Gesetz regelt Zwangsverpflichtung von Hilfsorganisationen und Zivilpersonen im Kriegsfall

Aufmarsch der Zivilisten

Erleben Sie hautnah, was moderne Verwundetenversorgung im Szenario Landes- und Bündnisverteidigung bedeutet – praxisnah, realistisch und zukunftsgerichtet.“ Die Sanitätstruppe der Bundeswehr lädt die Presse zur alljährlichen „Informationsübung Verwundetenversorgung im Krieg“ vom 7. bis 10. Juli nach Feldkirchen. Bei Schnittchen und Kaltgetränken dürfen geneigte Journalisten über originale Frontberichte staunen. Vielleicht erzählt auch dieses Jahr wieder Oberstabsarzt Benjamin H. von seinen Erlebnissen im Feldlager Mali: „Einem Soldaten fehlten drei Gliedmaßen fast vollständig“, aber durch Abbinden per Aderpresse („Tourniquet“) konnte er gerettet werden.

Auch zivile Rettungssanitäter wissen, was bei hohem Blutverlust zu tun ist. Auf ihr Können und ihr Wissen will das Militär zugreifen, wenn es gegen den Osten geht. Auf Bundesebene hat sich im Januar dieses Jahres die „Bund-Länder-offene Arbeitsgruppe für Zivil-Militärische Zusammenarbeit“ (BLoAG ZV/ZMZ) unter Leitung des Innenministeriums gegründet, die die mentale und infrastrukturelle Kriegsvorbereitung in Zukunft weiterentwickelnd begleiten soll.

Die Details der rasant im Ausbau befindlichen militärisch-zivilen Gesamtverteidigung regelt das Gesetz über den Zivilschutz und die Katastrophenhilfe des Bundes (ZSKG). Das gibt es seit dem Jahr 1997, seither wird es ständig an die aktuelle „Bedrohungslage“ angepasst. Schon der blanke Gesetzestext lässt das Herz eines jeden Kriegsertüchtigers höher schlagen, denn hier wird geklärt, wer wem im „Ernstfall“ zu gehorchen hat, wer als ziviler Befehlsempfänger bei Verweigerung der Mitwirkung mit Geldbußen in fünfstelliger Höhe, ersatzweise Erzwingungshaft, geahndet wird. „Planerische Vorsorge“ nennt das der Operationsplan Deutschland, aber tatsächlich ist die Zwangsverpflichtung ziviler Organisationen und Einzelpersonen gemeint.

Unter der vielsagenden Überschrift „Erweiterung der Einsatzbereitschaft“ (Paragraf 22 ZSKG) müssen auf Ansage der Bundesregierung die kommunalen Einrichtungen der gesundheitlichen Versorgung (Krankenhäuser, Rettungsdienste) ihre Leistungsfähigkeit auf den Kriegsfall umstellen. „Wehrpflichtige und Frauen“ mit medizinischen Kenntnissen werden zur Versorgung der Verletzten zwangsweise „in ein Arbeitsverhältnis verpflichtet“. Damit sich keiner dem Dienst fürs Vaterland entziehen kann, wandern die Personalien von Menschen mit entsprechender Ausbildung in ein Melderegister. Paragraf 26 ZSKG zieht namentlich den „Arbeiter-Samariter-Bund, die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft, das Deutsche Rote Kreuz, die Johanniter-Unfall-Hilfe und den Malteser-Hilfsdienst“ zu Verwundetentransporten und Notbehandlungen heran. Über die eher kleine Sanitätstruppe hinaus eröffnet sich die Bundeswehr damit den Zugriff auf zehntausende Mitglieder der Rettungsdienste und Feuerwehren samt deren Fuhrpark. Allein DRK, Malteser und Johanniter verfügen zusammen über etwa 7.000 Notarzt- und Rettungstransportfahrzeuge.

Wenn das noch nicht reicht, um den erwarteten Massenanfall von Verletzten (nach NATO-Studien 1.000 bis 5.000 Opfer je Tag) zu bewältigen, steht die Zwangsverpflichtung eines jeden zu jedweder Dienstleistung an. Paragraf 28 ZSKG verordnet dann die „persönliche Hilfeleistung“ von Männern und Frauen zwischen dem 18. und dem 60. Lebensjahr, „um bei der Bekämpfung der besonderen Gefahren und Schäden, die im Verteidigungsfall drohen, Hilfe zu leisten“. Den zivilen Bereich der Notstands-Koordination der Rettungsdienste übernimmt das 2004 gegründete Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenvorsorge (BBK), das seine Order von der operativen Führungsebene der Bundeswehr erhält. Vor Ort bestimmen die Regimenter der Heimatschutzdivision über die Verwendung der Rettungsdienste, des Technischen Hilfswerks und der Feuerwehren.

Selbst wenn die militärische Inpflichtnahme all der genannten Dienste gelingen würde, wären nach einer Untersuchung der „Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie“ (DGOU) binnen 48 Stunden nach Beginn des Waffengangs die Behandlungsplätze in Bundeswehrkrankenhäusern und assoziierten Notfallkliniken ausgelastet. Verletzte Zivilisten werden angesichts des geplanten Massenaufmarschs quer durch Deutschland ohnehin keine Chance haben, die Krankenhäuser zu erreichen, geschweige denn ärztlich versorgt zu werden, denn „der Aufmarsch, der stattfinden muss“ wird „zu 99 Prozent durch Deutschland gehen“. Der Chef des Landeskommandos Baden-Württemberg, Kapitän zur See Michael Giss, rechnet „als Hausnummer mit 800.000 Soldaten in relativ wenigen Wochen“. Das BBK fasst die traurige Botschaft zusammen: „Basis des Zivilschutzes ist die Fähigkeit der Bevölkerung, sich selbst zu schützen und (auch gegenseitig) zu helfen, bis qualifizierte, in der Regel staatlich organisierte Hilfe eintrifft.“ Wenn sie denn kommt.

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"Aufmarsch der Zivilisten", UZ vom 2. Mai 2025



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