In Israel wächst der Protest gegen den Krieg – Regierung Netanjahu bleibt auf Kurs Richtung „Groß-Israel“

Drohungen und Besatzungsvorbereitung

Es war vermutlich die größte Demonstration seit Beginn des Krieges gegen Gaza. Nach Schätzungen der Veranstalter – Angehörigen der israelischen Geiseln – forderten Mitte August eine halbe Million Menschen in Tel Aviv ein Abkommen zum Austausch der Geiseln und ein Ende des Krieges. Landesweit nahmen wohl eine Million Menschen an Protesten teil. Äußerlich zeigt sich die Regierung unbeeindruckt von den Protesten. Benjamin Netanjahu droht sogar mit einer möglichen Ausweitung des Krieges. „Groß-Israel“, das Teile Ägyptens, Jordaniens, Syriens und des Libanon umfasst, sei seine Vision, erklärte er in einem Interview. Unterstützt wurde er von Kommunikationsminister Shlomo Karhi, der beide Ufer des Jordan zu Israels Kernland erklärte.

Die Massenproteste zeigen dennoch Wirkung. Benjamin Gantz, früherer Hoffnungsträger von EU und USA, schlägt eine Einheitsregierung für sechs Monate vor, die nur zwei Ziele habe: Freilassung der Geiseln und ein Gesetz zur Regelung der Wehrpflicht der „Haredim“, der Ultraorthodoxen. Doch seine Bedeutung ist tief gesunken, bei Neuwahlen könnte seine Partei an der 3,25-Prozent-Sperrklausel scheitern. Politische Konkurrenten lehnten den Vorschlag ab.

Oppositionsführer Yair Lapid kündigte an, dass seine Partei Yesh Atid und ihre 24 Abgeordneten in der Knesset jedes Abkommen unterstützen würde, das zur Freilassung der Geiseln führt – ohne eine Gegenleistung zu verlangen. Das wiederum wurde von Netanjahu abgelehnt.

Selbst die Justiziarin der Armee, Yifat Tomer-Yerushalmi, warnt, die Ausweitung des Krieges in Gaza würde schwerwiegende völkerrechtliche Konsequenzen haben. Doch angesichts von Israels unverhohlenem Genozid dürfte diese Warnung im Kabinett auf taube Ohren stoßen.

Für die geplante Besetzung von Gaza braucht die Armee zusätzliche Soldaten. Die ersten Einberufungsbescheide für 60.000 Reservisten sind bereits versendet, weitere sollen in den Wintermonaten folgen. Doch nach Jahren wiederholter Einsätze in einem brutalen Krieg sind viele Reservisten erschöpft und von den politischen Entscheidungen abgestoßen. Nahezu die Hälfte (47 Prozent) der befragten Reservisten standen den Entscheidungen der Regierung und ihrer Verhandlungsführung ablehnend gegenüber, nur etwa 60 Prozent der Reservisten folgen den Einberufungen.

Die Regierung schwankt mittlerweile zwischen Drohungen und den Vorbereitungen für die Besetzung von Gaza. In den nächsten Wochen sollen die Einwohner Gazas in den Süden vertrieben werden. Diese Zeit soll für Verhandlungen genutzt werden. Doch tatsächlich war es immer wieder Netanjahu, der die Verhandlungen mit der Hamas scheitern ließ. Matthew Miller, ein früherer Sprecher des US-Außenministeriums, erklärte im Interview mit Israels „Channel 13“, Netanjahu habe absichtlich die Verhandlungen mit der Hamas behindert.

Angesichts der Proteste im In- und Ausland versucht Netanjahu auch die von Israel verursachte Hungersnot in Gaza abzustreiten. Derartige Berichte seien eine offene Lüge. Doch UN-Nothilfekoordinator Tom Fletcher sprach von unwiderlegbaren Beweisen für eine Hungersnot, die von modernsten militärischen Mitteln und Drohnen überwacht wird.

Die Proteste gegen den Krieg in Gaza gehen in Israel weiter. Linke und palästinensische Gruppen werden dabei immer wieder von der Polizei bedrängt und angegriffen. Am Samstag demonstrierten Tausende jüdischer und palästinensischer Israelis in Tel Aviv gegen den Krieg und das Aushungern von Gaza. Zuvor hatten Aktivisten die Hauptverkehrsader in Tel Aviv mit einer Sabbat-Feier blockiert. Am Ende wurde der geschmückte Sabbat-Tisch auf der Autobahn in einer dramatischen Aktion abgefackelt.

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"Drohungen und Besatzungsvorbereitung", UZ vom 29. August 2025



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