Ende August fand aus Anlass des 90. Jahrestags eine Konferenz der Marx-Engels-Stiftung zum VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale statt. In der neu erschienenen „Kommunistischen Arbeiterzeitung“ (KAZ) ist das Referat von Conny Renkl mit dem Titel „Was verstand der VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale unter Faschismus, Antifaschismus und Volksfront? Worin liegt die Bedeutung für heute?“ dokumentiert. Wir veröffentlichen hier einen – redaktionell leicht bearbeiteten – Auszug, in dem sich Renkl mit den strategischen Überlegungen des antifaschistischen Kampfes befasst. Die weiteren Vorträge der Konferenz finden sich auf marx-engels-stiftung.de
Antifaschismus ist für Georgi Dimitroff ein Teil des Klassenkampfs in einem Zeitabschnitt, in dem die Arbeiterklasse in der Defensive ist, den Angriff des Finanzkapitals, die „Offensive des Kapitals“, zurückschlagen muss. Insofern ist Bedingung für den antifaschistischen Zusammenschluss nicht die Beseitigung des Kapitalismus und die Errichtung des Sozialismus. Insofern ist Kriterium für den Sieg des Antifaschismus nicht das Erreichen des Sozialismus, sondern die Verteidigung der bürgerlichen Demokratie.
Genau deswegen aber werden Kommunisten nicht aufhören, in die antifaschistische Bewegung hineinzutragen, dass die bürgerliche Demokratie selbst es ermöglicht hat, dass der Faschismus groß geworden ist, dass in der bürgerlichen Demokratie das Finanzkapital herrscht, das Faschismus und Krieg in sich trägt. Und: Dass die antifaschistische Bewegung dauerhaft nur siegt, wenn sie sich nicht mit dem Zurückschlagen des Faschismus zufriedengibt, sondern vorwärtsgeht zur Beseitigung der bürgerlichen Demokratie und ihrer Ersetzung durch die proletarische Demokratie, durch den Sozialismus.
Einheitsfrontregierung
Darauf weist Dimitroff eindringlich in den Abschnitten seiner Rede zur Einheitsfrontregierung hin. Dort zeigt sich auch eindrucksvoll, wie intensiv Dimitroff und Genossen in der Vorbereitung des Kongresses wieder Lenin studiert hatten.
„Vor 15 Jahren hat uns Lenin aufgefordert, unsere ganze Aufmerksamkeit darauf zu konzentrieren, ‚Formen des Übergangs oder des Herankommens an die proletarische Revolution ausfindig zu machen‘. Möglicherweise wird die Einheitsfrontregierung in einer Reihe von Ländern sich als eine der wichtigsten Übergangsformen erweisen. Die ‚linken‘ Doktrinäre haben sich stets über diesen Hinweis Lenins hinweggesetzt, als beschränkte Propagandisten haben sie immer nur vom ‚Ziel‘ gesprochen, ohne sich je um die ‚Übergangsformen‘ zu kümmern. Die Rechtsopportunisten aber versuchten, ein besonderes ‚demokratisches Zwischenstadium‘ zwischen der Diktatur der Bourgeoisie und der Diktatur des Proletariats herzustellen, um in der Arbeiterschaft die Illusion eines friedlichen parlamentarischen Spazierganges aus der einen Diktatur in die andere zu erwecken. Dieses fiktive ‚Zwischenstadium‘ nannten sie auch ‚Übergangsform‘ und beriefen sich sogar auf Lenin! Aber es war nicht schwer, diesen Schwindel aufzudecken: Sprach doch Lenin von einer Form des Übergangs und des Herankommens an die ‚proletarische Revolution‘, das heißt an den Sturz der Diktatur der Bourgeoisie, und nicht von irgendeiner Übergangsform zwischen der Diktatur der Bourgeoisie und der proletarischen Diktatur.
Warum maß Lenin der Form des Übergangs zur proletarischen Revolution eine so außerordentlich große Bedeutung bei? Weil er dabei ‚das Grundgesetz aller großen Revolutionen‘ im Auge hatte, das Gesetz, dass Propaganda und Agitation allein nicht imstande sind, den Massen die eigene politische Erfahrung zu ersetzen, wenn es sich darum handelt, wirklich breite Massen der Werktätigen auf die Seite der revolutionären Vorhut zu bringen, ohne das ein siegreicher Kampf um die Macht nicht möglich ist.“
Das längere Zitat auch, weil Dimitroff darin die entscheidende Argumentation entwickelt gegen die rechten Opportunisten, die einen Staat anstreben ohne revolutionär-diktatorische Entmachtung der Ausbeuterklasse, und gegen Linkssektierer, die meinen, ohne Übergänge, ohne Herstellung der Einheit der Arbeiterklasse, ohne schwankende und unsichere Bündniskräfte direkt zum Sozialismus übergehen zu können.
Was Dimitroff dagegen herausstellt, ist die Möglichkeit, über den antifaschistischen Kampf mithilfe der Einheitsfront / Einheitsfrontregierung an die proletarische Revolution heranzukommen. Und er weist dabei schon – fast prophetisch – auf die damit verbundenen Gefahren hin: die Gefahr eines überdehnten Übergangsstadiums, das den Faschisten oder Bürgerlichen die Sammlung und das Zurückschlagen ermöglicht, also die Wiederherstellung des Faschismus oder die der bürgerlichen Demokratie. Wir sprechen von nichts Irreal-Spekulativem, sondern wir haben diese Möglichkeiten schließlich etwa in Frankreich 1938 oder in Italien 1943/44 gesehen.
Überzeugung und Erfahrung
Die Einheitsfront soll den Massen die Möglichkeit geben, im gemeinsamen Handeln den richtigen Weg zum vereinbarten Ziel und die beteiligten politischen Kräfte kennenzulernen und zu prüfen. Und da wir Kommunisten manchmal sogar Ziel und Weg kennen, wollen wir natürlich die Massen in diesem Kampf von unserer Sicht der Dinge überzeugen.
Aus Sicht der Kommunisten müssen in Zeiten der revolutionären Flut, wenn die bürgerliche Demokratie das Rückzugsgebiet, die Verteidigungslinie des Kapitals wird, die Rechten und die Schwankenden, die Reformisten und die Zentristen, mit der Einheitsfronttaktik isoliert werden, in Zeiten der revolutionären Ebbe alle Kräfte, die sich gegen die Offensive des Kapitals wehren, einbezogen werden. In Zeiten des drohenden Faschismus mit der Arbeiterklasse in der Defensive muss das Bündnis, die Aktionseinheit breit sein, müssen und können große Teile des Kleinbürgertums in eine Volksfront einbezogen werden – vorausgesetzt es gelingt, den Einfluss der sozialen, insbesondere der nationalen Demagogie des Faschismus auf die Massen zurückzudrängen.
In der antiimperialistischen Einheits- beziehungsweise Volksfront (so Dimitroff im Schlusswort) umfasst das Bündnisspektrum auch die nationale Bourgeoisie in den vom Imperialismus abhängigen, ausgeplünderten und unterdrückten Ländern. Mit dieser Taktik konnten die Kommunistischen Parteien die größten Erfolge erzielen etwa in den Volksdemokratien in Osteuropa, mit der Politik der Neuen Demokratie in China oder bei der Befreiung in Korea, in Vietnam, in Kuba – in Ländern also, in denen die Einheitsfrontregierung tatsächlich eine Übergangsform war, um an den Sozialismus heranzukommen.

Einheits- und Volksfront
Nur kurz sei eingegangen auf die Unterschiede von Einheits- und Volksfront. Dimitroff selbst warnt dabei vor allem vor Schematismus und Ignoranz.
Am Anfang seines Schlussworts auf dem VII. Weltkongress macht er sich lustig: „Manche Genossen zerbrechen sich unnützerweise den Kopf über die Frage: womit beginnen – mit der Einheitsfront des Proletariats oder mit der antifaschistischen Volksfront?
Die einen sagen: Mit der Herstellung der antifaschistischen Volksfront wird man nicht eher beginnen können, bis eine feste Einheitsfront des Proletariats organisiert sein wird.
Da aber die Herstellung der proletarischen Einheitsfront in einer Reihe von Ländern auf den Widerstand der Sozialdemokratie trifft – urteilen die anderen –, wäre es besser, sofort mit der Volksfront zu beginnen und erst dann auf dieser Grundlage die Einheitsfront der Arbeiterklasse zu entwickeln.
