Ein Gespräch mit Reem Hazzan von der Kommunistischen Partei Israels

Werte des Völkerrechts nicht existent

Israel hat völkerrechtswidrig den Iran angegriffen. Über die Schäden, die die iranische Reaktion in Israel verursachte, herrscht bis jetzt eine Nachrichtenzensur des israelischen Militärs. UZ sprach mit Reem Hazzan, der Internationalen Sekretärin der Kommunistischen Partei Israels (KPI), über die Stimmung in Israel, die Folgen der Angriffe auf den Iran, den Völkermord in Gaza und die Repressionen in Israel.

UZ: Obwohl sich Israel und der Iran auf einen Waffenstillstand geeinigt haben, bleibt es in Israel angespannt …

Reem Hazzan: Die Lage in Israel ist seit der Gründung des Landes angespannt. Es stimmt, die letzten 20 Monate waren außergewöhnlich, wie auch die letzten zwei Wochen. Viele Zivilisten starben in Israel und viele Viertel in Tel Aviv und Be‘er Sheva wurden zerstört, auch Haifa – meine Stadt – litt unter Zerstörung und zivilen Verletzungen. Doch diese Situation lenkte unsere Augen nicht von Gaza ab, wo die Massaker jeden Tag weitergingen. In Israel führen die Kriegspolitik der Regierung und die soziale und wirtschaftliche Ungleichheit zu mehr Opfern und Bedrohungen in der Peripherie und in den arabischen Städten und Dörfern, insbesondere in den nicht anerkannten Dörfern im Negev, da es an angemessenen öffentlichen und privaten Unterkünften fehlt. Die Lösung besteht nicht nur in der Bereitstellung von Unterkünften für die gesamte Bevölkerung, sondern vor allem darin, die Politik so zu ändern, dass keine Zivilisten von einem Krieg bedroht werden.

UZ: Sprechen wir über die öffentliche Wahrnehmung des offensichtlich völkerrechtswidrigen Angriffs auf den Iran. Haben die schweren Schäden, weit mehr als bei den Kriegen gegen Hisbollah und gegen die Bevölkerung von Gaza, Einfluss auf die Menschen gehabt? Warum unterstützen so viele Israelis die aggressive Politik der rechten Regierung?

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Reem Hazzan

Reem Hazzan: Dies ist ein Krieg, auf den Netanjahu die öffentliche Meinung seit fast 30 Jahren vorbereitet hat. Einige Tage lang herrschte in der israelischen Öffentlichkeit ein euphorisches Gefühl, dass Israel auch daran arbeiten wird, das iranische Regime zu stürzen. Das wurde durch die Mainstream-Medien, die gerade als Sprachrohr der Regierung fungieren, noch verstärkt. Noch immer wird hier darüber debattiert, wer diesen Krieg gewonnen hat, und die allgemeine Stimmung ist, dass Israel gewonnen hat, obwohl viele in der Führung wissen, dass die nuklearen Kapazitäten des Iran nicht zerstört wurden, und wir in der Kommunistischen Partei Israels und in der Listenverbindung Chadasch fragen uns, ob dieser Krieg das iranische Atomprogramm tatsächlich verzögert oder sogar beschleunigt hat.

Die Wahrnehmung und die Werte des Völkerrechts werden hier im Mainstream nicht diskutiert, sie sind nicht existent – Besatzung, Siedlungen und Belagerung sind allesamt Verstöße gegen das Völkerrecht, Aushungern und die Bombardierung von Krankenhäusern sind Kriegsverbrechen und sicherlich auch Völkermord! Als iranische Raketen das Soroka-Krankenhaus in Be‘er Sheva trafen, sagten ironischerweise dieselben faschistischen Politiker, die die Auslöschung des Gazastreifens forderten, dies sei ein Kriegsverbrechen. Dies ist Teil der Wahrnehmung der Vormachtstellung und des Anspruchs der Faschisten hier in Israel. Ich muss an dieser Stelle anmerken, dass jahrelanges Ignorieren der Verantwortlichkeit Israels für viele Verstöße gegen das Völkerrecht nur zu der derzeitigen Situation der Instabilität und der Kriege im Nahen Osten beigetragen hat.

UZ: Soweit wir wissen, hat Israel nie eine UN-Erklärung oder -Forderung umgesetzt. Das im Hinterkopf – was denkt die KPI, deine Partei, über eine politische Lösung, jenseits eines notwendigen Waffenstillstands auch in Gaza?

Reem Hazzan: Ich denke, dass es noch zu früh ist, um die Analyse der tatsächlichen Auswirkungen des israelisch-iranischen Krieges auf die regionale Situation sowie auf die langfristige Situation in Palästina abzuschließen, vor allem, weil der Völkermord immer noch andauert.

Bei den Bemühungen um die Anerkennung eines palästinensischen Staates müssen das Territorium und die Grenzen festgelegt werden, ohne dass von der 1967 angenommenen UN-Resolution 242 abgewichen wird. Die Versuche, eine Normalisierung und Friedensverträge zwischen Israel und den arabischen Ländern zu erzwingen, werden nicht von Erfolg gekrönt sein, wenn die Besatzung und die militärische Kontrolle Israels über sechs Millionen Palästinenser andauern. Jegliche Abkommen oder Vereinbarungen, die getroffen werden, um die Zukunft eines unabhängigen palästinensischen Staates weiter zu unterdrücken, werden die Stabilität der Region weiterhin beeinträchtigen. Wir sind nach wie vor der Meinung, dass es keinen Frieden geben wird, wenn das Völkerrecht nicht unvoreingenommen angewendet wird.

UZ: Üblicherweise geht äußere Aggression Hand in Hand mit innerer Repression. Und so ist es auch in diesem Fall: Ayman Odeh, Vorsitzender der „Demokratischen Front für Frieden und Gleichheit“ (Chadasch), zu der auch die Abgeordneten der KPI gehören, soll aus der Knesset ausgeschlossen werden.

Reem Hazzan: Am Dienstag vergangener Woche leitete der Knessetausschuss ein Verfahren zum Ausschluss des Knessetabgeordneten Ayman Odeh ein. Grund dafür war ein von ihm während eines Gefangenenaustauschs veröffentlichter Beitrag, in dem er seine Freude über den Austausch „zwischen Geiseln und Gefangenen“ zum Ausdruck brachte – eine Aussage, die 70 Abgeordnete als Unterstützung des Terrorismus betrachten. In der gleichen Woche wurden auch gegen die Genossin Aida Touma-Sliman weitere Sanktionen verhängt.

Dies ist eine antidemokratische Maßnahme, die darauf abzielt, politische Rechte und Stimmen auszuschalten. Eine gewählte Parlamentarierin wird von anderen gewählten Parlamentariern verfolgt, beschuldigt, verurteilt und ausgeschlossen, weil sie sich für ein Ende des Krieges und des Völkermordes, für ein Austauschabkommen und für den Frieden für beide Völker einsetzt. Dies ist nicht nur ein Angriff auf die Parlamentarier, sondern auch auf die politischen Grundsätze der Linken, die von Chadasch und der KPI vertreten werden.

Am vergangenen Montag stimmten 14 von 17 Mitgliedern des Knesset­ausschusses für die Disqualifizierung von Ayman Odeh, was bedeutet, dass dieser Antrag auf Ausschluss innerhalb von 21 Tagen dem Plenum der Knesset zur Abstimmung vorgelegt wird – wenn dort 90 Abgeordnete dafür stimmen, wird unser Genosse ausgeschlossen. Leider ist dies angesichts des Rassismus und der faschistoiden Entwicklung dieser Knesset ein mögliches Szenario. Im Februar 2024 wurde das gleiche Verfahren gegen den Genossen Ofer Cassif genutzt, bei dem 85 Abgeordnete für seinen Ausschluss stimmten, womit die erforderliche Zahl von 90 nicht erreicht wurde.

Gemeinsam mit Verbündeten und Partnern haben wir vergangenen Sonntag und Montag Protestveranstaltungen in Haifa, Tel Aviv und vor der Knesset organisiert, und für die folgenden Tage sind weitere Proteste geplant. Dies ist ein Kampf um die Vertretung der palästinensischen Bürger in Israel und ein Kampf um die Reste der Demokratie in diesem System, das sich in eine totale rechte Parlamentsdiktatur verwandelt hat. Natürlich ist dies nur eine Ebene der zunehmenden faschistischen Praktiken Israels in den letzten Jahren gegen die Linke und die palästinensischen Bürger Israels, wie wir sie am schlimmsten in Gaza erleben.

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"Werte des Völkerrechts nicht existent", UZ vom 4. Juli 2025



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