So geht der Kampf gegen die Wehrpflicht weiter

„Dieser Schulstreik war entscheidend“

Ein so deutliches Zeichen hat man länger nicht mehr gesehen: 55.000 Schülerinnen und Schüler haben am 5. Dezember in über 90 Städten gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht gestreikt. Die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) spielte eine besonders aktive Rolle in der Vorbereitung des Schulstreiks. Über diesen Erfolg und die nächsten Schritte im Kampf gegen Wehrpflicht und „Kriegstüchtigkeit“ hat UZ mit Andrea Hornung gesprochen, der Bundesvorsitzenden der SDAJ.

UZ: 55.000 Schülerinnen und Schüler in über 90 Städten – das war ein starkes Zeichen. Wo hast du selbst mitgestreikt?

Andrea Hornung: Ich war beim Schulstreik in Frankfurt am Main und war total beeindruckt: Zu sehen, wie eine Zubringer-Demo von der Bettinaschule am Kundgebungsort ankam. Wie die Stimmung war, als wir an anderen Schulen vorbeigezogen sind, wieviel Zuspruch wir erhalten haben. Auch in Frankfurt waren wir mit über 1.000 Jugendlichen auf der Straße. Die Fünft- bis Siebtklässler der IGS Süd haben gemeinsam als Klassenausflug teilgenommen. Sogar Zwölfjährige haben Reden gehalten! Das hat mich ganz schön beeindruckt.

UZ: Der Streik hat richtig Wellen geschlagen: Boris Pistorius ist an euch nicht vorbeigekommen, und Medien haben weltweit berichtet, etwa „New York Times“ und BBC. Hat euch das überrascht?

Andrea Hornung: Es hat uns nicht überrascht, dass die Beteiligung groß werden würde – dass sie so groß werden würde, schon. Wir freuen uns sehr, dass das Thema Wehrpflicht Schülerinnen und Schüler in den Streik und auf die Straße bringt. Dass Pistorius sich genötigt sah, die Streiks „großartig“ zu nennen und davon zu reden, dass sie Ausdruck davon seien, dass jeder auf die Straße gehen und sich für seine Meinung einsetzen könne – während wir real erlebt haben, dass mit Repression gedroht wurde und Versammlungen teils nicht zugelassen wurden –, das zeigt, dass die Regierung in dieser Sache unter Druck ist. Die Streiks zeigen das Bewusstsein von Schülerinnen und Schülern, die erlebt haben: Wir saßen während Corona zwei Jahre zuhause. Die Bundesregierung hat sich für uns nicht interessiert, während Banken und Konzerne Rettungspakete bekamen. Die Umwelt ist zerstört, die Bundesregierung opfert den Klimaschutz den Inte­ressen der Autoindustrie. Wir sitzen in kaputten Schulen, aber für Aufrüstung gibt es unbegrenzte Kriegskredite. Dazu der Zwang zum Kriegsdienst – damit ist für viele Schülerinnen und Schüler offenbar ein Punkt erreicht, an dem sie sagen, es reicht, das machen wir nicht mehr mit. Wir lassen uns nicht zwingen.

UZ: Ich habe in Essen an der Streikdemonstration teilgenommen und hatte den Eindruck, dass viele Schülerinnen und Schüler zum ersten Mal in ihrem Leben demonstriert haben. Wie hat sich der Schulstreik auf das Bewusstsein der Schüler ausgewirkt?