Sowohl die einen wie die anderen begreifen offensichtlich nicht, dass die Einheitsfront des Proletariats und die antifaschistische Volksfront miteinander durch die lebendige Dialektik des Kampfes verbunden sind, sich verflechten, im Laufe des praktischen Kampfes gegen den Faschismus ineinander übergehen und keineswegs durch eine Chinesische Mauer getrennt sind.“
Und weiter: „Man kann also, Genossen, bei der Lösung der Frage der proletarischen Front und der Volksfront keine allgemeingültigen Rezepte für alle Fälle, für alle Länder und für alle Völker geben. Universalismus in einer solchen Sache, die Anwendung ein und derselben Rezepte auf alle Länder, wäre gleichbedeutend, erlaubt mir es zu sagen, mit Ignoranz. Ignoranz aber muss man sogar dann und am meisten dann prügeln, wenn sie in der Hülle universeller Schemen auftritt.“
Bündnisarbeit
Schon das „Manifest“ geht von der Existenz verschiedener Klassen, verschiedener proletarischer und demokratischer Parteien aus und bietet bereits Zusammenarbeit und Zusammenschluss an – in Deutschland damals etwa die Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie. Das zeigt den grundlegenden Widerspruch an, der in Aktionseinheit, Einheitsfront, Volksfront – grundsätzlich in kommunistischer Bündnisarbeit – angelegt ist. Er liegt im dialektischen Zusammenhang von Einheit und Kampf. Das verlangt von der Führung der Kommunisten:
- Festlegen des Ziels in einem bestimmten Land, mit einem bestimmten Entwicklungsstadium der Produktivkräfte, mit einem bestimmten Stand des Klassenkampfs und Klassenbewusstseins,
- Festlegen der Kräfte, mit denen das Ziel zu erreichen ist,
- Bestimmen des Gemeinsamen mit und des Trennenden zwischen diesen Kräften,
- Festlegen der Vorgehensweise, um das Gemeinsame zu erreichen.
All das setzt voraus, dass die Bündniskräfte von ihrer objektiven Klassenlage und ihrem tatsächlichen Bewusstseinsstand her beurteilt werden – und nicht, wie sie sein sollten oder könnten. Es impliziert, dass ihre Existenz für einen überschaubaren Zeitraum nicht infrage gestellt wird, dass wir mit ihnen zusammenarbeiten – nicht um sie als Organisationen oder Parteien zu erdrosseln, sondern um mit ihnen Erfolge zu erzielen gegen einen gemeinsamen Feind.
Heran an den Feind
Bündnisarbeit ist Bewegung, bedeutet: Heran an den Feind und dabei die Freunde sammeln. Vor allem der eigenen Selbstberuhigung dient dabei das Errichten von „Brandmauern“, von beschwörenden Tabus. Natürlich gehört zum Vorwärtsgehen auch der Rückzug, beide Formen müssen wir beherrschen. Aber Brandmauern lassen die Ursachen des Feuers und die Brandstifter in einer Parallelwelt überleben, selbst wenn das augenblickliche Übergreifen des Feuers ins Wohnzimmer noch einmal verhindert werden konnte. Brandmauer ist passiv, bedeutet nicht, den Feind anzugreifen, sondern sich selbst zu isolieren. Der VII. Weltkongress propagiert demgegenüber vor allem die Einheits- und Volksfront als Formen des aktiven Handelns.
Auf Nazis muss man zugehen – Berührungsängste sind im Klassenkampf nirgends hilfreich –, meist organisiert entgegentreten. Dazu hatte die KPD damals den buchstäblich schlagkräftigen RFB, die Antifaschistische Aktion, die Scheringer-Staffeln und andere Organisationen. Manchmal muss man auf ihren Versammlungen auftreten wie Walter Ulbricht und Genossen, manchmal im Einzelgespräch, um die soziale und nationale Demagogie auseinanderzunehmen, manchmal als Betriebsrat, um sie heute zum Beispiel nach Paragraf 75 BetrVG aus dem Betrieb zu befördern, manchmal im Wohngebiet, um von ihren Plänen zu erfahren.
Brandmauerdenken ist nicht nur eine Krankheit aufgeschreckter Kleinbürger. Wir finden es auch bei uns Kommunisten. Es ist bei uns das „selbstgefällige Sektierertum“, das Dimitroff im letzten Kapitel seines Referats so vehement geißelt – selbstgefällig in der Pose des „Durchblickers“ sich einrichtend in der eigenen Blase und mit massenfeindlicher Verachtung auf die blöden Proleten herabblickend, die nicht einsehen wollen, dass der Sozialismus die einzige Lösung ist.



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