Jahrestagung der Coordination gegen Bayer-Gefahren widmete sich der Lieferketten-Problematik

Welt in (Liefer-)Ketten

Die Lieferketten der großen Konzerne erstrecken sich über den gesamten Erdball. Während die höchsten Wertschöpfungsanteile bei den letzten Gliedern in den kapitalistischen Zentren verbleiben, kommt es vor allem bei den ersten Gliedern immer wieder zu schwerwiegenden Verletzungen ethischer, sozialer und ökologischer Standards. Versuche, die schlimmsten Auswirkungen durch gesetzliche Bestimmungen einzuhegen, erleiden in letzter Zeit Rückschläge. Trotzdem läuft seit einiger Zeit nicht mehr alles wie geschmiert. Die „One World“ des Kapitalismus zeigt Risse. Das alles thematisierte die Jahrestagung der Coordination gegen Bayer-Gefahren (CBG) am Samstag in Düsseldorf.

Tilman Massa vom Dachverband der kritischen Aktionärinnen und Aktionäre skizzierte den langen Weg hin zum deutschen „Lieferkettensorgfaltspflichten-Gesetz“ – und wieder zurück. Von internationalen Vereinbarungen wie den im Jahr 2011 verabschiedeten UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte zum Handeln gezwungen, beließ es die deutsche Politik lange bei „freiwilligen Selbstverpflichtungen“ der Unternehmen, die zu nichts führten. 2021 beschloss die damalige Große Koalition deshalb das Lieferketten-Gesetz – im vereinten Ärger über die Verweigerungshaltung der Industrie, und taub gegenüber dem auch zu dieser Gelegenheit schon anschwellenden Bürokratie-Bocksgesang. Dem liehen Massa zufolge erst die nachfolgenden Regierungen ihr Ohr. Die EU hörte die Signale ebenfalls. Die EVP scheute im laufenden Verhandlungsprozess über die Aufweichungen der europäischen Lieferketten-Richtlinie nicht einmal davor zurück, der sozialdemokratischen Fraktion Zugeständnisse mit der Drohung abzupressen, ansonsten mit den Rechtsextremen gemeinsame Sache zu machen, berichtete der kritische Aktionär.

Jan Pehrke von der CBG zeigte am konkreten Beispiel des Bayer-Konzerns auf, wie wichtig belastbare Paragrafen-Werke zur Einhegung des weltweiten Treibens der Konzerne wären. Die – noch – gesetzlich vorgeschriebenen Lieferketten-Berichte des Leverkusener Multis weisen nämlich zahlreiche Verstöße gegen ethische und soziale Standards aus. Von Kinderarbeit und Behinderung gewerkschaftlicher Betätigung über Arbeitsschutz-Verletzungen bis hin zu Lohnraub und Diskriminierung am Arbeitsplatz reichen die Verfehlungen bei den Zulieferern des Global Players.

Dabei umfassen die Sorgfaltspflichten einen wichtigen Bereich wie Umweltverschmutzungen noch gar nicht. Deshalb müssten sie verschärft statt aufgeweicht werden, so Pehrke mit Verweis auf die Situation in Indien. Das Land produziert momentan 50 Prozent aller Pharma-Grundstoffe. Mit dem Slogan „Maximale Förderung – minimale Kontrolle“ warb die Stadt Hyderabad einst um Ansiedlungen. Die Kosten tragen Mensch, Tier und Umwelt gleichermaßen. Besondere Sorge bereiten die Einleitungen von Antibiotika-Resten in Flüsse, weil Krankheitserreger durch die Gewöhnung an die Stoffe Resistenzen bilden können. Einsamer Spitzenreiter hier: die von Bayer entwickelte, mittlerweile von vielen Firmen verwendete Substanz Ciprofloxacin. Nach einer neuen Untersuchung erreicht sie in den Gewässern rund um Hyderabad Konzentrationen von bis zu 19.300 Mikrogramm pro Liter.

Zu den Risiken und Nebenwirkungen der weltweiten Arbeitsteilung in diesem Sektor gehören Lieferengpässe, die sich mit der Corona-Krise noch einmal verschärften, weil Indien und China als zweiter großer Pharmarohstoff-Hersteller Ausfuhrstopps verhängten. Das löste Diskussionen über die Rückholung von Arznei-Produktionen aus, bisher allerdings ohne nennenswerte Effekte, resümierte Pehrke. An sich hat sich ihm zufolge die Weltwirtschaft in Bayers Augen aber stark verändert. Er zitierte dazu aus einem „Wirtschaftswoche“-Artikel von Aufsichtsratschef Norbert Winkeljohann. Der Manager sprach darin von einer „zunehmend machtbasierten statt regelbasierten Handelsordnung“, die den Konzern zu einer „Diversifizierung und Regionalisierung von Lieferketten“ und zu einer „Anpassung von Wachstumsstrategien an eine fragmentierte Welt“ zwinge.

Werner Rätz von attac schlug einen noch weiteren Bogen. „Von der Systemkonkurrenz über das Empire zu einer multipolaren Welt und der erneuten Konkurrenz der Blöcke: Ist die Globalisierung am Ende?“ überschrieb er seinen Vortrag. Rätz sieht die neueste Formation des Kapitalismus nicht als Zäsur an, sondern als eine, die auf die frühere aufsetzt und weiter eine Antwort auf die alte Frage sucht: Wohin bloß mit dem ganzen überschüssigen Kapital? Als einen weiteren Versuch also, den Ausbruch der systemischen Krise aufzuschieben.

Darüber entbrannte in Düsseldorf eine ebenso leidenschaftliche Diskussion wie zu den anderen Beiträgen.

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