Zum „Sanierungstarifvertrag“ bei Thyssenkrupp Steel

Stahlkampf ist Zukunft

Bei Thyssenkrupp Steel, der Stahltochter des Traditionsunternehmens, ist schon länger einiges im Gange gewesen. Spätestens seit dem vergangenen Sommer, als die Sparpläne des Vorstands bekannt wurden, war klar, wohin die Reise geht. Damals war von einem Abbau von über 10.000 Stellen, einer Halbierung der Stahlproduktion und der Schließung ganzer Standorte die Rede.

Jetzt ist auf dem Thema vorerst der Deckel drauf, ein „Sanierungstarifvertrag“ wurde abgeschlossen. Von drei harten Verhandlungstagen ist die Rede, an denen sich Unternehmensvertreter und Gewerkschaftsvertreter schließlich geeinigt haben. Als Ergebnis steht wohl ein Lohnverlust von rund 8 Prozent für die Beschäftigten. Der setzt sich aus der Streichung von Urlaubsgeld und Kürzung von Jubiläumszahlungen und Zuschlägen sowie aus der Reduzierung der Arbeitszeit auf 32,5 Stunden pro Woche zusammen, selbstverständlich ohne Lohnausgleich.

Die im Vorfeld veröffentlichte Liste der Unternehmensforderungen, die unter den Kolleginnen und Kollegen dramatisch als „Giftliste“ die Runde machte, kündigte diese Einschnitte bereits an. So etwas dürfte bei Thyssenkrupp Steel nach über einem Jahr Hin und Her aber auch niemanden richtig überraschen.

Zwischen der Veröffentlichung im letzten Sommer und dem jetzigen Ergebnis, das bis 2030 für Ruhe im Unternehmen und Sicherheit für die Beschäftigten sorgen soll, ist einiges passiert. Immer wieder schafften es Gerüchte zu neuen Plänen für die Stahltochter in die Nachrichten: Mal ging es um die Abkehr vom grünen Stahl, mal um den bereits fast vollzogenen Verkauf einzelner Tochterunternehmen.

Zuletzt kam die Meldung, dass der Vertrag des Vorstandsvorsitzenden Miguel López verlängert wurde. Wie kein anderer steht er in der Öffentlichkeit für den Kurs des Konzerns, „Einsparungen“ auf Kosten der Beschäftigten vorzunehmen.

Erschienen die Entwicklungen im Weltkonzern manchmal chaotisch, unorganisiert und kopflos, muss man spätestens nach dem jetzigen Abschluss attestieren, dass die Konzernstrategie voll aufgegangen ist. Eine Mischung aus Panikmache, Falschmeldungen und durchgestochenen Berichten begleitete diese Auseinandersetzung. Sie dauerte zudem zermürbend lange, während wenig Konkretes folgte. Das diente dazu, den Widerstand der Beschäftigten kleinzuhalten beziehungsweise zu erschweren.

Dennoch ist auf Seiten des Betriebsrates, der gewerkschaftlichen Vertrauensleute und der Beschäftigten einiges passiert: So zum Beispiel die permanente Mahnwache an Tor 1 in Duisburg-Bruckhausen, die während der gesamten Zeit aufrechterhalten wurde. Oder die Demonstration Mitte Dezember bei dem von Schließung bedrohten Standort in Kreuztal-Eichen im Siegerland, bei der mehr als das Dreifache der Belegschaftsstärke mit Fackeln durch den Ort zogen.

Das war keine Selbstverständlichkeit. Dennoch hätten sich viele mehr Engagement aus der Belegschaft gewünscht. Die Unsicherheit darüber, ob, was und wann etwas passiert, dürfte viele davon abgehalten haben, aktiv zu werden. Der übermächtige Gegner hatte scheinbar unangreifbare Argumente, die auf Wirtschaftskrise und Marktlage verwiesen, und das Erkennen der eigenen Inte­ressen war dagegen sehr weit weg. Die letzten großen Aktionen, Streiks und Demonstrationen, bei der man sich selbst seiner Stärke bewusst werden konnte, liegen weit zurück.

Eine Auseinandersetzung auf Augenhöhe sieht anders aus – auch das kann man am Ergebnis ablesen. Erschreckend ähnlich waren die Abschlüsse der letzten Zeit bei Volkswagen, Ford und Thyssenkrupp.

Eine Kapitalstrategie lässt sich nicht nur am ähnlichen Umgang, sondern auch an den ähnlichen Abschlüssen ablesen. Es hat sich etwas verschoben in Deutschland. Das Kapital hat die angebliche Sozialpartnerschaft aufgekündigt, die für das Kapital eigentlich sehr verlässlich war. Man kann und will sie sich nicht mehr leisten.

Auf diese Änderung in der Kapitalstrategie werden die Gewerkschaften Antworten finden müssen. Was sich leicht aufschreiben lässt, ist deutlich schwerer umzusetzen, denn die Gewerkschaften sind vor allem die Mitglieder, zu denen wir selbst gehören. In den größten Organisationen der Arbeiterklasse findet der Kampf für die Inte­ressen der Beschäftigten statt – mal unter besseren und mal unter schlechteren Bedingungen.

Das Tarifergebnis bei Thyssenkrupp Steel ist ein Gradmesser für das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit. Ein wichtigerer und langfristigerer Faktor ist allerdings, wie viel Stärke die Gewerkschaft, die Arbeiterbewegung in dieser Auseinandersetzung sammeln konnte. Denn auch wenn bis 2030 „betriebsbedingte Kündigungen“ vermieden werden sollen und Investitionen versprochen wurden, kann sich jeder ausrechnen, wie lange solche Versprechen des Konzerns halten.

Weitere Auseinandersetzungen werden folgen – sowohl bei VW als auch bei Ford und Thyssenkrupp. Für den Erfolg ist entscheidend, ob und wie sehr sich das Kräfteverhältnis zugunsten der Kolleginnen und Kollegen verschieben lässt. Die Stärkung der Gewerkschaften und die Organisierung der Kolleginnen und Kollegen bleibt eine schwierige, aber notwendige Orientierung.

An dieser Stelle möchten wir noch unser Beileid zum Tod von Olaf Vopel aussprechen, dem Stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden bei Thyssenkrupp Steel. Unsere Genossinnen und Genossen konnten ihn bei der Organisierung der Mahnwache mehrmals erleben und mit ihm unter anderem über seine Erfahrungen im Kampf um Rheinhausen sprechen. Er und seine Erfahrungen werden fehlen.

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"Stahlkampf ist Zukunft", UZ vom 25. Juli 2025



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