Betr.: „Kultursplitter“, UZ vom 1. November

Wessen Kultur, für wen …

Von Roland Winkler, Aue

Wozu das „Steigerlied“ als Traditionshymne des Erzgebirges über viele Generationen von Bergleuten offiziell Kulturerbe sein soll, weiß ich nicht. Besser allemal als irgendeiner der Militaristenmärsche, die Säle zum Beben bringen. Ob die Steigerhymne verklärend wirkt, darf bezeweifelt werden. Noch lebende Generationen, die es lautstark singen im Stadion von Wismust Aue oder bei allen traditionellen Veranstaltungen im Erzgebirge, Musikfesten usw., die kennen und wissen mit ihren Familien und Nachkommen was ihre Arbeit im Berg hieß, was sie war, dass Arbeit, Lohn und Brot, wachsender Wohlstand, Betreuung, Versorgung, Gesundheits-, Kultur-, Sporteinrichtungen, Schulen, Kulturhäuser, Ferien- und Kurwesen bis zu Wohnung und Wartburg oder Trabant in Erinnerung gerufen werden. Sie wissen, das war im Bergbau früherer Zeiten ein weitaus härteres Los als heute die Wismut-Zeit beschrieben wird. Das Lied derer muss kein Erzgebirgler mitsingen, deren einziger Gedanke und Zweck es ist, die Wismut-Bergbauzeit mit DDR, Verbrechen, Tod, Menschenverachtung in Gleichsetzung zu bringen. Die Wismut-Kumpel sangen ihr Lied immer mit Stolz auf ihre harte Arbeit und im besten Wissen um die Gefahren und Härte ihrer Arbeit auch am Uran. Es war ihnen kein verschwiegenes Geheimnis, die besondere Bedeutung des Erzes zu dieser Zeit, als die Frage Krieg-Frieden zu beantworten war.

In anderen Bergbauregionen treffen wir den Stolz der Bergleute an. Nirgendwo wird er so politisch missbraucht und benutzt für Hass und Hetze, Feindschaft gegen DDR und Sowjetunion, wie es im Erzgebirge der Fall ist, jedes Jubiläum, Jahrestag oder Kulturerbe dafür gut ist.

Wir müssen aufpassen, nicht gleiche Fehler und Eseleien zu machen wie die DDR, indem durchaus nicht DDR- und sozialismusfeindliche Traditionen als Verherrlichung kapitalistischer Ausbeutungsverhältnisse zu betrachten sind. Zu beschönigen gab es für die Bergleute im Mittelalter sicher weniger als zu DDR-Zeiten am Uranabbau. Um Gesundheit und Unfalltod wussten die Kumpel. Die Bevorzugungen, Betreuung und Vorsorge der Kumpel war dementsprechend oft neidvoll von außen gesehen.

Heutige Generationen singen das Lied im Wismutstadion aus tausenden von Kehlen und wissen von der Arbeit so gut wie nichts mehr. Viele tausende pflegen die Tradition in Vereinen und erhalten alte Stollen, Schächte und Grubenbaue für Besucher. Wenn die Wismut-Fußballer zum Steigerlied aus allen Lautsprechern und Kehlen auf den Rasen auflaufen, dann laufe es vielen die Haut hinunter, sagen manche. Auch der Fußball hat freilich heute mit dem von Wismut Aue zu DDR-Zeiten nichts mehr zu tun.

Was erreichen wir, wenn wir es denen als „kreuzbrave“ Konzernliebe erklären? Haben wir den neuen Nazis und ihren Heimat- und Vaterlandsgesängen nichts anderes zu entgegnen, gar noch ihnen Menschen in die Arme zu treiben?

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"Wessen Kultur, für wen …", UZ vom 8. November 2019



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