Andrea Hornung: Dieser Schulstreik war entscheidend. Wir haben an vielen Orten gesehen, dass Schülerinnen und Schüler, die vorher noch nie politisch aktiv waren, eine große Rolle in den Streiks eingenommen haben. Ausgehend von einzelnen Schülern ist es uns auch in kleinen Städten wie Friedberg in Hessen gelungen, relativ kurzfristig Streiks zu organisieren. In Friedberg waren über 100 junge Menschen auf der Straße. Das war total wichtig für die Schüler – sie haben gemerkt, dass wir alle kein Inte­resse an einer Wehrpflicht haben. Sie haben alle keinen Bock darauf, das Töten zu lernen, in den Krieg zu ziehen und auf Gleichaltrige aus anderen Ländern zu schießen. Sie haben gelernt: Wir können sogar gegen Regeln verstoßen, um unsere Inte­ressen zu vertreten und unsere Rechte durchzusetzen. Wir müssen nicht alles hinnehmen. Wir können die Schule schwänzen, um gemeinsam aktiv zu werden. Das ist ein wichtiger Ansatzpunkt für weitere Kämpfe und für die SDAJ. Daran wollen wir anknüpfen, das weiter stärken, den Kampf verstetigen und Klassenbewusstsein schaffen. Wir wollen gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern gegen Bundeswehrwerbung an Schulen aktiv werden und uns für Bundeswehr-freie Schulen einsetzen.

UZ: In mehreren Städten gab es Repressionen von Schulleitungen, der Polizei und Versammlungsbehörden.

510503 Portrait Andrea Hornung - „Dieser Schulstreik war entscheidend“ - 5. Dezember 2025, 5. März 2026, Andrea Hornung, Antimilitarismus, Boris Pistorius, DFG-VK, Essen, Frankfurt am Main, Initiative Schulstreik gegen Wehrpflicht, Schulstreik, Schulstreik-Konferenz, SDAJ, Wehrpflicht - Politik
Andrea Hornung

Andrea Hornung: Die waren auf jeden Fall ein großes Thema. Die Bildungs- und Kultusministerien hatten in vielen Bundesländern vorab nochmals E-Mails an die Schulen geschrieben, in denen sie die Schulleitungen auffordern, die Teilnahme am Streik als unentschuldigte Fehlstunden zu werten. Da haben wir von Anfang an argumentiert: Was ist eine unentschuldigte Doppelstunde oder auch sechs Fehlstunden gegen 180 Tage Kriegsdienst, die wir leisten sollen? Wir streiken trotzdem. Fälle extremerer Repression gab es zum Beispiel in Rostock, wo die Versammlungsbehörde die Demonstration eigenmächtig auf nach Schulende verlegt hat. Oder in Halberstadt, wo Schülerinnen und Schüler in der Schule eingeschlossen wurden, um sie am Streiken zu hindern.

UZ: Wie unterstützt ihr Schüler, die sich am Streik beteiligt haben und sich jetzt disziplinarischen Maßnahmen ausgesetzt sehen?

Andrea Hornung: Der beste Schutz, den es gibt, ist, dass möglichst viele Schüler gemeinsam aktiv werden und untereinander Solidarität organisieren. Klar ist, dass ein paar unentschuldigte Fehlstunden keine großen Konsequenzen haben. In den Fällen, wo wir mit drastischerer Repression konfrontiert sind, schauen wir, dass wir Öffentlichkeit herstellen und Druck aufbauen. Übrigens haben sich viele Lehrerinnen, Lehrer und Eltern mit uns solidarisch erklärt. Das möchten wir nutzen.

UZ: Für die Streiks sind in kurzer Zeit relativ breite Bündnisse zustande gekommen. Das hat bei anderen dringenden politischen Fragen in den letzten Jahren nicht so gut funktioniert. Was haben die Schüler anders gemacht?

