Weil die USA für ihre Treue zum Völkerrecht bekannt sind, muss die BRD nicht überwachen, was von Ramstein aus geschieht. Bundesverfassungsgericht weist Beschwerde zurück

Ehrenwerte Drohnenmörder

Am Abend des 29. August 2012 saß der jemenitische Umweltingenieur Faisal bin Ali Jaber mit seiner Familie beim Essen. Es war der Tag nach der Hochzeit seines ältesten Sohns. Aufgeschreckt durch ein lautes Summen, sah die Familie durch das Fenster einen grellen Blitz, begleitet von mehreren Detonationen. Faisal vermutete ein Unglück und eilte zum Ort der Explosion. Inmitten vieler zerfetzter Körper fand er die verkohlten Überreste seines Schwagers Salim und seines Neffen Walid, beide getötet durch vier „Hellfire“-Raketen, abgefeuert von einer US-Drohne, gelenkt durch ein Satellitensignal aus Deutschland, hingerichtet durch den Knopfdruck eines US-Soldaten, der tausende Kilometer weit weg das Geschehen auf einem Monitor verfolgte.

Offiziell hieß es, die Tötungsaktion habe hochrangigen Mitgliedern der Al-Kaida gegolten. Salim und Walid, die mit der Al-Kaida nichts zu schaffen hatten, wurde zum Verhängnis, dass sie sich in der Nähe der Zielpersonen (im Jargon der Drohnenpiloten: „Jackpot“) aufhielten. Der Tod seiner Angehörigen und die Traumatisierung seiner Tochter Hiba ließen Faisal die Suche nach den Verantwortlichen aufnehmen. 2013 reiste er nach Washington und traf Vertreter des „Nationalen Sicherheitsrates“ der USA, stieß aber auf eine Mauer des Schweigens. Es schien ganz so, als solle jedes Aufsehen vermieden werden, notfalls durch Zahlung von Schweigegeld. Wie die US-Bürgerrechtsplattform „truthout.org“ berichtet, übermittelte das jemenitische Sicherheitsbüro im Jahr 2014 eine „diskrete Offerte“ aus den USA an Faisal: „Ein Koffer mit 100.000 US-Dollar stehe jederzeit bereit“. Doch es ging ihm nicht um Geld, sein Ziel war der Stopp der Drohnenmorde.

Faisals Klage vor dem Berufungsgericht des Districts of Columbia (USA) scheiterte. Klagen mit „rein politischen Zielsetzungen“ seien unzulässig, hieß es. Parallel hatte Faisal am 15. Oktober 2014 vor dem Verwaltungsgericht Köln eine Klage auf den Weg gebracht. Die an den Drohneneinsätzen mitschuldige Bundesrepublik sei verpflichtet, durch geeignete Maßnahmen sämtliche Drohnenangriffe des US-Militärs, die von der Air Base Ramstein ausgehen oder von dort technisch weitergeleitet werden, zu unterbinden. Die Kölner Richter sahen dazu keinerlei Veranlassung. „Zwar kommt es bei den Drohneneinsätzen auch zu der Tötung von Zivilisten“, aber für einen vorsätzlichen „Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht“ fehlten die Beweise. Schließlich habe der „Präsident der USA (…) in einer Rede im Mai 2013 erklärt, dass Drohneneinsätze nur erfolgen würden, wenn ‚near certainty‘ (Anm. d. Red.: beinahe Sicherheit) bestünde, dass hierbei keine Zivilisten getötet würden“. Die Bundesregierung habe weder Pflicht noch Veranlassung dies zu hinterfragen.

Zivilisten, die auf der Strecke bleiben, zählen als bedauerlicher Kollateralschaden – wie das so ist im Krieg. In der folgenden Berufungsinstanz vor dem Oberverwaltungsgericht Münster im März 2019 konnte der Kläger einen minimalen Teilerfolg erzielen. Das Gericht hielt es für angebracht, dass deutsche Stellen sich „durch geeignete Maßnahmen vergewissern“ sollten, ob militärische Aktivitäten auf dem Gelände der Air Base im Einklang mit dem Völkerrecht stünden. Aber selbst diese minimale Pflicht zur gelegentlichen Nachfrage beim Bündnispartner aus Übersee war der Bundesregierung lästig. Sie ging in Revision. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) kassierte am 25. November 2020 das Münsteraner Urteil mit einer trivial gestrickten Begründung. Ob Deutschland überhaupt für Ramstein verantwortlich sein könne, erscheine höchst zweifelhaft, denn es drehe sich ja nur darum, „dass der Datenstrom für die Steuerung der im Jemen eingesetzten Drohnen über Glasfaserkabel von den USA aus zur Air Base Ramstein übermittelt und von dort aus mittels einer Satelliten-Relaisstation an die Drohnen gefunkt wird“. Nachfragen erübrigen sich, der Amerikaner verrät eh nichts, folglich: Wegschauen!

Am 15. Juli hat nun nach fast fünf Jahren Wartezeit das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsbeschwerde Faisals entschieden. 60 Seiten braucht das Gericht, um zu erläutern, weshalb es auf die Verwicklung deutscher Stellen gar nicht ankomme, denn jedenfalls sei in Ramstein völkerrechtlich alles in Ordnung. Auch todbringende Drohneneinsätze legten nicht zwingend eine „systematische Verletzung des humanitären Völkerrechts und (des) Rechts auf Leben“ nahe, solange die Flugbefehle im weitesten Sinne völkerrechtlich vertretbar seien. Die USA gälten nämlich international als redlich, als verlässlicher Bündnispartner, hätten manchmal zwar völkerrechtlich eine abweichende Meinung. Dies verpflichte aber die Bundesrepublik nicht zum Einschreiten, denn diese sei nicht gehalten, Erklärungen aus Washington grundsätzlich zu misstrauen. Völkerrecht – made in USA.

Schade, dass Ulrich Maidowski, Richter am BVerfG, bei Abfassung des Urteils die Antwort auf die treffende Frage, die er im Anhörungstermin vom 17. Dezember 2024 selbst stellte, vergessen hat. Seine Frage lautete: „Wenn ich einen Nachbarn auf mein Grundstück lasse, damit er einen besseren Schusswinkel hat, weil er jemand erschießen will, dann habe ich doch eine gewisse Verantwortung?“

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"Ehrenwerte Drohnenmörder", UZ vom 25. Juli 2025



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