Die Graphic Novel „Gegen mein Gewissen“

Wehrpflicht tötet

Es kommt nicht häufig vor, dass der „Deutschlandfunk“ in einer Reportage ein Buch erwähnt und damit Inte­resse bei mir weckt. Noch nie vorgekommen ist das in einem Bericht vom Kirchentag. Doch Ende April berichtete der Reporter (begeistert, wie sich das heutzutage gehört) von einer Diskussionsrunde auf dem Kirchentag mit Militärpfarrer und alledem. Schließlich wollen auch große Teile der Evangelischen Kirche Teil der Kriegstüchtigkeit sein. Es gab wohl aber Konkurrenz zu der Veranstaltung. Eine junge Autorin las aus und diskutierte über ihre Graphic Novel und kritisierte die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Und äußerte die Angst, dass es heute wieder Jugendlichen gehen könnte wie ihrem Onkel.

Von ihm handelt Hannah Brinkmanns Graphic Novel „Gegen mein Gewissen“, die bereits 2020 im Avant-Verlag erschienen ist. Hermann Brinkmann war Pazifist. Er lehnte Waffen ab, sein ganzes Leben lang. Bereits als Kind wollte er der Indianer sein, nicht der bewaffnete Cowboy, kritisierte seinen Vater für die Jagd und lief lieber Stunden durch die Kälte, als mit Waffen in einem Auto zu sitzen. Als er zum Wehrdienst eingezogen werden soll, will er sich nicht mit medizinischen Attesten ausmustern lassen – er will verweigern. Aus Gewissensgründen. Das ist schließlich sein gutes Recht.

Doch sein Recht wird ihm verwehrt. Sowohl in erster als auch in zweiter Instanz erkennt der Prüfungsausschuss des Kreiswehrersatzamtes seine Gewissensgründe nicht an. Trotz noch laufenden Verfahrens wird Hermann Brinkmann eingezogen und zum Dienst an der Waffe gezwungen. Er erkrankt an Depressionen, sucht Hilfe im Bundeswehrkrankenhaus in Hamburg-Wandsbek. Doch auch die Ärzte entscheiden gegen ihn, eine Depression wollen sie nicht erkennen können, eine Entlassung aus dem Wehrdienst komme nicht in Frage. Am 20. Januar 1974 nimmt sich Hermann Brinkmann das Leben. Er wurde 19 Jahre alt.

Hannah Brinkmann erforscht in ihrer Graphic Novel einen Teil ihrer Familiengeschichte, über die niemand gesprochen hat – zumindest zu ihrer Zeit. Denn die Brinkmanns waren nach Hermanns Selbstmord mutig. Sie veröffentlichten in überregionalen Tageszeitungen eine Todesanzeige, in dem sie auf Hermann Brinkmanns „letzte Lebensdaten“ hinweisen – und damit auf seine Einberufung und die Schuld der Bundeswehr an seinem Tod. Als Hannah Brinkmann die Anzeige findet, ist sie 14 – das Thema lässt sie nicht mehr los.

Doch Brinkmann belässt es nicht bei einer tragischen (Familien-)Geschichte über den frühen Freitod eines sensiblen jungen Mannes. Sie ordnet den Umgang mit Kriegsdienstverweigerern in der Bundesrepublik politisch und zeitgeschichtlich ein, zeigt die Stimmung unter Jugendlichen und die Realitäten, mit denen sie unter anderem mit Nazilehrern an der Schule konfrontiert sind. Und so fährt Hermann – noch hoffnungsvoll auf den Erfolg seiner Verweigerung hoffend – mit seinen Freunden zur Schule, um ein Graffiti gegen den Wehrdienst anzubringen und hört dabei Franz Josef Degenhardts „Befragung eines Kriegsdienstverweigerers“. Er ahnt nicht, dass auch er bald gefragt werden wird: „Sind Sie etwa Kommunist?“

Besonders stark ist der Comic an zwei Stellen: Zum einen in der Darstellung der immer größer werdenden Verzweiflung Hermann Brinkmanns. Zu Beginn seines Verfahrens glaubt er noch, seine Haltung vermitteln zu können. Doch er wird mehr und mehr in die Ecke gedrängt, sein Gewissen zählt nichts – die Szene im Kreiswehrersatzamt endet in ganzseitigen Albtraumbildern ohne Text. Stark ist auch die politische Einordnung, die Hannah Brinkmann ihrer Graphic Novel quasi voranstellt: Die Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland, die kriegstreiberischen, russophoben Argumente, die die Adenauer-Regierung für die Wehrpflicht ins Feld geführt hat und den Missbrauch des Grundgesetzes, der damit einherging.

Hannah Brinkmann ist mit „Gegen mein Gewissen“ nicht nur die eindringliche bildliche Erzählung eines persönlichen Schicksals gelungen. Ihre Graphic Novel liefert in der jetzigen Debatte einen wichtigen, bisher nicht so sehr beachteten Aspekt: Denn die Jugend von heute und morgen ist nicht allein dadurch in Gefahr, dass sie das Kanonenfutter für die neuen Kriege der Herrschenden werden soll. Wehrpflicht und Zwangsdienste entmündigen Heranwachsende, sollen sie zu willigen Befehlsempfängern formen statt zu eigenständig denkenden Menschen. Dagegen hilft nur Widerstand.

Hannah Brinkmann
Gegen mein Gewissen
Avant-Verlag, 232 Seiten, 30 Euro

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"Wehrpflicht tötet", UZ vom 6. Juni 2025



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