Superabschreibungen sollen später kommen, der Ausverkauf geht trotzdem weiter

Zwist im Schnäppchenparadies

Manfred Groll

Unternehmen befürchten eine Verschiebung, eventuell auch Reduzierung einer versprochenen staatlichen Unterstützung. Im Ampel-Koalitionsvertrag waren zur Begrenzung der Pandemie-bedingten Schäden und zur Wirtschaftsankurbelung nach der Pandemie zusätzlich zu den Rieseninvestitionen in den angestrebten Wirtschaftsumbau („Transformation zu einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft“) umfangreiche Finanzspritzen angekündigt worden. Diese sollen als „Investitionsprämie für Klimaschutz und digitale Wirtschaftsgüter“ in Form von „Superabschreibungen“ bereits für 2022 und 2023 zusätzliche Investitionsanreize schaffen.

Unter Ökonomen wird diskutiert, ob in der gegenwärtigen Lage, wo Unternehmen volle Auftragsbücher haben, aber wegen Lieferkettenproblemen (benötigte Maschinen und Vorprodukte sind nicht lieferbar) gar nicht neu investieren können, die Unternehmen die Superabschreibungen beziehungsweise eine zusätzliche Investitionsprämie einfach für sowieso vorgesehene Ersatzinvestitionen mitnehmen. Auch Finanzminister Christian Lindner (FDP) sieht das so und lässt prüfen, ob die Superabschreibungen nicht zu einem späteren „makroökonomisch besten Zeitpunkt“ stattfinden sollen. Eine Unterstützung der Unternehmen ist auf jeden Fall vorgesehen und deren solide Bereicherung auf Kosten der Werktätigen ist durchaus akzeptiert, aber reine Mitnahmeeffekte, ohne dass etwas für den angestrebten Innovationsschub in Klimaschutz und Digitalisierung getan wird, möchte man doch eher vermeiden. Denn damit soll letzten Endes Deutschland – sollen „wir“ –, stark gemacht werden für den imperialistischen Konkurrenzkampf.

Der Chef des Münchener Ifo-Instituts, Clemens Fuest, argumentiert ähnlich. Er rät aber von einer Verschiebung ab, da „Sonderabschreibungen derzeit auch die Funktion haben, Unternehmen, die unter Eigenkapitalmangel leiden, zu unterstützen“. Beschleunigte Abschreibungen würden die Steuerzahlungen nur in die Zukunft verschieben. Und ein weiterer interessanter Gesichtspunkt: „Da der Staat sich derzeit für negative Zinsen verschulden kann, sind die Kosten der Förderung nahe bei null.“ Dieses Argument ist nicht zu hören, wenn es um die Förderung, also um staatliche Investitionen in das Erziehungs-, Bildungs-, Gesundheitssystem und so weiter geht.

Die Unternehmensvertreter äußern sich deutlich. Der Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Joachim Lang, fordert: „Die Bundesregierung muss jetzt ihr Versprechen halten, den Unternehmen zusätzliche Investitionsanreize zu verschaffen“. Die Investitionsprämie müsse kommen, „und zwar noch in diesem Jahr, wie im Koalitionsvertrag angekündigt, um die digitale Transformation der Industrie voranzutreiben“. Außerdem: „Mit der vorgesehenen Befristung auf die Jahre 2022 und 2023 kann diese Maßnahme nicht ihre volle Wirkung entfalten, da unternehmerische Investitionen oftmals eine längere Planungsphase haben.“ Daher solle die Investitionsprämie für mindestens fünf Jahre bezahlt werden.

Im vorliegenden Gesetzentwurf (4. Corona-Steuerhilfe-Gesetz) sind verschiedene Steuererleichterungen enthalten. Ohne die umstrittenen Superabschreibungen sollen dadurch bis 2026 knapp 11 Milliarden Euro weniger Steuern für Bund, Länder und Gemeinden eingenommen werden. Eine Weiterführung der beschleunigten Abschreibung alleine würde die Haushaltsmindereinnahmen (Steuerausfälle) um weitere rund 10 Milliarden Euro erhöhen. Dazu könnten noch zusätzliche Investitionsprämien kommen. Bei der Ausgestaltung des Gesetzes geht es für die Unternehmen um viel Geld. Die Forderungen von BDI und DIHK (Deutscher Industrie- und Handelskammertag) liegen auf dem Tisch. Für den Normalbürger bleibt 2022 angesichts der Inflation (Energiepreise) nichts. Eine reale Rentenerhöhung wird es schon wegen des wieder geltenden Nachholfaktors auch nicht geben. In den kommenden Tarifverhandlungen müssten die Gewerkschaften gewillt und dann auch faktisch in der Lage sein, Wunder zu vollbringen, um weitere Verschlechterungen für die große Mehrheit der Bevölkerung abzuwenden. Es ist zu hoffen, dass die Energiepreisstopp-Kampagne der DKP große Resonanz findet und auch den Gewerkschaften den Rücken stärkt. Superabschreibungen beziehungsweise Investitionsprämien sind Teil der Umverteilungsaktionen der Ampel-Koalition. Durch Medien und Politik wird die Aufmerksamkeit der Bevölkerung von dieser Tatsache abgelenkt. Die negativen Folgen für die Mehrheit der Bevölkerung werden nicht erwähnt. Die Sorgen und Schwierigkeiten der Unternehmen dagegen werden einfühlsam begleitet. Dazu kommt gerade jetzt eine unisono vorgetragene Diffamierung der „aggressiven Russen und Chinesen“ und das Herbeireden europäischer Kriegsszenarien bis hin zu einem großen Krieg, wodurch die Aufmerksamkeit der Menschen auf eine unmittelbare Bedrohung gelenkt wird.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher laden wir Sie ein, die UZ als Wochenzeitung oder in der digitalen Vollversion 6 Wochen kostenlos und unverbindlich zu testen. Sie können danach entscheiden, ob Sie die UZ abonnieren möchten.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Zwist im Schnäppchenparadies", UZ vom 18. Februar 2022



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Auto.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit