Sogenannte „Haftraummediensysteme“ tragen zur Kommerzialisierung der Knäste nach US-Vorbild bei

Eingesperrt und abgezockt

„Berlin wird als erstes Bundesland in allen Haftanstalten mit dem Projekt Resozialisierung durch Digitalisierung Gefangenen und Verwahrten einen Internetzugang ermöglichen“, kündigte Sebastian Brux, Pressesprecher der Berliner Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung, am 7. Dezember 2021 vollmundig in einer Pressemitteilung an. Nach Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens hatte die Senatsverwaltung der Telio Communications GmbH aus Hamburg den Zuschlag erteilt. Mit dem Unternehmen wurde ein Konzessionsvertrag über die Einführung eines digitalen Haftraummediensystems (HMS) in sämtlichen Justizvollzugsanstalten (JVA) des Landes Berlin geschlossen. Der Vertrag hat eine Laufzeit von sechs Jahren.

Und das soll theoretisch so funktionieren: Für die Geräte setzt Telio auf die bisherige Kabel-Infrastruktur innerhalb der Justizvollzugsanstalten. Kostengünstige Kabelmodems mit einem Touch-Bildschirm innerhalb der Zellen stellen die Verbindung zum zentralen Server in der JVA her. Von dort aus sollen dann Services und Nutzerdaten gehostet werden, so sieht es die Leistungsbeschreibung vor. Der Konzern stellt dabei jegliche Geräte und übernimmt auch deren Wartung.

Telio lässt sich das Produkt im Flatrate-Modell refinanzieren, und zwar von den Inhaftierten, daher wohl der Zuschlag für das günstigste Angebot für den Senat. „Google News“ ist kostenfrei, für „erweiterten Internetkontakt“ werden 2,33 Euro monatlich fällig. Für „Digitale Briefe“ nochmal 1,96 Euro. 13,95 Euro kosten TV und Radio, für einen Blu-Ray-Player in der Zelle kommen noch 2,90 Euro obendrauf. Für nichtinhaftierte Menschen ist das je nach Einkommen in Zeiten der Inflation unter Umständen schon ziemlich happig. Doch bei einer Bezahlung unter Mindestlohn, die in deutschen Gefängnissen gang und gäbe ist, bleibt nur wenig übrig für Medien und Konsumgüter.

Es ist wenig überraschend, dass das angekündigte große „Rollout“, also die Markteinführung der HMS, nicht funktioniert hat. Stattdessen kommt es aus verschiedenen Gründen zu monatelangen Verzögerungen. Gefangene berichteten gegenüber „netzpolitik.org“, dass sie bei Problemen wie Systemausfällen keine klaren Ansprechpersonen hätten. Der Senat hingegen teilte mit, dass die Verantwortlichkeiten „zwischen den Anstalten, der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz sowie der Firma Telio Communications GmbH klar geregelt“ seien. Zudem gebe es einen wöchentlichen Austausch über Supportanfragen. Auf Nachfragen, wie viele Supportanfragen sie seit Beginn des Einbaus erhalten haben, reagiert das Unternehmen eher etwas verschnupft. Da die „aufgeworfenen Fragen (…) sich auf ein laufendes Vertragsverhältnis“ bezögen, sei es angeblich nicht möglich, sich zu äußern. Allerdings liege das „Hauptaugenmerk bei der Implementierung des Haftraummediensystems stets auf den Bedürfnissen der inhaftierten Personen“.

Vor allem geht es aber um richtig viel Geld. Denn wenn der Modellversuch am Ende gelingt oder sich zumindest öffentlich gut vermarkten lässt, kann sich Telio weiter als führender Anbieter für Gefangenenkommunikation profilieren. Andere Bundesländer sollen bereits ihr Interesse bekundet haben. Der kleinere deutsche Mitbewerber Gerdes und das kanadische Unternehmen Synergy Technology Solutions wurden bereits übernommen. Das Ziel ist natürlich, die Weltmarktführerschaft zu übernehmen, erklärte ein Telio-Manager mit dem kryptischen Verweis auf den „in den USA bereits gestarteten Kulturwandel“ in der Gefangenenkommunikation.

Dabei ist dieser Verweis interessant und gleichzeitig verräterisch: Das gesamte Unterfangen läuft wie im gefängnisindustriellen Komplex der USA darauf hinaus, das Gefängnissystem noch weiter durchzukommerzialisieren, damit Konzerne wie Telio auch hieraus ihren Profit schlagen können. Das ist es, was von all dem Gerede von „Resozialisierung durch Digitalisierung“ letztlich übrigbleibt.

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"Eingesperrt und abgezockt", UZ vom 3. November 2023



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