Beelitz im Südwesten von Berlin ist ein hübsches Ackerbürgerstädtchen mit etwa 14.000 Einwohnern im Brandenburgischen. Es ist über tausend Jahre alt. Eigentlich noch älter, denn vor den Slawen siedelten bereits in der Jungsteinzeit Vorfahren von uns am Ufer der Nieplitz. Im Mittelalter war Beelitz einige Jahrhunderte lang Wallfahrtsort, weil eine „Wunderblutlegende“ über den Ort kursierte. Beelitz ist auch heute wieder Wallfahrtsort, nämlich wenn im Frühjahr der Spargel sprießt.
Dem „Spargelpionier“ Carl Friedrich Wilhelm Herrmann, einem hiesigen Glasermeister, hat die Stadt inzwischen ein Denkmal gesetzt und ein Museum gewidmet: Er baute vor anderthalb Jahrhunderten den ersten Spargel hier an und begründete einen im Berliner Umland wichtigen Wirtschaftszweig. Heute gibt es Dutzende Betriebe in der Region, die das Edelgemüse auf etwa fünftausend Hektar stechen und auf Höfen, an Straßenständen und in eigenen Restaurants vermarkten. Die inzwischen EU-geschützte Marke wächst auf fast einem Viertel der gesamten Spargelanbaufläche Deutschlands.
2022 gab es in Beelitz zweihundert Tage lang die Landesgartenschau. Sie lockte etwa eine halbe Million Besucher. Es war die siebte Landesgartenschau im Land Brandenburg und gewiss nicht die teuerste, aber vielleicht die nachhaltigste. Der Stadtpark, durch den die Nieplitz fließt, wird unverändert genutzt, die damals angelegten 22 Millionen Euro waren augenscheinlich eine gute Investition. Investiert wurde auch in eine Freilichtbühne, auf denen die Beelitzer Festspiele stattfinden – eingebettet in den „Kultursommer“, der von Mitte Mai bis Ende September reicht.
In diesem Jahr lud Bürgermeister Bernhard Knuth zu einer Aufführung im Stadtpark, die am 14. August Premiere hatte. Der gebürtige Greifswalder und gelernte Optiker, Jahrgang 1962, ist seit 2010 Bürgermeister, seit Mitte der neunziger Jahre betreibt er in der Stadt einen Brillenladen. Knuth wurde 2018 mit 93,4 Prozent in seinem Amt für weitere acht Jahre bestätigt. Das Unabhängige Kommunalbündnis/Bürger Bündnis Beelitz (BBB), das er vertritt, stellt mit neun der 22 Mitglieder zählenden Stadtverordnetenversammlung die stärkste Fraktion – die AfD ist dort nicht vertreten. Es gibt offenbar keine Blüten in der brandenburgischen Kleinstadt, aus denen sich politischer Honig saugen lässt. Offenkundig muss der Mann im Rathaus wissen, was die Leute tatsächlich bewegt. Er spricht ihre Sprache, denkt wie sie, macht kulturelle Angebote.
Er rief bei mir an, weil er Egon Krenz als Premierengast haben wollte. Für eine einzige Veranstaltung soll der 88-Jährige so weit reisen? Und dann, bei allem Respekt, für eine solche Klamotte? Maxe Baumann, muss man wissen, war eine Komödienreihe, die in den 70er und 80er Jahren immer zu Silvester im DDR-Fernsehen lief. Die Hauptrolle spielte Gerd E. Schäfer, die anderen Rollen waren von nicht weniger prominenten Schauspielern besetzt. Schäfers Sohn Alexander, so der Bürgermeister, habe jetzt ein temporäres Ensemble um sich geschart – zehn Ossis. Naja, die jüngste Schauspielerin habe italienische Wurzeln. Doch Dagmar Frederic, die Sängerin, würde auch auftreten. Als Special Guest.
Und dann nannte er Namen von Personen, die auch Krenz alle persönlich kannte. So wurde der Ex-Staats- und Parteichef weich und fuhr nach Beelitz und setzte sich ins Publikum, dem nicht verborgen blieb, wer dort saß. Von Regina Thoß bis Dagmar Frederic wurde er ebenso freundlich überfallen wie vom stellvertretenden Landrat bis zum RBB-Moderator. Die Spargelkönigin, eine Studentin aus Potsdam, umarmte ihn wie ein Fußballstar von Dynamo Dresden, dem letzten DDR-Meister: Krenz hatte damals an der Siegesfeier teilgenommen … Ein ostdeutsches Heimspiel.
Der mehrstündige Klamauk auf der Bühne ist rasch erzählt, die zeitlose Geschichte von 1976 in einem Satz gefasst: Rentner Maxe Baumann stiftet am ersten Tag seines Rentnerdaseins (eben Ferien ohne Ende) allerlei Verwirrung und Unsinn. Schäfers Sohn holte den Text in die Gegenwart und schlägt Brücken in die Vergangenheit. Die Anspielungen funktionieren, weil die Menschen auf der Bühne und im Publikum alle vom gleichen Stamme sind. Beelitzer Spargel ist immer gut, sagt Maxe Baumann, egal, welche Kartoffel gerade regiert. Na, Kartoffel, sage ich zum kichernden Krenz und stoße ihn in die Seite. Hinterher wird er sagen: Es tat gut, mal eine Zeitlang nicht über die Weltprobleme nachdenken zu müssen.
Dieses angenehme Einvernehmen zwischen denen da oben und jenen da unten rührte augenscheinlich aus der gemeinsamen Herkunft. Und in dieser wurzelte die Souveränität, mit der Vergangenheit unideologisch gelassen und heiter umzugehen. Das ist nur auf den ersten und arroganten Blick apolitisch, wie ich selbstkritisch auf der Fahrt nach Hause grübelnd befand. Und nur in Maßen nostalgisch. Es ist eine andere als die gängige Antwort auf die Frage, wie wir leben wollen. Die Leute möchten in Frieden ihrem Tagwerk nachgehen und in Ruhe gelassen werden von Profilneurotikern, Wichtigtuern und vermeintlichen Weltenlenkern, die vorgeben, in „höherem Auftrag“ zu handeln. – Eine Klamotte hatte einen Stein ins Rollen gebracht.
„Maxe Baumann – Ferien ohne Ende“ läuft vom 21. bis 23. August in der Freilichtbühne Beelitz in der Trebbiner Straße 21A. Karten ab 39 Euro, Kinder unter 15 die Hälfte