Bundesgeschäftsstelle der DFG-VK in Stuttgart. Sie berät ehrenamtlich Kriegsdienstverweigerer.

Informationen für Ratsuchende bietet die DFG-VK auf ihrer Seite www.verweigern.info. Dort führt die Organisation auch die Adressen ihrer Kriegsdienstverweigerungs-Berater in den jeweiligen Bundesländern auf. Wer den Kriegsdienst verweigern möchte, wird dort vertraulich beraten.

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"Streut Sand ins Getriebe der Bundeswehr!", UZ vom 5. Dezember 2025



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