Andrea Hornung: Zum einen war es das Thema, das auf eine spezifische Situation getroffen ist: Man fühlt sich von der Politik völlig übergangen und soll ihr nun auch noch dienen, gezwungenermaßen. Zum anderen halte ich für entscheidend, dass die Schülerinnen und Schüler ihre Streiks selbst organisiert haben, in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld. Die Streiks waren da ein besonderer Erfolg, wo Schüler in den Schulstreikkomitees im Fokus standen und selbst geplant haben: Was können wir an unserer Schule machen? Wie schaffen wir es, Mitschüler zu mobilisieren? Das ist es, was wir aus den Schulstreiks lernen können: Die Schüler wissen selbst am besten, wie sie an ihrer Schule mobilisieren können. Wir müssen ihnen zuhören, daraus lernen und auf dieser Grundlage schauen, wie wir eine solche Bewegung weiterentwickeln können. Unsere Aufgabe ist es dabei, klar zu benennen, wer den Preis dieser Politik zahlt: Nicht die Kinder von Merz oder Pistorius, nicht die Erben der Rheinmetall-Vorstände. In den Schützengräben werden wir stehen – die Arbeiterjugend! Die Wehrpflicht ist keine neutrale Maßnahme. Sie ist eine Klassenfrage.

Es ist eine politische Entscheidung, ob Milliarden in Panzer und Munition fließen oder in unsere maroden Schulen. Beides gleichzeitig geht nicht. Man kann Geld nur einmal ausgeben. Und: Wehrpflicht und massive Aufrüstung gehören zusammen. Sie sind Teil der allgemeinen Kriegsvorbereitung. Das ist kein Betriebsunfall der Geschichte. Es ist die Logik des Kapitalismus in seinem imperialistischen Stadium, der seine Krisen mit Aufrüstung, Militarisierung und Zwangsdiensten beantwortet.

Uns wird eingeredet, wir seien machtlos, „Sachzwänge“ würden entscheiden. Aber die Wahrheit ist: Wir sollen im Schützengraben die Profite der Großkonzerne retten. Ohne uns geht das nicht. In diesem Kampf können wir uns nicht auf Regierungen verlassen. Wir müssen selbst aktiv werden, uns organisieren, uns zusammenschließen und gemeinsam handeln. Der 5. Dezember zeigt: Wenn wir uns zusammentun, haben wir eine enorme Kraft.

UZ: Jetzt gilt es, den Schwung mitzunehmen.

Andrea Hornung: Wir müssen gegen jeden Schritt, der weiter gemacht wird in Richtung Wehrpflicht und Kriegsdienst, gemeinsam aktiv werden! Wir werden aktiv am 19. Dezember, wenn das „Wehrdienstmodernisierungsgesetz“ den Bundesrat passieren soll, und am 1. Januar, wenn die ersten Briefe verschickt werden. Was kann ich als Schüler konkret unternehmen? Der nächste Streik findet am 5. März statt. Um den vorzubereiten, geht es jetzt darum, dass wir weitere Schul­streikkomitees gründen. Wir müssen mit unseren Mitschülern in die Diskussion kommen und sie einladen, am nächsten Streik teilzunehmen. Wir müssen die Solidarität von Lehrern und Eltern organisieren, damit die nächsten Streikdemos größer werden.

Viele Schüler hatten im Vorfeld nichts vom dem Schulstreik am 5. Dezember mitbekommen. Da ist noch ganz viel Potential, mehr Menschen auf die Straße zu bringen. Es geht aber auch darum, gegen Bundeswehr-Werbung an Schulen aktiv zu werden und Angebote zu machen, wie man sich über einen einzelnen Aktionstag hinaus organisieren kann. Ein Beispiel: An einer Schule in Friedberg hat sich eine Arbeitsgemeinschaft gegen Wehrpflicht gegründet, die sich regelmäßig trifft und Aktionen an ihrer Schule plant.

UZ: Ab nächsten Sommer wird zumindest für Männer ab Jahrgang 2008 die Frage ganz konkret, was sie machen sollen, wenn der Bundeswehr-Schrieb in ihrem Briefkasten landet. Plant die SDAJ, selbst Kriegsdienstverweigerungs-Beratung anzubieten?

