„Die Eroberung der Villa Herbstgold“ ist ein wunderbares Bilderbuch

Alt werden ist nichts für Feiglinge – oder doch?

Das Ende des Jahres steht vor der Tür und mit ihm die leicht merkwürdig anmutenden Rituale der christlichen Welt: Kindergeburtstag mit Gans, Tannenbaum im Wohnzimmer, nicht näher definiertem Mann in Rot oder wahlweise Kind im Nachthemd. Aber – egal wie merkwürdig das Drumherum bei näherer Betrachtung wirkt – gegen einige Weihnachtsrituale haben wir nichts: Gutes Essen, guter Wein, Geschenke … Nur – was soll es sein, verpackt unterm Baum? An dieser Stelle stellen wir in den kommenden Wochen Bücher vor, die Großeltern, Freunde, Tanten und andere Menschen den Heranwachsenden in ihrem Leben schenken können. Von Vor- bis Selber-Lesen, aber immer zum Selber-Denken. Und nicht unbedingt nur für Heranwachsende.

„Liebe Kinder“, hat Frau Oha eines Morgens gesagt. „Bald machen wir wieder einen Ausflug.“ Mit diesem Satz beginnt das Bilderbuch von Stefanie Höfler. Die Kinder der Igel-Gruppe reagieren allerdings gemischt, als sie erfahren, dass der Ausflug ins Altenheim „Villa Herbstgold“ gehen soll. Denn über Altenheime wissen sie wenig bis gar nichts. Es kommen sogar Behauptungen auf, dass dort eine Hexe leben soll! Das gruselt und verängstigt ein paar der Kinder. Doch sie werden sich schnell einig: dem muss nachgegangen werden! Zum Glück haben sie direkten Draht zu einem der Hausbewohner – Leslies Opa (mit echtem Holzbein!) lebt in der Villa Herbstgold und beschützt sie im Notfall. Ausgestattet mit Neugier und Tatendrang erobern die Kinder das ruhig daliegende Anwesen. Ein turbulenter Tag bringt Alt und Jung zusammen, entlarvt Hexen und Feen, deckt Gemeinsamkeiten auf, und das Alter entpuppt sich als Geheimwaffe in Sachen Verstecken. Das geplante Theaterstück vom Rotkäppchen droht vor lauter Abenteuern jedoch ins Wasser zu fallen und sorgt am Ende für viel Heiterkeit.

Die Kinder wie die Alten sind in dem Buch von Stefanie Höfler mit Illustrationen von Claudia Weikert liebevoll charakterisiert und garantieren Wiedererkennungswert. Während die einen sehr laut sind, können andere nur flüstern. Manche poltern mit der Tür ins Haus, manche beobachten erst die Situation. Alle haben ihre Stärken und Schwächen. Das dadurch gezeichnete Bild ist so fein wie realistisch und wird von Weikerts Illustrationen gelungen eingefangen. Die Autorin wählt erneut ein besonderes Thema – ein roter Faden, der sie bereits bei ihren anderen Veröffentlichungen für ältere Leseratten auszeichnet.

In diesem Falle vermag sie den Kindern das Altenheim samt Alltag fröhlich nahezubringen. Ein wenig zu fröhlich vielleicht, sieht der tatsächliche Alltag doch sehr oft grau und unterversorgt aus. Das ist allerdings ein Punkt, der zum Gespräch einlädt. Denn die ganze Geschichte steckt so voller Schabernack und guter Laune, dass sie einen wunderschönen Türöffner bietet zu einem viel zu schnell vergessenem Thema: dem Austausch zwischen Alt und Jung, zwischen vielleicht-gar-nicht-so-grau und kunterbunt und der Frage, wie wir altern und im Alter leben. Das wird in diesem Bilderbuch in ein absolut gebührendes Format gebracht für eine Altersgruppe, die doch gerade erst beginnt, sich das Leben zu erobern, und noch keine rechte Vorstellung hat, wie das eigentlich so ist im Alter. Auf jeden Fall ist das Alter auch und vielleicht sogar besonders für „Feiglinge“ geeignet, das können geneigte Bücherwürmer an der Seite der Igelkinder herausfinden. Klarer (Vor-)Lesetipp für alle Menschen ab 4 Jahren.

Und für alle, die nicht genug bekommen können: die Abenteuer der Igelgruppe gehen weiter! Eine Woche voller Waldtage! Waldig-gut und Fuchs-spannend!


Stefanie Höfler / Claudia Weikert
Die Eroberung der Villa Herbstgold
Vierfarbiges Bilderbuch,Beltz & Gelberg, gebunden, 34 Seiten, 13 Euro
Erhältlich unter uzshop.de


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"Alt werden ist nichts für Feiglinge – oder doch?", UZ vom 2. Dezember 2022



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