Gesetzliche Grundlage zur Zwangsverpflichtung für kriegswichtige Aufgaben erweitert

Wehrpflicht für alle

Kriege werden schon lange nicht mehr nur auf den Schlachtfeldern gewonnen. Längst sind Produktionshallen, Logistikzentren und Kraftwerke von entscheidender Bedeutung. Daher bedeutet Kriegstüchtigkeit nicht zuletzt auch die Fähigkeit, mehr Nachschub an kriegswichtigen Gütern zu produzieren als der Gegner. Dies wiederum setzt die Bereitstellung ausreichender menschlicher Arbeitskraft in strategisch wichtigen Sektoren der Wirtschaft voraus. Problematisch wird es dann, wenn dort in großer Zahl Beschäftigte in die Streitkräfte eingezogen werden. Das könnte unter anderem Beschäftigte im Gesundheitswesen betreffen, die als Sanitäter gebraucht würden. Oder auch Fachkräfte, die bei Airbus arbeiten und im Bedarfsfall für die Instandsetzung von Kampfjets eingesetzt werden könnten.

Aus diesem Grund hatte noch die Vorgängerregierung zu Jahresbeginn das „Gesetz zur Sicherstellung von Arbeitsleistungen für Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung“ erweitert. Hinter dem sperrigen Namen verbergen sich die schon mit den Notstandsgesetzen 1968 geschaffenen rechtlichen Grundlagen zur Dienstverpflichtung wehrfähiger Männer in zivilen Berufen. So sollen im Spannungs- oder Verteidigungsfall die Bedarfe an Arbeitskräften für kriegswichtige Aufgaben gedeckt werden.

Mit der Gesetzeserweiterung zu Jahresbeginn wurde nun konkretisiert, welche wirtschaftlichen Bereiche darunterfallen und wohin die Arbeitsagentur Menschen im wehrfähigen Alter im Ernstfall zwangsversetzen darf. Hierzu gehören neben der Bundeswehr und Rüstungskonzernen auch die Produzenten von Kohle, Gas und Wasserstoff sowie andere Energieversorger. Als weitere kritische Bereiche werden die öffentliche Verwaltung, Lebensmittelbetriebe, Wasser- und Stromwerke, Logistikkonzerne, Müllentsorger, Banken, Krankenhäuser, Betreiber von Telekommunikation und Zivilschutzorganisationen wie das Technische Hilfswerk genannt.

Betroffen von den Zwangsversetzungen ist jeder Mann im wehrfähigen Alter von 18 bis 60 Jahren. Dies gilt explizit auch für Kriegsdienstverweigerer. Auch Frauen können zur Arbeit im Lazarett gezwungen werden. So wird ganz nebenbei die im Grundgesetz garantierte freie Berufswahl eingeschränkt beziehungsweise ganz außer Kraft gesetzt.

Voraussetzung hierfür ist, dass die Regierung den Verteidigungsfall – oder die Vorstufe, den Spannungsfall – im Bundestag beantragt und zwei Drittel der Abgeordneten zustimmen. Außerdem kann das Parlament, ebenfalls mit Zweidrittelmehrheit, einzelne andere Notstandsmaßnahmen aktivieren, wenn es von einem Angriff auf Deutschland ausgeht oder dieser aus Sicht der Regierung bevorsteht.

In einem solchen Fall besteht die Aufgabe der Bundesagentur für Arbeit darin, die in den kriegswichtigen Branchen durch Einberufung der dort eigentlich Beschäftigten in die Streitkräfte freiwerdende Stellen schnell wieder zu besetzen. Die Behörde kann ebenfalls für alle Menschen, die in kritischen Bereichen arbeiten, Jobwechsel untersagen. Zur Durchsetzung kann die Agentur auch Zwangsmaßnahmen bis hin zu Gefängnisstrafen verhängen.

Ausnahmen gelten lediglich für Mütter, die Kinder unter 15 Jahren betreuen, für pflegende Angehörige, Verunfallte oder für Menschen mit Behinderung, Richter und Geistliche der Evangelischen und Katholischen Kirche und selbstverständlich für Mitglieder des Bundestags und Bundesrats. Beamte sind für die Dauer der Verpflichtung mit Dienstbezügen oder Unterhaltszuschuss beurlaubt. An Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes hat der Arbeitgeber des fortbestehenden Arbeitsverhältnisses für die Dauer der Verpflichtung das Arbeitsentgelt weiterzuzahlen.

Einem Praxistest soll die neue Kriegstüchtigkeit Ende September in Hamburg unterzogen werden. Dann proben in der Hansestadt Bundeswehr, zivile Behörden und Wirtschaft wie sie im Kriegsfall zusammenarbeiten. Mehr als 600 Personen sind an der fünftägigen Übung „Red Storm Bravo“ im Hamburger Hafen beteiligt – darunter 75 Angestellte der Bundesagentur für Arbeit.

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"Wehrpflicht für alle", UZ vom 29. August 2025



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