Im Jahr 1938 begann Bertolt Brecht im dänischen Exil damit, Bilder aus Zeitungen und Zeitschriften auszuschneiden, auf schwarzem Fotokarton zu sammeln und mit Epigrammen zu versehen, die das Geschehen nicht nur kommentieren, sondern die Wahrheit auf den Bildern zum Vorschein bringen sollten. „Die Wahrheit ist konkret“, hatte Brecht an einen Balken in seinem dänischen Arbeitszimmer, einem umgebauten Pferdestall, geschrieben. Auf diese Weise ist ein ungemein wichtiges Buch entstanden, das in der heutigen Zeit, in der Politik und Medien den nächsten Ostlandritt vorbereiten, nichts von seiner Tragweite eingebüßt hat. Die Rede ist von Bertolt Brechts „Kriegsfibel“. Im Eulenspiegel-Verlag ist nun eine Reproduktion des Werkes erschienen.
Wie aber kann die konkrete Wahrheit vermittelt werden? Eine Frage, mit der Brecht sich sein gesamtes Schaffen lang beschäftigt hat. Wie stellt man die Wahrheit also her, in Bildern, mit deren Veröffentlichung in Zeitschriften und Zeitungen doch eine ganz andere Botschaft gesendet werden sollte?
Brecht nannte seine Vierzeiler „Fotoepigramme“ und entlarvte mit ihnen nicht nur die abgebildeten Personen, sondern – falls vorhanden – auch die Bildunterschriften der Veröffentlichung. So schrieb Brecht zum Beispiel unter ein Bild von Friedrich Ebert: „Ich bin der Sattler, der dem Junkerpack/Von neuem in den Sattel half. Ich Sau/ Ließ mich von ihnen kaufen, noch im Sack/ Des Armen Groschen. Gab‘s für mich kein Tau?“


Die propagandistische Arbeit mit Fotos wurde nicht von Brecht erfunden. Ende der 1920er Jahre hatten sich John Heartfield und Kurt Tucholsky bereits für einen Band über die Weimarer Republik zusammengeschlossen, in dem sie die Zustände durch Bildunterschriften zugespitzt darstellten. Brecht sammelte in seinem Journal bereits in den 1930er Jahren Fotos und Ausschnitte, auch gezielt Kriegsfotos – mehr, als in seine Journale gepasst haben. Also sammelte er unsortiert in Mappen, erst ab 1940 kamen die Epigramme hinzu, gemeinsam mit Ruth Berlau erschuf er eine Chronologie des Krieges, einen scharfen Blick auf das Grauen, die Profitgier und die Verlogenheit.
Zu einem Bild etwa, auf dem der faschistische General Juan Yagüe Blanco nach dem Sieg über die Spanische Republik auf der Placa Catalunya in Barcelona bei einer Freiluftmesse vor dem Thronsessel kniet, schrieb Brecht: „Die Glocken läuten und die Salven krachen./Nun danket Gott, als Mörder und als Christ!/Er gab uns Feuer, Feuer anzufachen./Wisst: Volk ist Pöbel, Gott ist ein Faschist.“ Oder zu einem Bild zum Afrikafeldzug, auf dem ein skelettgleicher Erwin Rommel einen Toast ausbringt: „Das Glas dem Vaterland und hundert Junkern!/Dem deutschen Schwert und dem Profit daraus!/Dem deutschen Volk in Waffen und in Bunkern!/Dem Irreführer, prost, von Mann und Maus!“

Der letzte und wohl bekannteste Eintrag in der Kriegsfibel ist zu einem Bild von Hitler bei einer Rede: „Das da hätt einmal fast die Welt regiert/Die Völker wurden seiner Herr. Jedoch/Ich wollt, dass ihr nicht schon triumphiert/Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“ Eine Warnung, die in der BRD in den Wind geschlagen wurde. Kein Wunder, denn die konkrete Wahrheit ist, dass Faschisten dem Kapital und seinen Profiten überaus willige Helfer sind.
Im Anhang zur Kriegsfibel sind in der Originalausgabe nicht berücksichtigte Bilder und Epigramme gesammelt, unter ihnen auch diejenigen, zu denen die Fotos verloren gegangen sind. Auch hier setzt sich die Darstellung der konkreten Wahrheit fort. Zu einem Bild von Winston Churchill mit General Montgomery in der Normandie notiert Brecht: „Willkommen! Aber sind die Herren auch firm?/Gewiss, auch zu lange warten heißt was wagen./Da war ein Herr – auch mit einem Schirm – /Dem sollte Hitler erst die Russen schlagen.“
Im letzten, bildlosen Epigramm wendet sich Brecht an seine Landsleute: „Da wird ein Tag sein, wo ihr dies bereut/ Ihr Lauten, die ihr schriet, und die ihr schweigt, ihr Stillen!/ Und käm kein solcher Tag, ich weinte um euch heut/ Und wär es nur um eurer Kinder willen.“
Es ist aktuell wie nie.
Barbara Brecht-Schall
(Herausgeberin)
Bertolt Brecht
Kriegsfibel
Eulenspiegel-Verlag, 208 Seiten, 38 Euro
Erhältlich unter uzshop.de