In der Tat steht viel auf dem Spiel. Ohne Stahl kann kein Haus gebaut, kein Auto, kein Kühlschrank und erst recht kein Panzer hergestellt werden. Stahl ist überall. Rund 600.000 Menschen sind hierzulande mit der Herstellung von Stahl oder der Verarbeitung von Produkten mit hohem Stahlanteil beschäftigt, wie das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) kürzlich errechnete. Der Aufstieg Deutschlands als Industrienation ist eng mit seinen Erfolgen beim Kochen und Herstellen von Stahl verbunden – Namen wie Mannesmann, Krupp oder Stahlwerke Salzgitter haben ihren Klang aus jener Zeit.
Nun ist die einstige Leitindustrie zum Sorgenkind geworden. Mit ernster Miene trat Bundeskanzler Friedrich Merz am Donnerstag letzter Woche vor die Kameras und sicherte der Stahlbranche Hilfe in ihrer, wie er es wörtlich formulierte, „existenzbedrohenden Krise“ zu. Die Hütte brennt also. Im Vorfeld hatten die Medien den „Stahlgipfel“ zu etwas aufgeblasen, was er dann definitiv nicht war: Gerade mal 90 Minuten hatte der Kanzler für die Bosse der Stahlindustrie eingeplant. Er beriet die Lage mit ihnen, den Fachministern, diversen Ministerpräsidenten und der IG Metall. Die 30 Minuten Nachspielzeit, die sich dieses Großaufgebot gönnte, änderten nichts daran, dass ein wirklicher Dialog dort nicht zustande gekommen sein konnte. Es ging von vornherein wohl auch mehr um die anschließende Pressekonferenz. Dort spielte sich Merz dann als entschiedener Macher und Retter der Bedrohten auf.
Pressekonferenz und Presseerklärung des Bundeskanzleramts vermitteln den Eindruck einer weinerlichen Defensivrunde. Wolkig und verquast wie gewohnt erklärte der Kanzler angesichts der Krise der Branche: „Wir brauchen deshalb eine echte Stahl-Strategie, die in dem heutigen Dialog ihren Ausgangspunkt gefunden hat.“ Etwas konkreter wurde da schon Vizekanzler Lars Klingbeil, der sagte, es müsse eine „deutliche europäische Antwort auf weltweite Überkapazitäten und Dumpingpreise“ geben. „Wir wollen einen klaren Fokus auf klimafreundlichen Qualitätsstahl aus Deutschland und Europa. Für unsere Infrastruktur und Verteidigung, in der Autoindustrie und in anderen wichtigen Bereichen wollen wir, dass vorrangig heimischer und europäischer Stahl eingesetzt wird.“
Das soll durch hohe EU-Zölle für Importstahl erreicht werden. Stahlprodukte aus Russland sollen ganz verboten und ihr Import unter Strafe gestellt werden. Zusätzlich will die Bundesregierung den Strompreis für Stahlproduzenten subventionieren.
Wer angesichts der Formulierung „klimafreundlicher Qualitätsstahl“ ein Signal an die Weltklimakonferenz erwartet, wird bei genauem Hinsehen nichts finden, was diese Hoffnung nährt: Bei der Herstellung von Stahl mithilfe von Elektrolichtbogenöfen anstatt mit Koks hat China gegenüber deutschen Herstellern längst die Nase vorn – sie sind nicht nur billiger, sondern auch beim „grünen“ Stahl inzwischen besser.
Das Einzige, was von der Runde bleibt, ist also der Appell an die stahlverarbeitenden Unternehmen, deutschen oder wenigstens europäischen Stahl zu kaufen. Tun sie das, werden sie international noch weniger wettbewerbsfähig. Kaufen sie weiterhin Stahl aus China, Indien oder anderswo, wird es auch nicht besser, weil die künftigen Zölle dafür die Preise in die Höhe treiben werden.
Im Ergebnis wird dieser bizarre Gipfel der Verzweiflung die Deindustrialisierung Deutschlands weiter beschleunigen.



![UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis] UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]](https://www.unsere-zeit.de/wp-content/uploads/2021/04/Banner_800x90_Probeabo_Rahmen.jpg)





