Rede von Ulrike Eifler, Gewerkschafterin (IG Metall), auf der Friedensdemonstration am 3. Oktober 2025 in Stuttgart

Der Krieg gegen Russland wird ernsthaft in Erwägung gezogen

Die Gewerkschafterin Ulrike Eifler führte in ihrer Rede auf der Friedensdemonstration am 3. Oktober 2025 in Stuttgart drei triftige Gründe an, für Frieden, gegen die Kriegsvorbereitungen der Bundesregierung zu demonstrieren. Laufende Kriegsvorbereitungen benennt sie konkret. Wir dokumentieren ihre Rede in voller Länge:

Als aktive Gewerkschafterin sage ich: Es gibt heute mindestens drei Gründe, in Stuttgart und Berlin auf der Straße zu stehen.

Erstens:

Die öffentliche Debatte ist geprägt von einer gefährlichen Kriegsrhetorik.

Diplomatische Lösungen werden inzwischen gar nicht mehr mitgedacht, sondern kategorisch ausgeschlossen. Unvergessen der Auftritt von Annalena Baerbock in Straßburg, als sie Russland vor den Augen der Weltöffentlichkeit den Krieg erklärte. Auch Roderich Kiesewetter trompetet in jedes Mikrofon, dass der Krieg nach Russland getragen werden müsse. Militärhistoriker schwärmen vom womöglich „letzten Friedenssommer“. Außenminister Boris Pistorius beschwert sich über die friedensverwöhnten Deutschen und ruft nach mehr Kriegstüchtigkeit.

Liebe Freundinnen und Freunde,
das alles sind keine ungeschickten Äußerungen, sondern bewusst gesetzte rhetorische Wegmarken, die uns verraten, dass der Krieg gegen Russland ernsthaft in Erwägung gezogen wird.

Zweitens:

Die „Zeitenwende“ ist vorbei – die Bundesregierung ist längst zu einer Politik offener Kriegsvorbereitung übergegangen.

Das zeigt sich nicht nur daran, dass sie beschlossen hat, das 5-Prozent-Ziel fünf Jahre früher zu erreichen als die anderen NATO-Staaten. Nein, es zeigt sich auch daran, dass erst letztes Wochenende in Hamburg unter dem Motto „Red Storm Bravo“ Bundeswehr, Blaulichtorganisationen, Unternehmen und Behörden die zivil-militärische Zusammenarbeit probten. Das war keine harmlose Militärübung – dieses Manöver probte den Kriegsfall. Erprobt wurde die Unterordnung aller zivilen Bereiche unter die militärische Logik. Erprobt wurde der Eintritt Deutschlands in den Krieg. Erprobt wurde die Mobilmachung der Zivilbevölkerung.

Drittens:

Die Kriegsvorbereitung soll durch die schärfsten Sozialkürzungen in der Geschichte der Bundesrepublik finanziert werden.

Unbegrenzte Aufrüstung einerseits – Finanzierungsvorbehalt für den Sozialstaat andererseits. Markus Söder spricht von einem „Update des Sozialstaates“. Friedrich Merz spricht vom „Epochenbruch in der Sozialpolitik“. Und Regierungsberater fordern, dass die „Verrechtlichung ganzer Lebensbereiche“ endlich beendet werden müsse. Rente mit 70, Vorkasse bei Arztbesuchen, die Rückkehr zur 70-Stunden-Woche am Arbeitsplatz – Union und SPD haben offenbar alle Denkverbote abgelegt.

Liebe Freundinnen und Freunde,
der Herbst der Reformen ist kein Versuch, den Sozialstaat minimal umzubauen. Dieses Mal geht es an die Grundfeste des Sozialstaates, an die Grundfeste sozialer Sicherheiten, an die Grundfeste gewerkschaftlicher Errungenschaften.

Dass dabei auch unsere öffentliche Daseinsvorsorge unter die Räder gerät, zeigte ein Treffen im Sommer an der Berliner Charité, zu dem Berliner Krankenhausgesellschaft, Bundeswehr und der Berliner Senat eingeladen hatten. Besprochen wurde die Vorbereitung auf den Kriegsfall.

Weil die Bundesregierung mit mindestens 1.000 verletzten Soldaten pro Tag rechnet, drängt die Berliner Krankenhausgesellschaft niedergelassene Ärzte schon jetzt, Patienten nur in zwingenden Notfällen zur Weiterbehandlung in Krankenhäuser zu überweisen.

Dem schon jetzt völlig überlasteten Pflegepersonal wurde geraten, sich auf den Spannungsfall vorzubereiten, die eigene Resilienz zu stärken, sich mit Sport und Yoga fit zu halten und lieber mit dem Fahrrad als mit dem Auto zur Arbeit zu fahren. Das ist an Zynismus wirklich nicht mehr zu überbieten und zeigt, dass wir namenlose Statisten sind, die auf dem Planquadrat ihrer Kriegsvorbereitung hin- und hergeschoben werden sollen.

Liebe Freundinnen und Freunde,
dieser Herbst ist nicht nur der Herbst der Reformen.

Es ist auch der Herbst der Friedensbewegung. Am letzten und am vorletzten Wochenende waren über hunderttausend Menschen gegen die Verbrechen der israelischen Regierung in Gaza auf der Straße.

Heute sind wir in Berlin und in Stuttgart zehntausende.

Die Welt brennt. Wir erleben, wie sie in zwei Blöcke zerfällt. Sowohl der Krieg in der Ukraine als auch der Genozid in Gaza sind nur einen Wimpernschlag davon entfernt, zu einem großen Weltkrieg zu werden.

Um das zu verhindern, stehen wir heute auf der Straße. Aber auch, weil es notwendig ist, sich solidarisch an die Seite der Menschen in Palästina zu stellen.

Seit zwei Jahren werden sie innerhalb eines abgeschlossenen Gebietes von Nord nach Süd und von Süd nach Nord gehetzt, dabei bombardiert und ausgehungert, und selbst an den Lebensmittelverteilstationen beschossen.

Lassen wir uns von einer Bundesregierung, die zu all dem schweigt und Netanyahu weiter den Rücken stärkt, nicht erzählen, was den Frieden sichert und was nicht. Lassen wir uns nicht einreden, was solidarisch und was unsolidarisch ist. Lassen wir uns nicht weismachen, dass Netanyahu die Drecksarbeit für uns mache.

Merz spricht nicht in unserem Namen! Die Bundesregierung braucht Druck – der Frieden muss gegen eine mächtige Phalanx aus Bellizisten, Kriegsgewinnlern und Militaristen durchgesetzt werden.

Unsere Stärke ist die Kollektivität! Lassen wir deshalb nicht nach.

Diese Demonstration darf und wird nicht die letzte Demonstration für den Frieden in diesem Jahr gewesen sein.

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