Andrea Hornung: Ja. An vielen Orten sind wir dazu schon in Kontakt mit der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK). Wir wollen an Schulen Projekttage mit Kriegsdienstverweigerungsberatung organisieren. Wir müssen fordern, dass alle Abschlussjahrgänge in der Schule Kriegsdienstverweigerungsberatung in Anspruch nehmen können.

Für uns ist aber auch wichtig zu sagen: Wir werden den großen Krieg, der gerade vorbereitet wird, nicht verhindern, wenn wir alle individuell den Kriegsdienst verweigern. Das reicht nicht aus! Um den Krieg zu verhindern, müssen wir sagen: Individuelle Verweigerung ist ein guter erster Schritt, wir müssen vor allem aber weiter gemeinsam auf die Straße gehen. Dass Schüler gemeinsam gezeigt haben, wir machen da nicht mit, wir schießen nicht auf andere junge Menschen, darin liegt die Bedeutung der Schulstreiks.

UZ: Im Februar gibt es eine bundesweite Schulstreik-Konferenz.

Andrea Hornung: Die Schulstreiks am 5. Dezember sind recht spontan entstanden und haben eine ganz schöne Dynamik bekommen. Um darüber zu diskutieren, wie der 5. März zu einem noch größeren Erfolg wird, hat das Schulstreikkomitee Göttingen alle Schulstreikkomitees am 14. Februar nach Göttingen eingeladen. Gemeinsam soll diskutiert werden: Was funktioniert gut, was noch nicht gut genug? Wie können wir noch mehr Schülerinnen und Schüler gewinnen? Wie können wir die Bewegung weiter entwickeln?

Die SDAJ bringt sich dabei ein. Wir wollen vor Ort mit Schülern ins Gespräch kommen und diskutieren: Weshalb sollen wir verpflichtet werden? Was hat das mit der Kriegsvorbereitung zu tun? Was hat das mit dem System zu tun, in dem wir leben, mit dem Kapitalismus? Wir erleben eine große Bereitschaft unter Schülern, sich mit solchen Fragen auseinanderzusetzen. Eine der zentralen Losungen des Schulstreiks war: „Die Reichen wollen Krieg, die Jugend eine Zukunft!“ Das zeigt, dass viele Schülerinnen und Schüler Klasseninstinkt mitbringen.

UZ: Wenn an meiner Schule am 5. Dezember nicht gestreikt wurde und es noch kein Schulstreikkomitee gibt – hast du einen heißen Tipp, wie man nachhelfen kann, damit es am 5. März klappt?

Andrea Hornung: Geh schnell auf Mitschüler zu und diskutiere mit ihnen! Wir haben sehr gute Erfahrungen mit Umfragen an Schulen gemacht. Ganz einfach: Bist du für oder gegen die Wehrpflicht? Bei solchen Umfragen sprechen sich in ganz Deutschland 80 Prozent oder mehr gegen die Wehrpflicht aus. Solche Umfragen waren an vielen Orten wichtige Grundlage für die Gründung von Schulstreikkomitees und die Mobilisierung. Also: Tut euch mit Mitschülern zusammen, gestaltet eine Umfrage, und entscheidet dann gemeinsam, am nächsten Streik teilzunehmen. Wendet euch über die Website oder Instagram an die bundesweite Schulstreik-Organisation und die lokale SDAJ. Wir haben Flyer und Materialien für die Mobilisierung und unterstützen gerne!

Die Schülerinnen und Schüler, die gestreikt haben, haben unfassbaren Mut bewiesen. Sie sind auf die Straße gegangen und haben gesagt: Was sind ein paar Fehlstunden gegen die Kriegsvorbereitung? Das zu sehen, hat mich persönlich sehr berührt. Davon können wir viel lernen. Unsere Aufgabe ist es, diese Dynamik zu stärken. Das kann der Beginn einer großen antimilitaristischen Jugendbewegung gegen die Wehrpflicht sein.

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"„Dieser Schulstreik war entscheidend“", UZ vom 19. Dezember 2025



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